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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Auf der Treppe, die in sieben Windungen zu Mélanie’s Mansarde führt, begegnen wir einem Blousenmann. Er trägt einen sechskantigen Sarg aus Tannenholz auf dem Rücken und schreitet langsam der Hausthür zu, vor der ein schwarzangestrichener Karren wartet.

„Uff!“ sagt er, indem er den Sarg auf den Wagen wirft. „Es ist verdammt hoch da herunter!“ …

Der Kutscher knallt, die Pferde ziehen an. Die Fahrt geht nach dem Père Lachaise.

Niemand giebt der armen Mélanie das Geleite. Der Todtengräber senkt den rohgezimmerten Kasten in das große gemeinsame Bettlergrab. Morgen früh, oder übermorgen wird er ihn verscharren. Für heute hat er keine Zeit – es ist ja Sylvesterabend!

Ernst Eckstein.




Blätter und Blüthen.


Eine französische Execution. Im Augenblick, wo sich die Tagesliteratur mit den wortbrüchigen französischen Generalen beschäftigt, dürfte, nachstehender Charakterzug des Ex-Generals Crèmer nicht ohne Interesse und eine gute Illustration zu dem Wirken dieses Ehrenmannes und der Disciplin seines Corps sein.

Kurz vor der Schlacht bei Nuits, die bekanntlich mit dem Rückzuge dieses Corps endete, plagte und ermüdete Crèmer in Beaune, wo er lag, seine Truppen durch tägliches Alarmiren, so daß zuletzt dem Alarm nur wenig Leute folgten. Ein Artillerist Namens Alexander Chenai aus Nantes (Rue de la Rosière Nr. 8) hielt es auch für überflüssig, dem Alarmsignal zu folgen, und fand es vielmehr für angemessener, dem erhabenen Beispiele seines Generals nachzustreben und sich in einem Weinhaus zu betrinken. Crèmer, der zufällig dasselbe Local zu seinem Hauptquartier ausersehen, sah Mr. Chenai und forderte ihn auf, dem Rufe Frankreichs zu folgen und zu den Waffen zu eilen. Chenai theilte diese Ansicht nicht, sondern sagte kurz, wenn Frankreich in Noth sei, gehöre der General an die Spitze seiner Truppe und nicht in’s Café, er werde dann folgen. Crèmer, über diese Frechheit wüthend, ließ Mr. Chenai am Collet packen, arretiren und Tags darauf durch ein Kriegsgericht zum Tode verurtheilen.

Die Execution sollte sogleich mit dem nöthigen Pompe stattfinden. Die Garnison rückt dazu aus. Mr. Crèmer erscheint wie gewöhnlich un peu grisé mit glänzendem Gefolge. Ein Peloton tritt vor, es wird Feuer commandirt – aber Chenai steht nach der Salve noch aufrecht. Das Peloton hatte zu hoch geschossen. Crèmer ist wüthend und läßt ein zweites Peloton vortreten. Dieselbe Scene wiederholt sich. Alles brüllt: „Gnade! Gnade!“ Das Publicum nimmt eine drohende Haltung an. Crèmer, um sich nicht weiter vor dem Publicum zu blamiren, läßt die Truppen einrücken und spielt den Edelmüthigen. Mr. Chenai wird, mehr todt als lebendig vor Angst, gebunden nach dem Gefängniß geschleppt und wähnt mit Galeerenstrafe das Leben erkauft zu haben. Doch bald sollte er sehen, wie sehr er sich in dem Edelmuthe seines Generals getäuscht. Plötzlich erscheint Crèmer von seinen Generalstabsofficieren begleitet im Gefängniß, läßt Chenai gebunden vor sich führen und befiehlt einem Generalstabsofficier, ihn zu erschießen – dieser folgt nicht nur dem gegebenen Befehl, es gelingt ihm auch, das gefesselte Opfer mittelst einiger Revolverschüsse zu ermorden. – Eines Kommentars bedarf dieser Meuchelmord weiter nicht.

Doch Crèmer sollte wenigstens in etwas schon jetzt gestraft werden. Das Volk und besonders die Weiber, welche für das Opfer Partei ergriffen, waren Crèmer in’s Gefängniß gefolgt, hatten die Schüsse gehört und den Mord erfahren. Als nun Ehren-Crèmer das Local verließ, stürzten die empörten Weiber sich auf ihn und seinen Stab und würden ihn sicher zerrissen haben, wenn ihn nicht seine Gensdarmerie befreit hätte; für diesmal kam er mit ausgerauften Kopf- und Barthaaren davon und wenn ihm damals in Beaune zugleich von dem empörten Volke seine Gradabzeichen abgerissen wurden, so erscheint das Kriegsgericht von heute, das ihn zum Hauptmann degradirt hat, nur als Nachrichter.

