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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Er hatte wieder ein sehr echauffirtes Gesicht. Mit einem förmlichen Haß sah ich nach den Goldmünzen, von denen nun auch der Herzog einige vor seine Tante hinlegte. Er sagte ihr, daß ihm dieser Münzenschatz eine bedeutende Summe koste; nun sei aber auch das altberühmte herzoglich K.’sche Medaillencabinet eines der vollständigsten, denn es habe durch den heutigen Ankauf Exemplare erhalten, die für manchen Liebhaber so sagenhaft seien, wie der Nibelungenhort. …

Ich sah, wie fast unausgesetzt ein nervöses Zucken durch die Züge meines Vaters lief, er dauerte mich unbeschreiblich. Ich konnte mir recht gut denken, welche Qual es ihm verursachen müsse, zu sehen, wie die heißgewünschten Schätze unter allgemeiner Bewunderung von Hand zu Hand gingen, als das rechtmäßig erworbene Eigenthum eines Anderen. … Die Bitterkeit gegen Den, der ihn in seiner „Krämerweisheit“ zu dieser Entsagung verurtheilt, machte abermals meine ganze Seele rebellisch und ließ mich alle Zurückhaltung vergessen.

„Sehen Sie,“ sagte ich halblaut zu der Prinzessin, welche eben die prächtige Kaisermünze entzückt betrachtete, „das hat Herr Claudius auch besser wissen wollen, er behauptet, das Medaillon da sei unecht!“

Der Herzog fuhr herum, und sein durchbohrender Blick heftete sich zu meinem Schrecken halb überrascht, halb zürnend auf mein Gesicht.

Mein Vater aber lachte und strich mir mit der Hand wiederholt das Haar von der Stirn zurück. „Sieh da, mein kleiner Diplomat!“ rief er. „Ein Glück, daß der Papa sattelfest ist, der schöne Plaudermund da könnte ihm sonst schwer zu schaffen machen! Lächerlich!“ sagte er achselzuckend zu Herrn von Wismar – der Einzige, der sein Gesicht in bedenkliche Falten zu legen suchte, obgleich dieser geckenhafte Mensch sicher nicht das mindeste Verständniß für die Sache hatte – „der Mann versteht von Numismatik ohngefähr so viel, wie ich von seiner Tulpenzucht. … Zu Ihrer Beruhigung will ich Ihnen aber sagen, daß der Verkäufer der Münzen heute noch, mit verschiedenen Empfehlungsbriefen von mir in der Tasche, K. verläßt; er geht an Höfe und Universitäten unter der Aegide meines Namens; genügt Ihnen diese Bürgschaft für die von mir befürwortete neueste Acquisition Seiner Hoheit?“

Herr von Wismar lächelte verlegen und versicherte, daß ihm ein Zweifel auch nicht mit dem leisesten Gedanken gekommen sei.

Ein wahrer Sturm gegen den Dilettantismus erhob sich nun unter den Anwesenden, und Niemand war erboster als Fräulein von Wildenspring, die kaum noch mit der zuversichtlichsten Miene gelehrte Brocken in das Gespräch eingestreut hatte.

„Die Dilettanten sind und bleiben die Plage des Fachmannes,“ sagte mein Vater. „Ueber Claudius, den älteren, habe ich mich zwar bisher durchaus nicht zu beklagen gehabt – er ist streng zurückhaltend, vermeidet meine Begegnung auf seinem eigenen Grund und Boden geflissentlich und läßt mich mit seinen Kunstschätzen schalten und walten, wie ich Lust habe – dagegen macht mir häufig mein sogenannter Famulus das Leben recht schwer.“

„Ah, der schmucke Lieutenant?“ lachte einer der Herren.

„Er benippt die Wissenschaft wie der Schmetterling einen Blumenkelch,“ fuhr mein Vater mit einem bestätigenden Kopfnicken fort. „Appellirt man nur im Entferntesten an sein Nachdenken, husch, ist er auf und davon! … Für ihn ist die vom Hofe ausgehende Vorliebe für die Alterthumskunde gleichbedeutend mit jenen rasch wechselnden Modethorheiten, die ihn heute einen kleinen goldenen Sattel, morgen einen Maikäfer als Berloques tragen lassen. … Vor kurzer Zeit begleitete er seinen Onkel auf einer Geschäftsreise im Norden. Auf seine dringenden Bitten gab ich ihm eine Empfehlung an Professor Hart in Hannover, der denn auch so freundlich gewesen ist, die Herren nach einer Gruppe von Hünengräbern in der Haide zu begleiten und eines derselben öffnen zu lassen. … Gott, wie sahen die Fundstücke aus, die der Herr Lieutenant in meine Hände niederlegte! Verbogen und in Stücken zerbrochen, ‚weil er sie in ein und dieselbe Kiste mit Mineralien zusammengesteckt habe, die ihm Professor Hart für einen Collegen mitgegeben,‘ entschuldigte er sich – das Herz hat sich mir umgewendet!“

Wie wenig ahnte mein Vater, daß sich in diesem Moment auch mir das Herz umwendete, daß ich einen unbeschreiblichen Groll empfand gegen Die, unter denen ich saß! … Man lachte und spöttelte, und Niemandem fiel es ein, den Abwesenden in Schutz zu nehmen. Herrn Claudius hatte die Prinzessin sofort vertheidigt, als ich in meiner Beschuldigung zu weit gegangen war; selbst Herr von Wismar hatte zu seinen Gunsten gesprochen – nur für Charlotte und Dagobert fiel kein freundliches Wort – die armen Geschwister!

