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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


zu verfolgen und festzunehmen. Drei Tage darauf wurde Wolf Dietrich’s Geliebte, Frau Salome von Altenau (von der wir später sprechen werden), mit zwei Söhnen und drei Töchtern nebst Gefolge zu Werfen festgenommen. Der Erzbischof setzte seine Reise durch’s Gebirg nach Kärnthen fort. In Moßheim erhielt er die Nachricht, daß er verfolgt werde. Er begab sich deshalb mit seinen beiden Brüdern Rudolph und Christoph über den Krätschberg und hatte die Grenze bereits hinter sich, als er von bairischen Reitern unter der Führung des Rittmeisters Herceles bei Gemünd eingeholt wurde. Sein Postmeister, Rottmayer hieß der Biedermann, hielt sogleich an und erklärte dem Erzbischof, er sei nicht mehr sein Diener. Unter Mißhandlungen aller Art wurde Wolf Dietrich nun nach Moßheim und von hier nach Werfen zurückgebracht, wo er auf dem Schlosse gefangen gesetzt wurde.

Die Gefangennahme eines so hervorragenden Kirchenfürsten machte natürlich eine ganz ungeheure Sensation in ganz Deutschland. Der Kaiser war empört, der Erzherzog Ferdinand in Gratz war wüthend wegen der Grenzverletzung und verlangte kategorisch, man solle den Erzbischof auf demselben Platze, wo man ihn gefangen, wieder in Freiheit setzen und ihm die abgenommenen Güter wieder zurückstellen, sonst werde er die in Kärnten gelegenen Besitzungen des Erzbisthums einziehen. Maximilian fand jedoch Mittel und Wege, den Kaiser und den Erzherzog zu beschwichtigen. Dem Kaiser sagte er, Wolf Dietrich sei nicht sein Gefangener, sondern der des Domcapitels, und bei dem Erzherzog entschuldigte er sich mit seiner „Unkenntniß der Grenze“. Das Domcapitel schickte Gesandtschaften an den Kaiser nach Prag und an den Papst. Von beiden wurde ihnen das Verfahren gegen den Erzbischof „ernstlich verwiesen“. Dabei hatte es jedoch sein Bewenden, und am 23. November wurde Wolf Dietrich früh zwischen fünf und sechs Uhr in aller Stille von Hohen-Werfen als Gefangener über den Nonnberg nach der Veste Hohen-Salzburg gebracht, die er nun nicht mehr verlassen sollte. Frau Salome von Altenau hatte man unterdessen wieder in Freiheit gesetzt, nachdem sie ein gewisses eisernes Kistchen übergeben hatte, welches ihr „nach genommener Einsicht“ unfehlbar wieder zugestellt werden sollte. Welche Bewandtniß es mit diesem interessanten „eisernen Kistchen“ hatte, wird nirgends erwähnt.

Nun begannen die Verhandlungen mit Wolf Dietrich wegen seiner Resignation. Der Erzbischof, durch die harte Behandlung kleinmüthig geworden, war hierzu bereit. Unter anderen Stipulationen bedang er sich eine jährliche Pension von zwanzigtausend Gulden aus. Der Vertrag wurde unterzeichnet, kam aber niemals zur Ausführung.

Da Papst Pius der Fünfte nicht gesonnen war, Maximilian’s gewaltthätiges Verfahren gegen einen so hohen Kirchenfürsten ruhig hinzunehmen, so gab er dem Herzog auf’s Neue sein „Mißfallen“ kund. Nun befahl Maximilian seinem Geheimrath Dr. Wilhelm Jocher in Salzburg, er solle „alle und jede Fälle, welche zu irgend einem Beweise des vom Erzbischofe bislang geführten ärgerlichen Lebens, Uebelhausens etc. wie immer dienen können, umständlich erkundigen und ausführlich verzeichnen und ihm solches ehestens zum Behufe seiner nach Rom gehenden Gesandtschaft überschicken“. Herr Jocher ließ sich das nicht zweimal sagen. Er brachte, wie der Chronist sagt, „ein ungeheures Sündenregister“ zusammen, welches den bairischen Gesandten Christoph Peutinger und Dr. Aurel Gilgen nach Rom geschickt wurde. Die Hauptbeschuldigungen lauteten: „Wolf Dietrich lebe in offenbarem Concubinate, sei Begünstiger der Ketzer und selbst der Ketzerei verdächtig und anbei auch Unterdrücker der Wittwen und Waisen.“ Der Papst setzte eine Congregation von Cardinälen ein, welche die Sache „ohne Geräusch“ untersuchen sollten. Es erfolgte jedoch kein Spruch, und zwar aus guten Gründen, denn die Beschuldigung der Ketzerei war absolut nicht zu erweisen, und was das Concubinat betrifft, so waren derartige Verhältnisse damals etwas so Alltägliches, daß es geradezu lächerlich gewesen wäre, darauf hin Wolf Dietrich zu verurtheilen. Man entschloß sich also zu dem Auswege, der Erzbischof solle in die Hände eines päpstlichen Nuntius resigniren. Zu diesem Behufe wurde Monsignor Anton Diaz nach Salzburg gesandt. Am 7. März 1612 brachte man Wolf Dietrich unter starker Bedeckung in die Klosterkirche auf dem Nonnberge. Alle Thüren wurden mit Soldaten besetzt; Niemand hatte Zutritt. Der Nuntius führte Wolf Dietrich in die Sacristei, welche sofort verriegelt wurde. Außer den direct Betheiligten waren nur drei Diener zugegen, von denen einer als Notar, die beiden anderen als Zeugen fungiren mußten. Der Erzbischof wollte gegen diese Procedur Einwand erheben; er wurde jedoch gezwungen, zum Zeichen der Einwilligung die Hand auf die Brust zu legen, und hierauf wieder in’s Gefängniß gebracht. Wolf Dietrich war somit von jetzt an officieller Gefangener des Papstes.

