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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Weg darin führte. Aber nicht daher allein; die Anhänglichkeit junger Schauspieler an Meister Heinz entsprang auch zugleich dem Umstande, daß er eine wahrhaft feine und bezaubernde Weise besaß, mit ihnen collegialisch zu verkehren. Wenn er auf der Probe gescholten, gezankt und gewettert, wenn er über ein Vergreifen oder Mißverstehen der Rolle oder der Situation wie ein Rasender gewüthet, wenn Alles verstimmt, verdutzt und beleidigt war, dann am Schlusse der Probe trat Marr’s glänzendste Seite an’s Licht. Dann lächelte er verschmitzt, rief die Getadelten um sich und wußte sie durch ein paar gut angebrachte Worte wieder aufzurichten. Vorher ganz Director oder Regisseur, war er jetzt ganz College und welch liebenswürdiger College!

Es war wahrhaft reizend, ihn im näheren Umgange mit seinen „Komödianten“ zu sehen. Da konnte er toll und lustig sein, wie der Jüngsten einer. Und war er nicht auch jung und frisch bis in sein hohes Alter, bis in den Tod hinein? Noch sehe ich ihn im Geiste vor mir, Meister Heinz, mit seinen hellen, großen blauen Augen, seinen langen weißen Locken, seiner straffen strammen Gestalt – die ewige Jugend gaukelte um sein Haupt, „jene Jugend, die uns nie entfliegt“ und welche immer, „früher oder später, den Widerstand der stumpfen Welt besiegt“. Ja, Marr ist jung geblieben, jung in und mit seiner Kunst.

Wie lebhaft empfand er nicht auch ihre Stellung während des letzten Krieges! Unter dem 2. Januar 1871 schrieb er mir:

„Alle Theater bringen jetzt sogenannte patriotische Stücke! – Ich bin gewiß aus vollem Herzen ein redlicher Patriot, ja, ich habe es tief bedauert, daß meine Jahre mir die Anstrengung eines Feldzugs nicht mehr gestatten; aber diese sogenannten patriotischen Machwerke, deren ganzer Werth darin besteht, die Franzosen lächerlich zu machen und in trivialen Couplets zu beschimpfen, diese Machwerke sind mir verhaßt. Ein gewaltiger Muth, den geschlagenen Feind zu verhöhnen! Die nämlichen geistreichen Autoren würden dem Napoleon huldigen, wenn er als Sieger bei uns eingezogen wäre, und die nämlichen Coupletsänger dem siegenden Feinde ihren Sang mit dem nämlichen feurigen Accent darbringen. Pfui! Die Bühne soll sich nie zum Tummelplatz politischer Leidenschaft herabwürdigen. Man schreibe doch Stücke, die den Patriotismus, die Vaterlandsliebe auf eine würdige Weise heben und stärken. Ist das nicht ein testimonium pauperatis unserer deutschen Autoren?“

Seine geliebte Kunst beschäftigte ihn noch unausgesetzt auf dem Krankenbette, von dem er nicht wieder aufstehen sollte. Als ich im August dieses Jahres nach Hamburg kam und mich beeilte, ihn zu besuchen, fand ich ihn schon von den Aerzten aufgegeben.

Schon wurden alle Freunde abgewiesen, schon war seine liebevoll ihn pflegende Gattin auf sein Ende gefaßt. Mit einem fernher kommenden Vertrauten machte man jedoch eine Ausnahme; ich habe den sterbenden, von entsetzlichen Körperleiden gefolterten Marr noch dreimal gesprochen. Es war schon so weit mit ihm, daß er fast nichts mehr genoß und daß die geringste Bewegung an seinem Lager ihm unerträgliches Mißbehagen verursachte. Er lag meist und dämmerte vor sich hin. Aber sobald der Arme meinen Namen hörte, richtete er sich mühsam von seinem Kissen empor, öffnete seine großen blauen Augen und reichte mir die Hand, um dann sofort mit mir ein Gespräch über Theater zu beginnen. Er sprach von meinen Bestrebungen in Stuttgart, von Eleonore Wahlmann, in der er ein bedeutendes Talent erkannte, von Laube, von seinen eigenen Hoffnungen und Wünschen. „Ich werde nicht mehr spielen,“ sagte er, „aber ich werde auch an Krücken noch die Regie führen können. Ach, lieber Freund,“ fuhr er dann mit leiser, schwindender Stimme fort, „sie ist doch schön, unsere Kunst! Sie sitzt mit meiner guten Elsbeth“ (so nannte er seine Gattin) „an meinem Schmerzenslager, und während diese mich körperlich pflegt und hegt, richtet mich jene geistig auf. Sie ist meine Scheherizade, die mir die wunderbarsten und lachendsten Märchen erzählt. Ich kann Ihnen nicht sagen Fedor“ (er liebte im vertrauten Umgange die Vornamen), „ich kann Ihnen nicht sagen, Fedor, was für reizende und schöne Pläne noch jede meiner Stunden beschäftigen, die mir die Krankheit von Schmerzen noch frei läßt. Wie viel bleibt mir noch zu wirken und zu schaffen, und welche Lust ist es, zu wirken und zu schaffen in einer Kunst, die wir lieben und welche unsere ganze Seele erfüllt!“

