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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


dargestellt ist, und fügen als Erklärung desselben die betreffende Homerische Textstelle bei. Odysseus war mit seinen Gefährten zur Insel Aeäa gekommen: „Diese bewohnte Circe, die schöne melodische Göttin.“ Er theilte seine Schaar in zwei Haufen, von denen der eine bei den Schiffen bleiben, der andere das Innere der Insel erforschen sollte. Das Loos entschied. Der Haufen, welchen Odysseus führte, blieb am Ufer, den andern führte Eurylochos. Odysseus erzählt nun:

„Dieser machte sich auf mit zweiundzwanzig Gefährten;
Weinend gingen sie fort und verließen uns trauernd am Ufer.
     Und sie fanden im Thal des Gebirgs die Wohnung der Circe,
Von gehauenen Steinen, in weitumschauender Gegend.
Sie umwandelten rings Bergwölfe und mähnige Löwen,
Durch die verderblichen Säfte der mächtigen Circe bezaubert.
Diese sprangen nicht wild auf die Männer, sondern sie stiegen
Schmeichelnd an ihnen empor mit langen wedelnden Schwänzen.
Also umwedeln die Hunde den Hausherrn, wenn er vom Schmause
Wiederkehrt, denn er bringt beständig leckere Bissen:
Also umwedelten sie starkklauige Löwen und Wölfe.
Aber sie fürchteten sich vor den schrecklichen Ungeheuern.
Und sie standen am Hofe der schöngelocketen Göttin
Und vernahmen im Haus anmuthige Melodieen.
Singend webete Circe den großen unsterblichen Teppich,
Fein und lieblich und glänzend, wie aller Göttinnen Arbeit.
Unter ihnen begann der Völkerführer Polites,
Welcher der liebste mir war und geehrteste meiner Genossen:
     Freunde, hier wirket Jemand und singt am großen Gewebe
Reizende Melodieen, daß rings das Getäfel ertönet;
Eine Göttin, oder ein Weib! Wir wollen ihr rufen!
     Also sprach Polites; die Freunde gehorchten und riefen.
Jene kam und öffnete schnell die strahlende Pforte,
Nöthigte sie, und alle, die Unbesonnenen, folgten.
Nur Eurylochos blieb, denn er vermuthete Böses.
Und sie setzte die Männer auf prächtige Sessel und Throne,
Mengte geriebenen Käse mit Mehl und gelblichem Honig
Unter pramnischen Wein und mischte bethörende Säfte
In das Gericht, damit sie der Heimath gänzlich vergäßen.
Als sie dieses empfangen und ausgeleeret, da rührte
Circe sie mit der Ruthe und sperrte sie dann in die Kofen.
Denn sie hatten von Schweinen die Köpfe, Stimmen und Leiber,
Auch die Borsten; allein ihr Verstand blieb völlig, wie vormals.
Weinend ließen sie sich einsperren; da schüttete Circe
Ihnen Eicheln und Buchenmast und rothe Cornellen
Vor, das gewöhnliche Futter der erdaufwühlenden Schweine.“

So steht es im zehnten Gesange der Odyssee, und so sehen wir es in Preller’s neuntem Carton und in dem vorliegenden Buche, das wir wohl nicht weiter zu empfehlen brauchen. Es ist Jeder zu beneiden, der sich des Besitzes dieses Prachtwerks erfreuen kann.




Weinprobe und Weinversteigerung.


Ueber uns das blaue Gewölbe eines frischen, heitern Maimorgens, unter und um uns der Vater Rhein mit seinen vielbesungenen grünen Wogen und vor uns die Weinberge des Rheingaus und die Bingen-Ingelheimer Landschaft – so rauschten wir von Mainz aus stromabwärts dahin auf dem neuen, nach amerikanischem Muster erbauten Dampfschiff „Wilhelm, Kaiser und König der Deutschen“. Es war in der That für Alles gesorgt, was das Herz nur wünschen konnte. Denn in dem Riesenschiff, welches in seinen drei über einander liegenden Etagen mehrere hundert fröhliche Passagiere barg und welches über hunderttausend Thaler gekostet haben soll, genoß man bei der comfortabelsten und elegantesten Einrichtung und einer ebenso vorzüglichen als billigen Verpflegung die größte Behaglichkeit, und dabei lag über der ganzen uns umgebenden Natur, über Wald und Strom, eine Anmuth und Farbenpracht, daß sich die Brust plötzlich stolzer erhob und das patriotische Herz höher schlug bei dem Gedanken an den übermüthigen Nachbar im Westen, der seine räuberischen Hände nach diesem Juwel der deutschen Nation auszustrecken gedachte. „Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein“ und „Fest steht und treu die Wacht am Rhein“, so erklang es vom Vorderdeck her aus einem Kreise fröhlicher Heidelberger Studenten, ja es klang uns älteren Passagieren, die wir das Becker’sche Rheinlied einst als etwas „ganz Neues“ mit Begeisterung gesungen haben, wie die Bestätigung und Erneuerung eines alten Schwures der Treue und Standhaftigkeit.