Nach dieser infamen, jedem Gesetze hohnsprechenden Procedur schritt das Domcapitel, ohne die Genehmigung des Papstes abzuwarten, auf Betreiben des Nuntius noch in demselben Monate zur Wahl eines neuen Erzbischofs. Diese fiel auf Marx Sittich, Grafen von Hohenembs. Um sich zu behaupten, verfolgte der neue Erzbischof Wolf Dietrich sogar noch weit mehr, als dies Maximilian bisher gethan hatte. Beide setzten nun gemeinschaftlich ihre Beschuldigungen gegen den Gefangenen fort. Wahrscheinlich um dem Scandale ein Ende zu machen, befahl jetzt Papst Pius der Fünfte, der Gefangene solle nach Rom gebracht werden. Maximilian jedoch widersetzte sich auf das Heftigste. Wolf Dietrich, dem man in letzter Zeit einige Erleichterungen gewährt hatte, wurde nun im Juli in engste Haft gebracht. Man sperrte ihn mit zwei Franziskanern und zwei Dienern in ein Zimmer, dessen Fenster von unten mit Brettern verschlagen waren. Niemand hatte Zutritt; Bücher und Schreibmaterialien wurden ihm versagt, blos Bibel, Brevier und Gebetbücher blieben ihm gestattet. Im zehnten Monate seiner Haft erhielt er durch einen gemeinen Soldaten des Nachts Schreibmaterialien durch das Fenster gereicht. Wolf Dietrich richtete nun einen in vortrefflichem Latein geschriebenen (in Zäuner’s Chronik zweiundzwanzig Octavseiten umfassenden) Brief an Paul den Fünften, worin er, mit Ausnahme seines Verhältnisses mit Frau von Altenau (unius mulierculae contubernium heißt es in dem Briefe), alles Uebrige für elende Verleumdung erklärt, über den Nuntius bittere Beschwerde führt und bittet, man solle die Bischöfe von Sackau und Lavant zu seinen Richtern bestellen. Zugleich richtete er einen gleichfalls lateinisch geschriebenen Brief an die Cardinäle. Beide Briefe wurden von dem Soldaten zur Post gebracht, aber eine halbe Stunde vor Abgang derselben verrathen und dem Erzbischofe Marx Sillich übergeben.

Trotz der Verwendung mehrerer deutschen Fürsten, ja sogar trotz des Bittschreibens des Kaisers Matthias (vom 21. Oct. 1613) an den Papst, wurde von da an die Behandlung Wolf Dietrich’s noch „ungleich schärfer und schimpflicher als ehedem“, so zwar, daß zuletzt sogar sein unerbittlichster Feind, Herzog Maximilian „sowohl selbst als durch die Seinigen erklärte, er habe an dieser Behandlung nicht den mindesten Antheil!“

Wolf Dietrich ließ nun alle Hoffnung fahren und ergab sich in sein Schicksal. Im Innersten gebrochen, verbrachte er seine übrige Lebenszeit mit Beten und Bußübungen. Was er von seinem Deputat ersparte, ließ er unter die Armen vertheilen. Sein Beichtvater, der wackere Franziskaner Caspar Gopelzrieder, hielt treulich bei ihm im Gefängnisse fünf volle Jahre aus bis zu seinem Tode am 16. Jan. 1617. Aus dem Documente, welches Gopelzrieder über die letzten Stunden Wolf Dietrich’s ausstellte, geht hervor, daß der Gefangene auf dem Sterbebette allen seinen Feinden verziehen hat. Sein letzter Wunsch, „ohne alles Gepränge und nur von sechs Franziskanern begleitet“ begraben zu werden, wurde von Marx Sittich nicht respectirt. Er ließ die Leiche mit großem Prunke auf dem Friedhofe zu St. Sebastian bestatten.

So endete dieser unglückliche deutsche Kirchenfürst, ein Opfer nichtswürdiger Willkür, keines Vergehens überwiesen und Kaiser und Reich, ja sogar dem Papste zu Trotze, in elender Gefangenschaft. Frau Salome von Altenau (eigentlich Salome Alt, die Tochter eines Salzburger Bürgers und in ihrer Jugend das schönste Mädchen Salzburgs), mit welcher der Erzbischof lange Jahre hindurch in einer sogenannten „Gewissensehe“ gelebt hatte, begab sich, nachdem das Schicksal Wolf Dietrich’s entschieden war, mit ihren fünf Kindern nach Steiermark und später nach Wels. Sie starb, wie die Chronik sagt, in den besten Jahren. Bis zu ihrem Tode trug sie Trauerkleider um ihren unglücklichen Freund.

Es verdient hervorgehoben zu werden, daß Salzburg seine jetzige Gestalt weitaus zum größten Theile dem feingebildeten prachtliebenden Erzbischofe Wolf Dietrich verdankt. Während seiner

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 740. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_740.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)