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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Ich weiß nicht, was Ilse einfällt – das hat ja Fräulein Fliedner längst übernommen und Charlotte auch,“ sagte ich zögernd. „Und Charlotte habe ich so sehr lieb, ihr werde ich ganz gewiß gehorchen.“

„Das soll eben vermieden werden,“ versetzte er ernst. „In Fräulein Fliedner’s Händen sind Sie gut aufgehoben. Charlotte dagegen hat noch viel zu viel mit sich selbst zu thun, als daß sie die Verantwortlichkeit für Ihren Bildungsgang übernehmen dürfte. … Wenn ich ihren unumschränkten Einfluß auf ein unerfahrenes Gemüth zulassen sollte, dann müßte sie in allen Stücken ein Vorbild sein können – davon ist sie jedoch weit entfernt. … Charlotte ist im Grunde eine edle Natur, aber sie hat Schlacken in ihrer Seele – ich weiß es, ich werde oft genug warnend und verbietend zwischen Sie Beide treten müssen.“

Hätte je ein Funken von Sympathie für diesen Mann in mir gelebt, bei seinem letzten, so rücksichtslos unumwundenen Ausspruch wäre er erloschen. Er rächte sich in diesem Augenblick bitter für Charlottens Plauderei hinsichtlich der Hinterstube – ich wußte es wohl – das war wieder einmal die hinterlistige Art und Weise der Revanche, die Dagobert so tief erbitterte … Und zu Allem gab mich Ilse diesem steifen, eingerosteten Zahlenmenschen ohne Weiteres in die Hände. Er steckte mich zwischen vier Wände, ließ mich lernen, sprach von den mir am meisten verhaßten Schreibübungen, und in Alles, was ich that, guckten die verabscheuten Brillengläser.

Wir waren während dem in die Halle getreten und standen vor dem Corridor, in den die Thür meines Zimmers mündete. Herr Claudius nahm die Brille ab und steckte sie in die Tasche. … Und wenn es auch nur Herr Claudius war und ich ihn nicht leiden konnte, auffallend schöne Augen hatte er doch – es ging mir genau so mit ihnen wie mit dem wolkenlosen Mittagshimmel; er sieht sanft und harmlos mild aus, und wenn man fest hineinsehen will, da senken sich die Lider tief vor dem Sonnenfeuer, das ihn durchglüht.

Jetzt schwieg ich beklommen – die Brillengläser waren mein Bollwerk gewesen; mit ihnen floh mein Muth und verkroch sich in dem allerentferntesten Winkel meiner Seele. Da kreischte draußen der Kies unter Menschentritten, die sich dem Hause näherten.

„Na, das nehmen Sie mir aber nicht übel, Fräulein!“ hörte ich Ilse schon von ferne sagen. „Das ist mir ja eine gräuliche Mode! … So ’ne junge hübsche Dame, und raucht wie ein Schornstein!“

„Ach, Sie haben nur Angst, daß Ihnen der Tabaksrauch die brillanten Pensées auf Ihrem Hute verderben könnte, Frau Ilse!“ lachte Charlotte.

„Dummes Zeug – fällt mir nicht ein! Aber das sage ich Ihnen, wenn ich mir dächte, daß das Kind je solch ein Papier zwischen ihre kleinen Zähne steckte – ich packte auf der Stelle mit ihr ein –“

Sie verstummte; denn sie war auf die Schwelle getreten und stand vor uns. Charlotte, die neben ihr erschien, hatte eine Papiercigarre zwischen den kirschrothen Lippen, und ihr lachendes Gesicht verschwand hinter einer dicken Rauchwolke, die sie, jedenfalls Ilse zum Trotz, kräftig ausgestoßen hatte. Bei Herrn Claudius’ Anblick fuhr sie aber doch sichtlich frappirt zurück, sie wurde feuerroth und nahm schleunigst die Cigarre aus dem Munde. Ihr Anblick reizte mich zum Lachen, und die Leichtigkeit und Grazie, mit der sie die Cigarre handhabte, machte sie mir nur um so interessanter.

Herr Claudius schien sie gar nicht zu bemerken.

„Sie haben Recht – leiden Sie das nicht, Frau Ilse!“ sagte er gelassen. „Ihrem Hute wird der Tabaksrauch nicht schaden, aber den milden keuschen Glanz der Weiblichkeit überzieht er mit einem häßlichen Ruß.“

Charlotte schleuderte mit einer heftigen Bewegung die Cigarre hinüber in den Teich.

„Hast Du die Einladungen besorgt, Charlotte?“ fragte er so ruhig, als sähe er die Leidenschaft nicht, die ihr in den Fingern zuckte und aus den Augen flammte.

„Noch nicht – Erdmann wird sie gegen Abend forttragen –“

„Dann vergiß nicht, Helldorf eine Karte zu schicken.“

„Helldorf, Onkel?“ fragte sie stockend, als traue sie ihren Ohren nicht; eine hohe Gluth überflog ihre Wangen.

„Ja, er soll morgen mit uns essen – hast Du etwas einzuwenden gegen meine Anordnung?“

„Das weniger – aber neu ist sie mir,“ versetzte sie zögernd.

