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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


„Aber warum?“ fragte Conrad erstaunt.

„Sie meinte, einmal möchte es doch herauskommen, so daß ich’s erführe, und weil ich ein wilder und trotziger Junge war dazumal, so fürchtete sie, ich könnte an Euch unrecht thun. Sie hat mir auch gesagt, was ich Euch schuldig bin, und hat mir das Versprechen abgenommen, daß ich nie gegen Euch hart sein wollte mit Rache oder Vorwurf.“

„Und das hast Du in Dir überwunden, mein tapferer Junge, und geschwiegen all die Jahre her?“

Aloys ging an den Schrank und holte ein zweites Glas. Er stellte es auf den Tisch und schenkte sich Wein aus des Vaters Flasche ein. „Stoßt an, Vater,“ sagte er, „mit diesem Glas trinken wir Vergessenheit auf ewig!“

Conrad zögerte erstaunt. „Seit vier Jahren hast Du Wein und Whisky nicht angerührt,“ sagte er, „und heut trinkst Du?“


Streifzüge eines Feldmalers. Nr. 3. Jacques Dubois.
Von Chr. Sell in Düsseldorf.


„Ja, Vater, heut trinke ich wieder. Damals war ich im Gemüth sehr verwüstet, und als die Mutter todt war, da ritt ich hinaus in die Prairie, und in der Einsamkeit sind mir auch böse Gedanken gekommen. Ich bin nicht heimgeritten, bis ich sie heruntergezwungen hatte. Aber ich fürchtete, wenn ich Wein oder Whisky tränke, es könnte meine Zunge einmal los werden, und ich könnte zu bösen Stunden sagen, was Euch wehe thäte. Darum ging ich unter die Temperancer. Jetzt ists vorüber zwischen Euch und mir, und nun laßt mich um Euch trinken auf herzliche Liebe.“

Die Gläser klangen zusammen, der Mann legte seine Hand auf des Jünglings Haar, und Aloys umfaßte den Vater mit beiden Armen. Eine dunkle Schuld war gesühnt.

„Und, Vater,“ sagte Aloys, „Ihr wißt nicht, wie gut es die Mutter gemacht hat, daß sie mir es sagte. Ich bin ein neuer Mensch geworden von da an. Ich meinte, ich müßte Euch zeigen, daß es der Mühe werth war, daß Ihr Euch am Leben erhalten hattet, und darum beschloß ich etwas Rechtes zu werden und etwas Rechtes zu thun. Wenn Ihr das sähet, müßtet Ihr Euch freuen, daß Ihr Euer Leben gespart hattet für die Mutter und mich.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 708. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_708.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)