Ich kann nicht sagen, wie mich diese Auslassungen ergriffen. Sie berührten mich auf’s Traurigste; aber sie gaben mir auch zugleich eine versöhnende Empfindung. Marr sah und empfand den Tod nicht, der an seiner Seite stand, vor lauter Liebe und Begeisterung für seine Kunst. Seine Kunst verdeckte und verbarg ihm den Tod. Von ihr redend, von ihr träumend, ist er, wie die Wittwe mir telegraphirte, „wie ein Hauch dahin gegangen.“ Ehre seinem Andenken, ein großer Meister ist in ihm entschlafen, ein Meister, der dramatische Aufgaben mit seltener Wahrheit, Einfachheit und Natürlichkeit zu spielen verstand. Viele seiner Leistungen waren nicht leicht zu übertreffende Cabinetstücke der darstellenden Kunst. Sein alter Feldern, sein Riccaut, sein Kaufmann, sein Jude im Cumberland’schen Stücke dieses Namens, sein Baruch in „Dienstpflicht“, sein alter Marquis in „Helene von Seiglière“ – welche Rollen waren das von ihm noch in seinem hohen Alter! Wer sie sah, wird sie nie vergessen.




Ein erzbischöflicher Ketzer und Märtyrer.
Von E. M. Sauer.


Wer die stolze Bergveste Hohensalzburg besucht hat, erinnert sich gewiß noch jenes kleinen, engen Gemachs zur Seite des prunkvollen Banquetsaales, das, genau dreiundsechszig Quadratfuß messend, dem Besucher als Kerker des Fürsterzbischofs Wolf Dietrich gezeigt wird. In diesem Käfige soll der Gefangene fünf volle Jahre bis zu seinem Tode zugebracht haben, weil er, wie die Führerin zu sagen pflegt, „das Cölibat habe aufheben wollen“. Der Tourist, wenig vertraut mit der Specialgeschichte des ehemaligen Fürsterzbisthums Salzburg, nimmt gewöhnlich die Angabe auf Treu und Glauben hin. Er bewundert vielleicht das Raffinement geistlicher Bosheit, welche die gefallene Größe hart neben den Banquetsaal einsperrte, wo der Gefangene Ohrenzeuge der erzbischöflichen Tafelfreuden sein mußte, und denkt sich wohl dabei, wenn Wolf Dietrich kein anderes Verbrechen begangen hat, als daß er das Cölibat aufheben wollte, dann war die Strafe eine echt mittelalterliche, geistliche Barbarei. Nur wenige unter dem Gros der Touristen mögen dabei eine Ahnung davon haben, daß hier ein geistig hochbedeutender Mensch, der größte unter den Kirchenfürsten Salzburgs, jesuitischen Ränken und elender Habgier und Rachsucht elendiglich zum Opfer gefallen ist, denn trotz manches dunklen Schattens in seinem Charakter, zumeist eine unvermeidliche Folge der Zeit und der Sphäre, in welcher Wolf Dietrich lebte, war der Gefangene auf Hohensalzburg doch ein deutscher Fürst, wie es deren nur wenige gab, und darum verdient die Geschichte des erzbischöflichen Ketzers und Märtyrers von dem deutschen Volke gekannt zu sein. Gestützt auf die Mittheilungen des strengkatholischen und, was hierbei besonders schwer in’s Gewicht fällt, des kurfürstlich bairischen Archivbeamten Judas Thaddäus Zäuner, in dessen leider bis auf wenige Exemplare durch die große Feuersbrunst in Salzburg vernichteter Chronik von Salzburg, der seinen Bericht überall mit Documenten von unbestreitbarer Echtheit belegt, will ich versuchen in Kürze die Geschichte Wolf Dietrich’s wiederzugeben.

Wolfgangus Theodorikus von Raittenau, gewöhnlich Wolf Dietrich genannt, wurde im Jahre 1587 vom Salzburger Domcapitel zum Erzbischof gewählt. Er war damals kaum achtundzwanzig Jahre alt. Obwohl er das zu seinem Amte erforderliche Alter noch nicht erreicht hatte, übertrug ihm das Capitel doch die hohe Würde „in Ansehung seines hohen Verstandes und seiner seltenen Bildung“, wie es in dem betreffenden Documente heißt. Mit dieser seltenen Bildung hatte es seine Richtigkeit, denn Wolf Dietrich hatte sich nicht weniger als sechs Sprachen vollkommen zu eigen gemacht, war erfahren in der Wirthschaftskunde, der Staats- und Kriegswissenschaft und stand mit dem berühmten Astronomen Tycho de Brahe in fortlaufendem freundschaftlichem Briefwechsel. Daß jedoch die seltene Bildung und der hohe Verstand bei der Wahl nicht allein maßgebend gewesen sein mögen, geht daraus hervor, daß sich das Domcapitel in der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_738.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)