Er zuckte leicht die Achseln, zog den Hut höflich vor uns und stieg die Treppe hinauf; er ging nicht in das Bibliothekzimmer – ich hörte, wie er droben eine Thür aufschloß.

„Steht denn die Welt plötzlich auf dem Kopfe?“ fragte Charlotte, die bewegungslos, mit niedergesunkenen Armen stehen geblieben war und den Schritten des Hinaufsteigenden gelauscht hatte, bis das Zufallen der Thür herunterklang. „Na, gnade Gott, das wird eine allerliebste Geschichte geben! … Ich will Hans heißen, wenn uns Eckhof morgen die Suppe nicht versalzt!“

„I, was hat sich denn der alte Buchhalter um die Küche zu kümmern!“ rief Ilse ärgerlich – der unermüdliche Morgen- und Abendsänger hatte es bei ihr gründlich verdorben.

„Liebe Frau Ilse,“ lachte Charlotte, „ich will Ihnen einmal etwas sagen. … An dem Geschäftshimmel der Firma Claudius kreist eine Nebensonne, und das ist Herr Eckhof. Onkel Erich thut freilich, was er will; allein er respectirt den hochweisen Rath und die Wünsche des Herrn Buchhalters in einer Weise, daß die bescheidene Nebensonne thatsächlich regiert. … Nun ist Eckchof Helldorf’s Todtfeind, ob mit Recht oder Unrecht, das weiß ich nicht, geht mich auch auf der Gotteswelt nichts an und ist mir schließlich sehr egal, denn ich kenne den – Menschen nicht, rein gar nicht! Ich weiß nur, daß Helldorf bis zu dieser Stunde mit keinem Fuß die Gesellschaftsräume im Hause Claudius betreten hat, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil es Herr Eckhof nicht wünscht. … Morgen nun soll er plötzlich an einem Diner theilnehmen, das Onkel Erich zwei angesehenen amerikanischen Geschäftsfreunden giebt – Eckhof wird wüthen und mit Tractätchenschwung das Gericht des Herrn herabbeschwören – denn das ist eine Auszeichnung für Helldorf, wie sie der Onkel sonst nur hochehrwürdigen Glatzen oder weltberühmten Firmen gönnt. … Ich sage Ihnen ja, die Welt steht auf dem Kopfe, und es soll mich gar nicht wundern, wenn die steinernen Männer dort,“ sie zeigte nach der Gruppe inmitten des Teiches, „aufstehen, ihre Reverenz machen und uns versichern, daß wir schöne Mädchen sind!“

Ich mußte lachen, und auch Ilse schmunzelte wider Willen.

„Was thut denn Herr Claudius im oberen Stockwerk?“ fragte ich – es wollte mir durchaus nicht in den Kopf, ja, ich ärgerte mich darüber, daß „der Krämer“, wie ihn mein Vater nannte, das Reich der Wissenschaft betrat.

„Er kramt jedenfalls zwischen seinen Fernrohren. … Haben Sie denn die zwei Auswüchse auf der Karolinenlust noch nicht gesehen? Der eine bildet die Kuppel im Antikencabinet und den anderen hat sich der Onkel zur Sternwarte eingerichtet. … Nicht wahr, das sieht aus, als hätte auch er höhere Interessen? Glauben Sie’s um Gotteswillen nicht – die Beschäftigung läuft ganz auf Eines hinaus, er zählt droben am Himmel die blanken Goldstücke, wie die Thaler auf dem großen Comptoir-Zahltisch.“

Sie griff in die Tasche und zog ein kleines, schmales Paquet hervor. „Und nun, weshalb ich gekommen bin, Hier sind die Strümpfe – ein Dutzend – die ich für Sie aus R. verschrieben habe – sie sind eben eingetroffen, und morgen bringt auch die Schneiderin den Anzug.“

„Lassen Sie sich doch nicht anführen, Fräulein; das ist doch sein Lebtag kein Dutzend!“ rief Ilse und wog das Päckchen auf ihrer breiten Hand; es hatte genau den Umfang wie ein einziges Paar der berühmten Haidschnuckenstrümpfe. Sie schlug das umhüllende Papier zurück, ein wunderfeines, zartes Spitzengewebe quoll heraus.

„So – na, das ist ja recht schön!“ sagte sie grimmig. „Da kann die Kleine auch in K. halb barfuß laufen. … Das sind mir ja recht vornehme Dinger, die kommen nie auf die Wäschleine – nach dem ersten Spaziergang fliegen sie in die Lumpenkiste. … O weh, meiner armen Frau ihr Geld!“

Sie schritt spornstreichs nach dem Wohnzimmer.

„Lassen Sie sich nicht irre machen, Kleine,“ sagte Charlotte in ihrem bestimmtesten Ton. „Ich trage Jahr aus, Jahr ein keine anderen, und wenn zehnmal Fräulein Fliedner über diese sogenannte Verschwendung ihre kleine Nase rümpft. … Ich habe nun einmal eine empfindlich feine Pariser Haut, und Sie müssen Ihrer Stellung Rechnung tragen, und damit Basta!“

Sie huschte fort, und ich ging mit etwas ängstlichem Herzen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_694.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)