Im Städtchen Elfeld (Eltville ist eine ungerechtfertigte Neuerung, welche selbst von den Bewohnern nicht adoptirt ist) verließen wir das Schiff, um sofort binnen wenigen Minuten und für noch weniger Groschen nach dem weinduftigen Hattenheim zu fahren, wo uns der Allerweltsfreund Vater Laroche im „goldnen Anker“ mit kostbarem Geisenheimer-Rothenberger und Mainzer Handkäse erquickte. Vater Laroche nennt alle seine Gäste ohne Ansehen der Person „Ihr“ und weiß so köstlich vom Rhein und dessen Weinen zu erzählen, daß man sein Haus stets belehrt und erheitert verläßt. Frankfurter oder vielleicht auch Mainzer Weinkaufleute saßen mit uns im Zimmer; sie sprachen die Absicht aus, die berühmten Domanial-Weinlager von Eberbach zu besuchen und behufs der in nächster Zeit stattfindenden Weinversteigerung die erforderliche Probe abzuhalten, so daß wir gern die freundlichst gebotene Gelegenheit zu einer so zuträglichen und interessanten Fußpartie ergriffen, welche nun sofort angetreten wurde. Ueber die berühmte Flur „Markobrunn“, welche ihren Namen von einer dem heiligen Markus geweihten Quelle ableitet, gelangten wir an das schon etwas höher gelegene Domanialgehöft „Neuenhof“, welches von dem Domanium nur zu dem Zwecke erworben ist, um daraus den Dünger für den unmittelbar angrenzenden hochberühmten „Steinberg“, die Wiege des Steinberger Cabinetweins, zu gewinnen.

Dieser edle Berg, ein Fürst unter den Weinbergen, ist wie einst das salomonische Heiligthum, von einer gewiß sehr kostbaren hohen Mauer rings umschlossen und nur durch wenige Thore zugänglich. In der Mitte der gewaltigen Fläche erhebt sich ein geschmackvolles Lusthaus mit der Hauptaussicht nach jener kostbarsten Perle, jener kleinen Parzelle am südlichen Abhange, welche das vorzüglichste Gewächs liefert und deshalb auch ganz besonders behandelt und abgeerntet wird. Das war also der berühmte Steinberg, dessen Namen wir schon so oft ganz am Schlusse der Weinkarte in gleichem Range mit dem Schloß-Johannisberger gelesen, dessen nähere Bekanntschaft wir aber aus ökonomischen Rücksichten stets vermieden hatten. Letzteres vielleicht zu unserem Glück, denn nach unseren nunmehrigen Erfahrungen hätten wir vermuthlich in den meisten Fällen den auf der Weinkarte notirten hohen Preis für einen wenn auch nicht gerade verächtlichen, jedenfalls aber ganz unebenbürtigen Stiefbruder des hochedeln Herrn von Steinberg bezahlen müssen. Ueberhaupt mußten wir heute von verschiedenem Illusionen Abschied nehmen, welche uns bisher so treu durch das Leben begleitet hatten, und unter Anderem brach bei den Mittheilungen unserer sachverständigen Begleitung jene idyllische Vorstellung von dem Leben und der Arbeit der Winzer wie ein morsches Gebäude zusammen. Hört man dergleichen Mittheilungen aus sachkundigem Munde, so könnte man bei dem Gedanken an den sauern Arbeitsschweiß, welcher zur Herstellung des Products erforderlich ist, und an die Seufzer der bittersten Enttäuschung bei schlechter Ernte den Appetit verlieren, wenn der Geist des Bacchus nicht kräftiger wäre, als die unfruchtbare, sentimentale Reflexion.

Hinter dem Steinberg noch ein kurzer Marsch auf der Chaussee, und vor uns liegt rechts hoch auf dem Rücken eines bewaldeten Hügels die großartige Irrenheilanstalt Eichberg und geradeaus im waldigen Thale das ehrwürdige Kloster Eberbach. Die alten Mauern, welche uns demnächst umfingen, haben eine reiche Geschichte, welche jetzt ihren vorläufigen Abschluß darin gefunden hat, daß an Stelle der frommen Cisterzienser Zuchthaussträflinge getreten, während die Keller der guten frommen Väter noch heute mit dem edelsten Naß gefüllt sind. Sämmtliche Räumlichkeiten sind den neueren Zwecken entsprechend und nach Bedürfniß hergestellt, namentlich das ehemalige Dormitorium der Mönche (der Dörmter), welches den Gefangenen ebenfalls als Schlafsaal dient und mit seiner langen Reihe von Pfeilern perspectivisch deshalb eine so mächtige Wirkung hervorbringt, weil die Pfeiler sich allmählich verjüngen. Zu beklagen ist es, daß die Bilder der Aebte in einem offenen Flur hängen, so daß die Spuren der allmählichen Zerstörung durch den Zahn der Zeit bereits in bedenklicher Weise sichtbar werden; aber ebenso bedauerlich ist es, daß das ehemalige Refectorium, ein kühner, durch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 751. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_751.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)