Doch die Gunst des französischen Volkes ist wandelbar, schon ein paar Tage nach jener widrigen Scene wurde ein vermeintlicher Sieg von Crèmer ausposaunt, und Ehren-Crèmer ward wieder der Held des Tages. Dieselben Damen, welche ihm den Bart ausgerauft, fanden ihn un peu grisé unwiderstehlich.

Vorstehende Thatsachen wurden mir, zur Zeit wo ich in Beaune stand, von den glaubwürdigsten Magistratspersonen mit tiefer Entrüstung erzählt und vollständig verbürgt.

v. F.



Bock’s Briefkasten.

An die Dummen, welche nicht alle werden. 1) Die Dümmsten unter diesen Dummen sind diejenigen, welche sich bei sichtlichen Augen durch Geheimmittel-Schwindler ihr schönes Geld aus der Tasche stehlen lassen. Trotzdem daß immer und immer wieder von reellen Männern der Wissenschaft gepredigt wird, daß alle Geheimmittel nichtsnutziges, wenn nicht gar schädliches Zeug sind und daß es bei allen auf Geldprellerei abgesehen ist, so blüht der Geheimmittelschwindel doch in einer Weise, daß man geradezu am Volksverstande verzweifeln möchte. Soviel sollte doch eigentlich jeder Mensch in der Schule denken lernen, selbst ohne naturwissenschaftlichen und anthropologischen Unterricht genossen zu haben, daß er die Heilung einer Menge ganz verschiedener und schwerer Krankheiten durch ein und dasselbe, von einem unwissenden Laien gebrautes oder gemischtes Zeug für nicht gut möglich halten müßte. Aber nein, je widernatürlicher ein Mittel, je tiefer der Bildungsgrad und je höher die Frechheit des Geheimmittelbrauers ist, desto mehr findet das Mittel Anklang.

Es sind aber doch Kranke und sogar solche, die vom Arzte aufgegeben wurden, dadurch gesund geworden und haben ihre Heilung gerichtlich attestirt? – Wie oft soll man denn aber erklären, daß Kranke auch bei dem unsinnigsten Hokuspokus und dem lächerlichsten Firlefanz gesund werden können und zwar deshalb, weil die allermeisten Krankheiten ohne Arznei mit Hülfe des Naturheilungsprocesses zur Heilung gelangen. Ja, es können durch diesen Proceß sogar Krankheiten heilen, welche vom Arzte für unheilbar erklärt wurden. Dann hatte freilich dieser Arzt die Krankheit nicht richtig erkannt und zu vorschnell geurtheilt. Dies ist aber deshalb recht leicht möglich, weil manches ungefährliche, vorübergehende und heilbare Leiden in seinen Erscheinungen einem unheilbaren tödtlichen ziemlich ähnlich auftritt. So kann z. B. eine tiefe, meist ungefährliche Magengeschwürnarbe im späteren Lebensalter zeitweilig für unheilbarer Magenkrebs, eine Erweiterung der Luftröhrenzweige innerhalb der Lunge für Lungenschwindsucht gehalten werden. Es folgt hieraus, daß man die Zeugnisse Solcher, die während des Gebrauchs eines Geheimmittels gesund wurden, durchaus nicht anzuzweifeln braucht; die Geheilten wurden aber nicht durch, sondern trotz des Mittels mit Hülfe des Naturheilungsprocesses gesund, und litten sie angeblich an einem sonst unheilbaren Leiden, so war dies eben keins. – Der frechste aller Geheimmittelbrauer ist

