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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Thaler Preußisch Courant kostend, die Thuringia, Holfatia, Westphalia, Hammonia, Cimbria, Saxonia, Borussia, Bavaria, Teutonia, Allemannia, Silesia, Germania, Vandalia, Alsatia und Frisia. Mit dieser Flotte betreiben wir die directe Post-Dampfschifffahrt von hier aus auf drei Hauptlinien, nach New-York, New-Orleans und Westindien. Ferner besitzt die Gesellschaft zwei elegante Passagierdampfer, Cuxhaven und Helgoland, welche während der Badesaison die Linie Hamburg und Helgoland befahren, zwei Bugsirdampfer, Concurrent und Pilot, und eine aus dreizehn großen Fahrzeugen bestehende Leichterflotille, außerdem zwei schwimmende Dampfwinden und zwei schwimmende Kohlenlager, endlich ein eigenes großartiges Trockendock dort jenseits der Elbe am kleinen Grasbrook. – Die Gesellschaft arbeitet mit sechs Millionen Mark Banco Actiencapital, vier Millionen fünfhundertzwanzigtausend Thaler Prioritätsanleihe – also über zehn und eine halbe Million Mark Banco oder fünf und eine Viertel Million Thaler Preußisch Courant. – Hier,“ fuhr Herr Möller fort, das Buch mit den achtunggebietenden Ziffern wieder in die Tiefe seines Paletots versenkend, „können Sie einen Blick in den Maschinenraum werfen. Die Maschine hat nominell siebenhundertfünfzig, effectiv dreitausend Pferdekraft; es sind vier Kessel mit vierundzwanzig Feuern vorhanden, die täglich ungefähr sechszehnhundert Centner Kohlen verbrauchen. Die Kohlenmagazine des Schiffes fassen elfhundert Tons.“

Auf dem Wege zur ersten Kajüte zurück zeigte Herr Möller noch das Speisezimmer der Officiere, die Barbierstube, die Bäckerei, die Conditorei, das Eismagazin, die großartigen Küchen, die Hospitäler für Männer und Frauen, die Apotheke, sowie Vorrathskammern und Werkstätten verschiedenster Art.

Offenbar sollte nichts versäumt werden, uns auch von der Tüchtigkeit der Vorrathskammer den wünschenswerthen Begriff zu geben, denn wir waren kaum in den Salon getreten, als der Steward eisgekühlten Champagner excellenter Qualität brachte. Wir füllten die Gläser mit dem schäumenden perlenden Naß und stießen an auf glückliche nutzenbringende Fahrten aller Hamburger Schiffe und ihrer „Schwimmenden Hôtels“, und ganz besonders des guten Schiffes Thuringia.

Gustav Kopal.     

Wie der „Struwwelpeter“ entstand.


Nach fast drei Jahrzehnten besuchte ich jüngst zum ersten Male wieder die altehrwürdige deutsche Krönungsstadt am Maine. Welche Veränderung war seitdem mit Frankfurt vorgegangen! Ich erkannte kaum die Stadt, kaum ihre Bewohner wieder – Frankfurt ist eine deutsche Weltstadt im vollen Sinne geworden! Freilich auch so manche interessante Eigenthümlichkeit der „guten alten Zeit“ ist dem modernen Geiste zum Opfer gefallen; vor Allem jene Frankfurter Original-Charaktere, die sonst in Deutschland, in Ernst und Scherz, einer weiten Berühmtheit sich erfreuten, sind in dem gewaltigen Strome der tausendfach bewegten Gegenwart verschwunden. Auch meine Frankfurter Freunde von ehemals waren mir, dem Norddeutschen, gerade durch dies echt Frankfurter und zugleich so echt deutsche Gepräge ihre äußeren und inneren Wesens so lieb und werth geblieben.

