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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

den Feldern und Wiesen abwehrte und reich an Hochwild war, also eine dreifache Wohlthat und Zierde der Besitzung. Und der Eigenthümer wußte besonders diesen Schatz zu würdigen, weil er zu seinen eifrigen Gutsverbesserungen wesentlich beigetragen hatte. War es dem Fleiße und der Umsicht des Ministers doch gelungen, den Abwurf dieser Güter, den er mit kaum zwölfhundert Thaler Höhe überkommen hatte, bis zum Jahre 1740 auf mehr als sechstausend Thaler zu steigern. Kein Wunder, daß ihm eine solche Besitzung eben deshalb ganz besonders am Herzen lag.

In schnurgeraden Linien mittendurch diese Güter, von Gettin an, das in etwa halbstündiger Entfernung von Brandenburg liegt, anfangs die Plane entlang, dann querfeldein bis nach dem Kirchdorf Krahne hin, in einer Länge von fünf Viertelstunden, wurden im Frühjahr 1741, die Zeltpflöcke eingeschlagen, und bald marschirte und trabte es heran, füllte Zelte, Baracken und Ställe und warf ein großartiges Kriegsbild mitten in die Gefilde des Friedens. Die Fronte dem Rittersitz und Hauptquartier Rekahn zugewendet, stand das Centrum der ersten Lagerlinie, lauter Infanterie; die beiden Flügel nahm die Cavallerie ein. Die zweite, in viertelstündiger Entfernung mit der ersten parallel laufende und etwa eine Viertelmeile kürzere Lagerlinie bewahrte im Centrum den Artilleriepark, zu beiden Seiten lagerten wieder Infanterie-Abtheilungen, und auf beiden Flügeln Dragoner. Bei Schmöllen an der krummen Havel und am Rande des obengenannten Fichtenwaldes war das Proviantmagazin und die Brodbäckerei hinter Feldschanzen geborgen und das Lazareth in Brandenburg eingerichtet, Commandirender der gesammten Armee war, wie bereits bemerkt, der Feldmarschall v. Katt.

Und nun ging’s los. Man kann sich mit dem besten Willen nicht einreden, daß Schonung des Rochow’schen Eigenthums der Mannschaft zur besonderen Pflicht gemacht worden sei. Es ist kaum glaublich, wie weit die vollendetste Rücksichtslosigkeit in der Verwüstung hier gegangen ist. Daß die Wasserbauten in der Plane, namentlich im Mühlteich, völlig verdorben, der Fluß versandet wurde, kann durch den außerordentlichen Wasserbedarf entschuldigt werden; aber daß man auch den ganzen Kiefernwald ruinirte, indem man nicht weniger als vierunddreißigtausend Bäume umschlug, während das nöthige Holz von allen Seiten leicht beigeschafft werden konnte, ist schon höher anzukreiden. In ähnlicher Weise litten alle Dörfer. In Krahne kam schon Ende April zu allem Unglück auch noch eine Feuersbrunst hinzu und legte das ganze Dorf sammt Vorwerk, Schäferei und Kirche in Asche. Später gesellte sich zur eingerissenen Noth noch die rothe Ruhr und decimirte die Bevölkerung so, daß ganze Häuser ausstarben. Alles mitten im Frieden und Freundesland.

Das Empörendste ist aber das Folgende. Im adeligen Hause zu Rekahn, in dem Familiensitz der Rochows, residirte Feldmarschall v. Katt, der feindselige Vetter des Hauses. Er hatte seinen Bedienten die Gerichtsstube zur Wohnung angewiesen, in welcher nicht nur viele wichtige Acten, sondern auch das alte Familienarchiv aufbewahrt wurde. Der Anordnung, Bedienten einen solchen Aufenthaltsort anzuweisen, verdankt man es, daß nach zwölf Wochen, wo v. Katt das Zeitliche gesegnete und dem neuen Commandirenden, dem General-Feldmarschall Fürsten v. Dessau und dem General der Infanterie, Prinzen v. Zerbst Platz machte, von sämmtlichen Actenstücken und Familienpapieren keine Spur mehr vorhanden war; sie waren sämmtlich verbrannt, als ob die vierunddreißigtausend niedergehauenen Fichtenbäume des Waldes nicht zur Feuerung ausgereicht hätten.

Sieben volle Monate währte die Herrlichkeit dieses Lagers, und als die Armee endlich abgezogen war, hinterließ sie eine Wüste, nicht schöner, als wenn die Türken in der Gegend gehaust hätten. Trotz alledem hat eigentlich Niemand das Recht, dieses königliche Truppen-„Campement“ ein Straflager zu nennen, denn obrigkeitlich ist es durchaus nicht als ein solches angekündigt oder rechtlich verhängt worden. Wenn man aber ferner erfährt, daß allerdings eine königliche Commission den mannigfaltigen Schaden auf den Rochow’schen Gütern selbst auf fünfzigtausend Thaler schätzt (und sie hat gewiß nicht überschätzt!), und daß dennoch dem Geschädigten nur wegen des Dorfes Krahne sechstausend Thaler Vergütung zuerkannt wurden, so wird sich wohl vom Standpunkt geschichtlicher Beurtheilung aus die Bezeichnung „Straflager“ nicht vermeiden lassen.