Hr. Carl Jacobi in Berlin, der Königstrank-Verfertiger, der sich selbst zum wirklichen Gesundheitsrath (Hygiëist) und seinen Trank zur langersehnten, wirklichen Universal-Medicin ernannt hat. Dieser Rath, dessen Schreibart die eines Unzurechnungsfähigen ist, greift in der schamlosesten Weise Männer der Wissenschaft öffentlich mit gemeinen Redensarten so an, daß jeder anständige und vernünftige Mensch sofort in den Stand gesetzt wird, das schmutzige Geschäft des Herrn Jacobi zu erkennen. Dieser saubere Gesundheitsrath hat aber den Muth zu derartigen Angriffen, weil er recht wohl weiß, daß die von ihm angegriffenen wissenschaftlich gebildeten Aerzte seine blödsinnigen Behauptungen zu widerlegen sich nicht die Mühe geben. – Nur Solche, welche die Natur mit demjenigen Maße von Dummheit begabt hat, Alles zu glauben, was ein Schwindler in den Zeitungsinseraten sagt, werden es für möglich halten, daß ein Trank, dessen Hauptbestandtheile bald Aepfelwein und Pflaumenmus, bald Tamarindenabkochung mit Zucker und Weinsteinsäure sind, folgende schwere und unheilbare Krankheiten zu heilen im Stande ist: Hundswuth (durch nur zwei Flaschen), Magen- und alle anderen Krebse, die tödtlichsten Herzkrankheiten, unheilbare Erblindungen, Blasensteine (mitunter schon nach wenig Tagen aufgelöst), Pocken (mit Heilung über Nacht), Hals- und Lungenschwindsucht, Rückenmarksdarre, Milzbrand u. s. f. Die Flasche dieses Wundertrankes, der angeblich aus mehr als hundert Pflanzen bereitet sein soll, kostet einen halben Thaler und ist für einige wenige Pfennige herzustellen. – Daß die Presse, und sogar die liberale, die Jacobi’schen und andere derartige Anzeigen, trotzdem daß sie recht wohl weiß, weß Geistes Kind dieselben sind, in ihre Spalten, nur des erbärmlichen Gewinnes einiger Thaler wegen, aufnimmt und in der Welt verbreiten hilft, dadurch aber die Hand zum Betrügen ihrer armen kranken Mitmenschen bietet, ist eine sehr unmoralische Handlung.

Wird fortgesetzt.




Die Erinnerungseiche im Rosenthal bei Leipzig. (Mit Abbildung.) Wohl fast an allen Orten des großen deutschen Vaterlandes, von den großen Städten herab bis zum kleinsten Dorfe, hat man das Bedürfniß gefühlt, der Erinnerung an das große Kriegsjahr 1870–71 irgend ein äußerliches, für alle Zukunft berechnetes öffentliches Denkzeichen zu weihen, welches das gegenwärtige und das zukünftige Geschlecht mit Freude und nationalem Stolz erfüllen, zugleich aber dankbar erheben soll in dem Gedanken an die braven Söhne des Vaterlandes, welche für die große Sache ihr Leben geopfert haben. Besonders mit Bezug auf den letzten Gedanken hat die Stadt Leipzig ein sinniges Project zur Ausführung gebracht, indem sie zum Andenken an die Namen der gefallenen Söhne der Stadt in dem weitbekannten schönen Rosenthale im Mai dieses Jahres eine Eiche gepflanzt und mit dieser gleichzeitig einen Denkstein gesetzt hat. Unser heutiges Bild zeigt diese Eiche nebst ihrer Umgebung. Sie steht auf dem äußersten westlichen Ende der großen Rosenthalwiese, einem Flecken, der abliegt vom Verkehr und Geräusch der Welt und recht geeignet ist zur Erweckung einer andachtsvollen Stimmung. Im Hintergrund bilden schöne große Bäume eine breite Waldstraße, welche den Blick auf den Horizont gen Westen eröffnet. Dorthin gen Westen, wo die Leipziger Kinder so zahlreich in stiller Erde gebettet liegen, schaut die Eiche, und an ihrem Fuße lesen wir mit Rührung auf einem in Gestalt eines Schildes gearbeiteten marmornen Gedenkstein die von einem goldenen Lorbeerkranz eingerahmten Worte:

 Ihren
in den Siegeskämpfen
 1870–1871
 gefallenen Söhnen.
 Die Stadt Leipzig.

Rings um die eingegitterte Eiche ist ein schönes Blumenbeet geschaffen worden, welches nach vier Seiten hin in Kreuzformen ausstrahlt. Nach dieser Eiche ist schon Mancher gewallfahrtet, und mit Gefühlen des Dankes für das erhaltene Leben eines theuren Familiengliedes einen Lorbeerkranz den Gefallenen zu weihen. Aber auch solche, welche den Verlust irgend eines Lieben zu beklagen haben, wandeln dahin, um, fern von dem Grabe des theuren Todten, in Wehmuth an diesem seinem Andenken geweihten Orte einen Immortellenkranz niederzulegen und seiner zu denken. Namentlich wird dies in den ersten Tagen des Novembers der Fall sein, wenn das 107. Regiment, erst jetzt von Frankreich zurückkehrend, in Leipzig seinen Einzug hält. Da wird denn auch die „Erinnerungseiche“ reich geschmückt werden und für Viele das Ziel traurig ernster Wallfahrt sein.


Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_744.jpg&oldid=- (Version vom 16.7.2022)