Seite:Die Gartenlaube (1871) 720.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


wann sich wiederholendes Klappern von Eimern und Stehleitern, das von den Corridoren bis in die Zimmer hereindrang, zu meiner Beruhigung die Wahrnehmung machte, daß das Gefühl unbedingter Sicherheit weniger aus meiner Erscheinung als aus dem Vorhandensein einer unsichtbaren, aber gewiß sehr energischen Hülfs-Truppe hergeleitet war.

Die Napoleon-Zimmer, so lange wir darunter lediglich die von dem Kaiser selbst bewohnten Räume verstehen, befanden sich im ersten Stock. Wir schritten diesem zu.

Der erste Stock besteht aus neun Frontzimmern und zwar aus einem Tanzsaal in der Mitte, an den sich nach jeder Seite hin vier Zimmer anlehnen. Der Tanzsaal war während des Napoleonsemesters vom September bis März begreiflicherweise etwas sehr Nebensächliches; es fehlte nicht blos an Stimmung zum Tanzen, sondern auch an Damen; außer der Prinzessin Murat und der Herzogin von Hamilton (die mir genannt wurden, ich lasse dahin gestellt sein, ob mit Recht) war der Hof des kaiserlichen Gefangenen damenlos. Es verblieben also dem Gefangenen in der von ihm eingenommenen Etage acht Zimmer, die er auch sämmtlich bewohnte, aber in zwei Abschnitten. Vom September bis December diente ihm die Links-Hälfte zum Aufenthalt; als aber der ungewöhnlich strenge Winter ein Erheizen dieser Links-Hälfte immer schwieriger machte, gab er sie auf und zog in die etwas wärmer gelegene Rechts-Hälfte hinüber. Eine Beschreibung dieser beiden Hälften wird glücklicherweise dadurch wieder vereinfacht, daß die Einrichtung beider so ziemlich dieselbe ist. Auf die Farbenabstufung der Zimmer in Tapeten und Möbeln verlohnt es sich nicht, hier näher einzugehen; alle Schlösser weisen Aehnliches auf.

Die Links- wie die Rechts-Hälfte bestand aus je einem Empfangs-, Wohn-, Schreib- und Schlafzimmer.

Nehmen wir die Links-Hälfte zuerst. Ihr Ruhm, weil sie später durch die Rechts-Hälfte, die dann bis zuletzt aushielt, abgelöst wurde, ist schon wieder verblaßt. Es ist nichts Gegenständliches da, das die Erinnerung festhielte. Selbst das mit Geschmack eingerichtete Schlafzimmer empfängt das beste Theil seines Interesses daraus, daß ein unmittelbar daran stoßendes, schon im Flügel des Schloßgebäudes gelegenes Hintercabinet der Kaiserin Eugenie bei ihrem nur eine Nacht andauernden Besuch in Wilhelmshöhe als Schlaf- und Toilettenzimmer diente. Sie schlief unter einer mit den hessischen Löwen gestickten Atlasdecke; was aber die schöne, unglückliche Frau (Einige, zu deren Gesinnungskraft ich mich nicht aufraffen kann, nennen sie nur das „spanische Weib“) noch viel verwundersamer als jene hessischen Löwen berühren mußte, das waren die Portraits Ludwig’s des Fünfzehnten und seiner Gemahlin zu Häupten und zu Füßen ihres Bettes. Louis der Fünfzehnte trug den Krönungsmantel mit den Lilien. Der Lilienmantel fiel, wie nun der Mantel mit den goldenen Bienen gefallen war.

Etwa Anfang oder Mitte December, wie schon erwähnt, zog Louis Napoleon in die Rechts-Hälfte hinüber. Er fand hier nicht nur mehr Wärme, er fand auch eine gesteigerte Eleganz. Die Wände, zum Theil wenigstens, sind Atlaswände. Im Wohnzimmer zeigt noch die Kamineinrichtung (in der ganzen Vollständigkeit englischen Comforts), daß hier vor Kurzem gewohnt wurde. Vom Wohnzimmer aus treten wir in das Arbeitszimmer ein. Seidengestickte Fauteuils stehen umher, am Schreibtisch ein Stuhl von purpurfarbenem Plüsch. Alles reich, elegant. Das unsere Aufmerksamkeit am meisten in Anspruch nehmende Möbel ist der Schreib- und Arbeitstisch des Kaisers. Er macht den Eindruck einer bequemen Fülle, zugleich einer gewissen Gemüthlichkeit, da Alles, was da ist, weder nach Zahl noch Werth der Gegenstände irgendwelche Uebertreibung übt. Leuchter und Schalen, Vasen und Flacons, Tintenfässer und Tintenwischer (diese in komischen Figuren) stehen umher; ein eingebrannter Fleck zeigt die Stelle, wohin er gewohnt war die brennende Cigarre zu legen; das Reizendste aber sind die Briefbeschwerer, insonderheit ein Amor, der den Bogen auf dem Rücken trägt und, beide Arme unterschlagend, jedem Herantretenden zu sagen scheint: ich habe meinen Dienst eingestellt. Wie Eugeniens Auge (Frauen sehen Alles) auf diesem Amor geruht haben mag? Gläubig oder zweifelvoll, gehoben oder bedrückt?!

