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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Mein Vater sagte mir gute Nacht und versprach, Ilse von meinem Verbleiben zu unterrichten. Er ging, während Charlotte den Arm um meine Schultern legte und mich fest an sich drückte.

„Es hilft Ihnen nichts, Kindchen, Sie müssen ein wenig Blitzableiter sein,“ sagte sie halblaut und hastig zu mir. „Dort drüben,“ sie zeigte nach dem Glashaus, „sind zwei harte Köpfe aneinander gerathen. … Onkel Erich bringt so wunderselten den Abend mit uns zu, daß der gute Eckhof sich allmählich daran gewöhnt hat, die erste Geige an unserem Theetisch zu spielen. Heute nun präsidirt der Onkel selbst zu unser Aller Erstaunen; aber kaum sind wir vor den ersten fallenden Regentropfen aus der Laube in das Glashaus geflüchtet, als auch Eckhof in unbegreiflicher Albernheit und Tactlosigkeit anfängt, dem Onkel bittere Vorwürfe über Helldorf’s Anwesenheit beim heutigen Diner zu machen – er hat in ein furchtbares Wespennest gestochen!“ …

Sie verstummte und blieb horchend einen Augenblick stehen; Eckhof’s starke Stimme dröhnte herüber.

„Schaden kann es dem Alten freilich nicht, wenn seinen Muckerumtrieben im Geschäft und Haus ein wenig gesteuert wird,“ sagte sie, man hörte ihr den Aerger an; „er ist zu sicher geworden und treibt es arg, das ist ganz richtig! Nur vor Onkel Erich’s Forum durfte die Sache nicht kommen – er mordet den alten Mann mit seinen unerbittlichen Augen, mit seiner Kälte und Gelassenheit, die jedes Wort zu einem schneidenden Messer machen.“ Etwas beschleunigt schritt sie weiter. „Gott mag wissen, was den eigentlichen Anstoß zu diesem plötzlichen Aufeinanderplatzen gegeben hat! Jahrelang ist Onkel Erich wie mit verbundenen Augen neben dem Muckergeist im Hause hingegangen – Eckhof hat sich gehütet, ihm gegenüber je in sein unausstehliches biblisches Pathos zu verfallen; in diesem Augenblick aber, in seiner grimmigen Aufregung strömt ihm unwillkürlich die Salbung von den Lippen – es ist kaum zum Anhören! Mich widert es an, aus einem Männermunde solch unmündiges Gewäsch zu hören; andererseits bin ich doch auch dem Alten Dank schuldig; er hält zu Dagobert und mir, und das verpflichtet mich, das Strafgericht möglichst schnell abzukürzen. Kommen Sie, Ihr Erscheinen wird der Scene sofort ein Ende machen!“

Je mehr ich mich dem Glashause näherte – es war nicht das von Darling verwüstete – desto traumhafter wurde mir zu Sinne; ich hörte kaum noch, was Charlotte flüsterte, und ließ mich mechanisch von ihr weiterschieben. … Das Warmhaus lag weit abseits vom Hauptweg – ich hatte bisher nur die ungeheuren Glaswände herüberfunkeln sehen und war nie in seine Nähe gekommen. Damals lagen mir selbstverständlich Geographie und Botanik weltenfern – ich verstand nicht, daß die fremdartigen Gebilde dort ein zwischen Glas eingefangenes Stück Tropenwelt inmitten deutscher Vegetation seien, und hatte für beide nur die Bezeichnung: Wunder und Wirklichkeit. …

Da standen aber auch weder Kübel, noch Blumentöpfe, wie im vorderen Treibhause. Unmittelbar aus dem Boden stiegen Palmen so hoch und kräftig hinauf, als wollten sie den schützenden Glashimmel sprengen. Ueber braunes Felsgestein herab sprangen Wasser – sie zerstäubten an den Zacken in sprühende Funken und machten die riesigen, in die feinsten Federchen zerschnittenen Wedel prächtiger Farrnkräuter unaufhörlich erzittern. Cacteen krochen über das Gestein und streckten ihre abenteuerlichen Formen plump unbehülflich von sich; aber aus ihrem grünen Fleisch tropften spannenlange Purpurglocken und selbst drin, im fernsten Dämmerdunkel der wunderlich gezackten und verschränkten Pflanzenarme leuchtete es gelb und weiß auf, wie hingestreute, matte Lichtreflexe.

Ich sah zu Charlotte empor und meinte, sie müsse in demselben Rausch befangen sein und weiterwandeln, wie das aufgeregte, unerfahrene Menschenkind in ihrem Arm – ich bedachte nicht, daß das Alles ja auch zu „der Krambude“ gehörte, die sie und Dagobert so gründlich haßten und verachteten. … Sie hatte ihr funkelndes Auge unverwandt auf einen Punkt gerichtet, auf das Gesicht des Herrn Claudius. Er stand im vollen Lampenlicht neben einer Palme – genau so schlank und hochaufgerichtet, wie ihr feingepanzerter Stamm. … Es war nicht wahr – er hatte in diesem Moment keine tödtliche Kälte in den „unerbittlichen Augen“. Sein Gesicht war belebt und geröthet vor innerer Erregung, wenn auch die über der Brust ineinandergeschlungenen Arme ihm den Anschein von Ruhe und Unbeweglichkeit gaben.