Die Prinzessin unterbrach das allgemeine Gespräch plötzlich mit der an meinen Vater gerichteten Frage, bis zu welchem Zeitpunkte die Aufstellung der Antiken in der Karolinenlust beendet sein werde, sie interessire sich lebhaft für die an’s Tageslicht gezogenen Kunstschätze und habe sich vorgenommen, den Herzog bei seinem ersten Besuche zu begleiten.

„Ich habe dabei auch noch einen stillen Nebengedanken,“ sagte sie. „Ich möchte mir einmal gar zu gern das Claudius’sche Etablissement ansehen – die Glashäuser mit ihren Palmen sind ja weit berühmt. … Direct hinzugehen habe ich Anstand genommen – der Mann hat einen unerträglichen Bürgerstolz; da ist, wie ich fürchte, das Terrain sehr schwierig –“

„Und die entschieden pietistische Färbung, welche das Etablissement seit einiger Zeit an der Stirn trägt und die Eurer Hoheit so unsäglich zuwider ist?“ fragte Fräulein von Wildenspring lauernd – man sah, das fürstliche Vorhaben, jenes Haus zu betreten, war ihr sehr fatal.

„Ebendeshalb soll die Besichtigung der Kunstschätze Hauptzweck sein – ich werde im Vorübergehen den Garten besehen und brauche dabei weder den Hochmuth, noch die pietistische Tendenz des Besitzers in den Kauf zu nehmen.“

Das Hoffräulein reichte ihrer Gebieterin schweigend eine Tasse Thee und nahm dann scheinbar unterwürfig ihre Stickerei wieder auf. Den übrigen Theil des Abends füllte eine lebhafte Debatte über die Kunst der Alten aus, und die Hofherren, die über den Dilettantismus so grausam den Stab gebrochen, sprachen so sicher und zuversichtlich, so enthusiastisch mit, als seien sie sämmtlich solch berühmte Gelehrte wie mein Vater und als sei das Studium der Archäologie dasjenige, was einzig und allein ihre Zeit und Seelenkräfte in Anspruch nehme. Ich hätte ihnen auch unbedingt geglaubt, wären nicht die sarkastischen Blicke gewesen, die der Herzog häufig mit meinem Vater wechselte.

Bei unserm Weggange ließ die Prinzessin einen Foulard kommen und legte ihn mir um den Hals. Es sei kühl geworden, sagte sie, und ihre liebe, kleine Haidelerche dürfe nicht heiser werden. Meinem Vater versicherte sie, daß sie mich sehr oft bei sich sehen und unter ihren ganz besondern Schutz nehmen werde, dann küßte sie mich auf die Stirn, und wir verließen das Schloß.




21.

Ein Gewitter war inzwischen über die Stadt hingezogen. Kühl umfloß die Luft meine Schläfen, und der durchfeuchtete Kies des Schloßplatzes glänzte und funkelte im Lichte der Gaskronen. Eine Hofequipage brachte uns nach Hause; sie fuhr donnernd in den Claudius’schen Geschäftshof ein, und ein Gefühl von kindischem Hochmuth machte mir das Herz schwellen, als ich neben dem demüthig am geöffneten Schlage verharrenden fürstlichen Lakaien auf das Pflaster herabsprang, das mir vor wenigen Tagen ein halb und halb verweigerter Weg gewesen war. Meine Augen suchten Charlottens Zimmer, ich wünschte lebhaft, von dort aus gesehen zu werden, aber das ganze Vorderhaus war dunkel, mit Ausnahme der Treppenhausfenster. Eine prächtige, aber uraltmodische Lampenglocke hing hoch droben inmitten der Hausflur und beleuchtete in nächster Nähe die grauen, kräftig geschwungenen Steinbogen der Decke, welche am Tage dem Blicke unerreichbar erschienen.

In einem der ungeheuren Glashäuser, von denen auch die Prinzessin heute Abend gesprochen, brannte Licht – zwei große Kugellampen glühten purpurn in die Nacht hinein. Während wir den Hauptweg entlang schritten, hörte ich hastige Tritte vom Glashaus herkommen – es flatterte hell durch das nächste Rosengebüsch, und plötzlich stand Charlotte vor uns.

„Ich habe Sie kommen hören,“ sagte sie mit gedämpfter Stimme und fliegendem Athem. „Bitte, überlassen Sie mir das Prinzeßchen noch für eine halbe Stunde, Herr von Sassen – es ist eine so köstliche Nacht – ich bringe Ihnen die Kleine unversehrt nach der Karolinenlust.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_731.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)