Neben dem Arbeitszimmer das Schlafcabinet. Es ist viel reicher und prächtiger als das Schlafzimmer der linken Hälfte. Natürlich. Denn es war dies das Schlafzimmer der Fürstin von Hanau. In solchem Zimmer ist das Bett natürlich die Hauptsache. Auch hier eine Decke von weißem Atlas, aber statt mit langweiligen Wappenlöwen, mit Füllhörnern überstrickt, aus deren weiten Oeffnungen Alles, was Farbe und Duft hat, in einem Blüthenregen niederfällt. Eine Lyoneser Stickerei. Unter dieser Prachtschöpfung französischen Geschmacks schlief der französische Kaiser. Wenn er erwachte, fiel sein Auge nach links hin auf einen kronengeschmückten Ofenschirm, während zu seinen Füßen zwei alabasterne Bacchantinnen ihn grüßten. Was traf ihn tiefer?

Aus dem Bettzimmer in das Betzimmer. Es befand sich parterre neben dem, dem Tanzsaale des ersten Stockes entsprechenden Speisesaale. Die Einrichtung dieses Betzimmers war die einfachste von der Welt: ein großer auf goldenen Füßen ruhender Tisch, dessen Marmorplatte zu einem Altar hergerichtet zu werden pflegte.

Im Schlosse bleiben nur noch die Räume für die Ordonnanzen und Dienerschaften. Hier befinden sich die vielbesprochenen Erinnerungen an die Jerome-Zeit: große napoleonische Familienportraits, deren Schicksale von Anfang an so wundersam waren, daß ihrer an dieser Stelle gedacht sein mag. Es mochte im zweiten oder dritten Jahre seiner Regierung, also etwa 1809 oder 1810, sein, als Jerome den Plan faßte, Wilhelmshöhe mit einem napoleonischen Ahnen- und Familiensaale zu schmücken. Er befahl zunächst sein eignes Bild im Krönungsornat zu fertigen; daran sollten sich dann die Bildnisse seiner Brüder (voran der Kaiser), zuletzt auch die Bildnisse der vielgeliebten Reine Hortense und ihres „Lulu“, des spätern Louis Napoleon, reihen. Der Befehl erging natürlich nach Paris und die Paletten junger und alter Künstler erhielten zu thun. Aber alle Bemühungen reichten doch nicht so weit, daß nicht die Hast der Ereignisse die Hast des Schaffens überholt hätte, und als endlich in einer mächtigen Kiste König Jerome im Krönungsmantel eintraf, war der Krönungsmantel schon wieder von seiner Schulter gefallen. Wilhelmshöhe war wieder kurfürstlich geworden, und die Kisten, die unliebsame Erinnerungen weckten, wurden einfach in den Keller gestellt. Dort standen sie dreiundfünfzig Jahre. Erst 1866, als das kurfürstliche Hessen unter die Pickelhaube gekommen war, wurden die halbvergessenen Kisten neu entdeckt und ihre Bilderschätze an’s Licht gezogen. Es lag für die neue Herrschaft kein pressanter Grund vor, ihnen die Existenz, das Recht des Daseins nach so vielen Prüfungen noch länger vorzuenthalten, und so wurden denn verschiedene Zimmer des zweiten Stocks zu einer Art Erinnerungsgalerie an die Jerome-Zeit auserkoren. In diesen Zimmern befanden sich die napoleonischen Familienportraits noch, als der Kaiser am 4. September in Wilhelmshöhe eintraf. Seine Adjutanten erhielten ihre Wohnungen in speciell diesen Räumen angewiesen. Doch scheint es (wenn ich recht verstanden habe), daß eben diese Bilder noch während der Anwesenheit des Kaisers auf Wilhelmshöhe aus den betreffenden Zimmern entfernt und, nach kurzem Dasein in der Welt des Lichts, in ihre alte Kistenbehausung zurückbefördert worden sind.

So viel über die Kaiserzimmer auf Wilhelmshöhe; ich war bemüht, auch über das Leben, das der Kaiser in diesen Zimmern führte, das Eine oder das Andere in Erfahrung zu bringen. Ich hörte auch dies und das, aber es tröpfelte nur. Ich gebe dies Wenige.

Er war zu guter Stunde auf, hatte um Elf sein Dejeuner, um Fünf oder Sechs sein Diner. Sein Hofstaat, wenn man von einem solchen sprechen darf, bestand nur aus wenigen Personen, aus dem General Pajol, dem General Castelnau, dem Prinzen Murat etc. Wie aus dem inzwischen erschienenen Büchelchen des Prinzen Napoleon (gegen Trochu) bekannt geworden ist, erbot sich auch dieser, von Florenz aus, die Gefangenschaft auf Wilhelmshöhe mit dem „Haupte der Familie“ zu theilen. Der Kaiser lehnte dies Anerbieten aber dankend ab. Das Leben auf Wilhelmshöhe, wie es in einem engsten Cirkel sich bewegte (die Zeiten der „ersten, zweiten und dritten Serie“ waren vorüber), war auch zugleich ein sehr zurückgezogenes, sich absolut auf Schloß und Park beschränkendes. Der Kaiser ging, ritt, fuhr; – dies erhielt ihn körperlich frisch; an schlechtesten Tagen mußte die Billardtafel aushelfen. Im Uebrigen aß er, las und schrieb er; seine alten literarischen Gewohnheiten traten sofort wieder in den Vordergrund. Man darf füglich sagen, er hatte zu allen Zeilen etwas von einem vornehmen, eigene Wege gehenden, still-ehrgeizigen Publicisten und kehrte, wenn der Wandel der Geschicke es erheischte, jedesmal mit einer gewissen Vorliebe zu seinem eigentlichen „Rübenfeld“

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_720.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)