Seltsam genug erschien der eilig hereingeschobene Theetisch inmitten der fremdartigen Umgebung. Dagobert saß daran – er war noch in Uniform; all’ das Blitzen und Leuchten auf Brust und Schultern harmonirte ganz anders mit der farbenglänzenden Pracht der tropischen Blüthen, als die ungeschmückte Gestalt des Onkels. … Mit dem Rücken nach Herrn Claudius gewendet, und in sichtlicher Verlegenheit einen Theelöffel auf dem Zeigefinger balancirend, sah er aus, als ob er sich vor einem über ihn hinrollenden Gewitter unwillkürlich niederducke. Er schien sich mit keinem Wort an den unliebsamen Erörterungen zu betheiligen, so wenig, wie Fräulein Fliedner, die so fieberhaft schnell strickte, als wenn es gelte, eine ganze Kinderbewahranstalt mit neuen Strümpfen schleunigst zu versorgen.

„Damit richten Sie bei mir nichts aus, Herr Eckhof,“ sagte Herr Claudius zu dem Buchhalter, der sich, beide Hände auf eine Stuhllehne gestützt, in ziemlich weiter Entfernung von seinem zürnenden Chef hielt, trotz alledem aber doch den Kopf herausfordernd in den Nacken warf – er hatte ja eben gesprochen, gesprochen mit seiner tönenden Stimme, in dem breit markirenden Tone, der schlagen mußte. – „Gotteslästerung, Unglaube, Gottesleugner – diese Lieblingsschlagwörter Ihrer Partei darf man allerdings in ihrer Wirkung nicht unterschätzen,“ fuhr Herr Claudius fort. „Mit ihnen hauptsächlich vollziehen Sie die unglaubliche Thatsache im neunzehnten Jahrhundert, daß sich ein großer Theil der aufgeklärten Menschheit einer Schaar engherziger Fanatiker äußerlich unterwirft – Viele, selbst Leute von Geist, scheuen immer noch einen gewissen Einfluß dieses, wenn auch sehr abgenutzten Anathemas auf die großen Massen und schweigen lieber, gegen ihre bessere Ueberzeugung – und das giebt dem Thronsessel Ihrer Partei noch für eine Spanne Zeit thönerne Füße.“ …

Der Stuhl unter den Händen des Buchhalters schütterte und schwankte, Herr Claudius ließ sich jedoch durch das Geräusch nicht beirren.

„Ich hin ein Verehrer des Christenthums – verstehen Sie mich recht – nicht der Kirche,“ fuhr er fort. „Ich habe auf Grund meiner eigenen Ueberzeugung deshalb auch an der Verfügung aller meiner Vorgänger festgehalten, nach welcher ein frommer Sinn unter den Arbeitern der Firma gepflegt werden soll – nie aber werde ich dulden, daß mein Haus zu einem Brutnest religiöser Verirrungen gemacht wird! … Ein Handlungshaus, das die Fäden seiner Beziehungen über die Meere hinüberwirft und sie im türkischen, im chinesischen, in jedwedem Boden wurzeln läßt, und die finstere Orthodoxie, die Unfehlbarkeit im Glauben, die sich in ihr fest zugekittetes Schneckenhaus verkriecht – eine widersinnigere Verschmelzung giebt es nicht! … Müssen unsere jungen Handlungsreisenden, die Sie so beflissen sind orthodox zu erziehen, nicht entsetzlich heucheln, wenn sie mit Denen, die sie als von Gott verworfene Andersgläubige verachten, in freundlichen Geschäftsverkehr treten sollen? … Ich kann es mir selbst nicht verzeihen, daß der finstere Geist unbemerkt so lange neben mir herwandeln durfte, daß meine Leute leiden mußten –“

„Ich habe Niemand gezwungen!“ fuhr der Buchhalter auf.

„Allerdings nicht mit der Knute in der Hand, Herr Eckhof – wohl aber mittels Ihrer Stellung zu den Leuten. Ich weiß, daß zum Beispiel unser jüngster Commis, ein mittelloser Mensch, der von seinem Gehalt eine verwittwete Mutter zu unterstützen hat, weit über seine Kräfte zu Ihrer Missionscasse beisteuert, von deren Existenz ich bisher keine Ahnung hatte. Unsere sämmtlichen Arbeiter und Arbeiterinnen lassen sich geduldig allwöchentlich einen Beitrag zu der genannten Casse von Ihnen abziehen, weil sie – nicht anders dürfen, weil sie der Meinung sind, daß Sie Alles bei mir vermögen, und ihnen schaden könnten. … Bedenken Sie denn nicht, daß diese Leute ihren Glauben ohnehin theuer genug bezahlen müssen? Tritt nicht die Geistlichkeit bei jedem ihrer wichtigeren Lebensmomente mit der offenen Hand an sie heran? Ihre Taufe, die Schließung der Ehe, die Feier ihrer Versöhnung mit Gott, selbst den letzten Schritt, den sie aus der Welt thun, das Alles versteuern sie der Kirche mit ihrer Hände Erwerb – und deshalb fort mit der Missionscasse aus meinem Hause! Fort mit den Tractätchen, die ich gestern massenhaft

in den Tischkästen der Arbeitsstuben gefunden habe, und die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 732. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_732.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)