Wie durchgreifend die Verwüstungen waren, zeigt am besten die Nachhaltigkeit derselben. Im folgenden Jahr zählte das ganze Kirchspiel nur eine Trauung und fünf Geburten, während zweiundvierzig Personen männlichen und neununddreißig weiblichen Geschlechts starben – genau wie nach einem verheerenden Krieg. Die Bodenverschlimmerung durch das Niederhauen des großen Fichtenwaldes war eine der härtesten Nachwehen der allgemeinen Verwüstung des Gutes, und erst nach zwanzigjährigen rastlosen Arbeiten war der Ertrag desselben dem vor der Lagerherrlichkeit wieder nahe zu bringen gewesen.

Um sich der Rettung seines Eigenthums ausschließlich zu widmen, hatte Minister von Rochow im Jahre 1742 seine Entlassung genommen. Sein Sohn, Friedrich Eberhard v. Rochow, war der denkwürdige Mann, zu dem unser Artikel nun übergeht. Er ist am bekanntesten als der Domherr v. Rochow und als Reformator des preußischen Volksschulwesens in Wort und Leben, durch Lehre und That.

Wie so oft das Schicksal dem Menschen in der Jugend die Wege nicht verräth, die er als Mann laufen soll, so hätte wohl auch hinter dem wilden preußischen Garde-du-Corps-Reiter in den Schlachten von Lowositz und Prag schwerlich Jemand den frommen Domherrn gesucht, der nicht nur als trefflicher Landwirth, sondern noch mehr als Volkserzieher im Basedow’schen Geiste den Segen des Friedens hochhielt. Die Umkehr dieses Saulus in einen Paulus vermittelte allerdings ebenfalls das Schwert, denn wären dem kecken Reiter nicht nach der Prager Schlacht die Pulsadern der rechten Hand nebst der Hand selbst so durchhauen worden, daß er bei der Reiterei nicht weiter dienen konnte, so hätte ein Jährchen später das Fräulein v. Bose, die noch den herzoglichen Hof von Weißenfels gesehen, wo ihr Vater als Kanzler und Geheimrath geglänzt hatte, schwerlich den sanften Mann bekommen, mit dem sie, wenn auch selbst kinderlos, die geistige Mutter der Paar Hunderte von Kindern des ihr untergebenen Landvölkchens geworden ist.

Der Weg von der Gardereiterei bis zur Reformation der Volksschule ging mitten durch die Landwirthschaft hindurch. Die kostspieligen Kriege Friedrich’s des Großen hatten zur Verwahrlosung der Schulen auf dem platten Lande beigetragen und diese Vernachlässigung des Unterrichts drohte mit ihrem Gefolge von Unwissenheit, Aberglauben und Verdorbenheit auch die Nahrungsquellen des Bauern zu zerstören. Am bittersten spürte der Domherr dies an seinen eigenen Gütern. Binnen nur zehn Jahren waren ihm durch die Schuld seiner Schäfer allein für neuntausend Thaler Schafe zu Grunde gegangen. Es ist auch erstaunlich, auf welche Curen diese Leute bei ausbrechenden Schafkrankheiten verfielen. Ein solches Mittel war das sogenannte Nothfeuer. Der Schäfer mußte es durch Reiben mit einem Wagenrade und bei ernsthaftestem Stillschweigen hervorbringen, und durch dieses Feuer hindurch wurden dann die Schafe gejagt. Andere machten einen Reif von einem Faß rothen Weins auf dem Boden fest und jagten durch diesen die Schafe. Wehe dem Thierarzte, welcher sich diesen unfehlbaren Mitteln der Schäfer widersetzt hätte!

Mußte so zunächst wohl die Nothwendigkeit einer Schäferschule, wie eine solche bereits zu Stolpen in Sachsen bestand, dem Domherrn einleuchten, so scheint von da der Schritt zur Radicalcur der gesammten Volksschule ein sehr rascher gewesen zu sein. Schon im Jahre 1773 errichtete derselbe die neue Schule zu Rekahn, bildete sie zu einer Musterschule für seine übrigen Dörfer aus und sorgte durch seine vielen und vortrefflichen Schriften dafür, daß dieses Beispiel endlich sich auch über die Provinz Brandenburg und weiter in den Staat, in „das Reich“ hinaus Ansehen und Geltung erwarb.

In jene Zeit und diese Schule führt uns Niemand in liebenswürdigerer Weise ein, als der Vater der neuen Geographie, der alte Anton Friedrich Büsching. Dieser gründliche Mann machte mit seiner Gattin im Jahre 1775, und zwar vom dritten bis achten Juni, eine „Reise von Berlin über Potsdam nach Rekahn unweit Brandenburg“, deren Beschreibung er in einem Buche von nicht weniger als dreihundertzweiunddreißig Seiten mit einem Register von vierzehn Seiten und „Landkarten und anderen Kupferstichen“ herausgab. – Auf der Eisenbahn legen wir jetzt die Strecke dieser „Reise“ von Berlin nach Brandenburg mit dem Courierzuge in einer Stunde vier Minuten zurück; Büsching fuhr die acht Meilen in einer anstrengenden Tagereise von früh

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 722. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_722.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)