Ihrer und der vor vierzig Jahren mit ihnen verlebten Studienzeit gedenkend, wandelte ich am Nachmittage in den reizenden Anlagen umher, welche die – jetzt innere – Stadt umgeben. Plötzlich tritt einer der Vorübergehenden, mich forschend anblickend, freundlich an mich heran; ein Moment des Zweifels, und mit lauter fröhlicher Begrüßung reichen wir uns die Hände. Es war Dr. Heinrich Hoffmann, einst mein Heidelberger Universitätsfreund, jetzt hochgeachtet als Arzt der Frankfurter Irrenanstalt, und weit und breit berühmt als Verfasser des „Struwwelpeter“. Er schien mir, trotz der grauen Barthaare, in keiner Weise gealtert; frei und natürlich, heiter erregt und anregend, wie in der glücklichen Jugendzeit, so stand er auch jetzt vor mir. In munterem Austausche unserer Erlebnisse seit so vielen Jahren schritten wir zwischen den Blumenbeeten der Anlage dahin; plötzlich bog er mit mir in eine auf dieselbe einmündende Gartenstraße.

„Sie haben gesehen, daß ich lebe; sehen Sie nun auch, wie ich lebe!“ Mit diesen Worten führte er mich, auf angenehmem Feldwege weiterschreitend, seiner Wohnung zu. Wir traten bald in einen großen, einfach und geschmackvoll angelegten Garten, der ein weitläufiges, stattliches Gebäude in gotischem Stile umgab. Es war die vor zehn Jahren, hauptsächlich auf Hoffmann’s energischen Betrieb erbaute Irrenanstalt, deren reizende, gesunde Lage, auf einem Hügel nordwärts der Stadt, die geistige und leibliche Pflege der Unglücklichen, denen sie zum Asyle dient, so wirksam unterstützt. Die vortretende Mitte des großartigen Gebäudes enthält die Wohnung des Arztes; von ihren Fenstern und Balconen überblickt das Auge südwärts die in die reiche Main-Ebene sich ausbreitende prächtige Stadt, nordwärts das mit Städtchen, Dörfern, Burgen geschmückte landschaftliche Paradies der Taunus-Abhänge.

Unter der belehrenden Führung des Freundes lernte ich alle Räume der reichausgestatteten Anstalt kennen. Ergriffen von den Eindrücken des menschlichen Elendes, wie es in den Krankenzellen eines solchen Hauses sich darstellt, und doch wieder gehoben und getröstet bei dem Anblicke der sich überall kundgebenden musterhaften Ordnung und Sorgfalt, ließ ich mich nach einiger Zeit mit dem trefflichen Seelenarzte auf dem Balcon nieder, im Anblicke der vom Golde der Abendsonne übergossenen anmuthigen Gegend. Doch mehr noch als diese fesselten zwei holde Kinderchen meine Aufmerksamkeit, die vor uns im Garten voll lauter Jugendlust ihre Spiele trieben.

„Das sind meine Enkelchen,“ sagte der Freund, „denen ich, um sie der dumpfen Stadtluft zu entziehen, eine kräftige Sommerfrische hier bereitet habe.“

„Sie sorgen“, rief ich aus, „so väterlich für die gesammte Kinderwelt; was Wunder, daß Sie für Ihre eigenen Kinder und Enkel doppelt väterlich besorgt sind! Sie haben sich ja,“ fügte ich scherzend hinzu, „durch Ihre Kinderschriften die Eltern und Kinder der ganzen civilisirten Welt zu großem Danke verpflichtet!“

In behaglicher Stimmung ging Hoffmann auf diesen Gegenstand ein, und so kamen wir auf die Entstehungsgeschichte des Struwwelpeter, die mir interessant und besonders für Eltern lehrreich genug scheint, um sie hier ausführlicher und, soweit mein Gedächtniß mir treu ist, mit Dr. Hoffmann’s eigenen Worten mitzutheilen, diese charakterisiren den Freund besser, als ich es vermöchte.

„Gegen Weihnachten des Jahres 1844,“ begann er, „als mein ältester Sohn drei Jahre alt war, ging ich in die Stadt, um demselben zum Festgeschenke ein Bilderbuch zu kaufen, wie es der Fassungskraft des kleinen menschlichen Wesens in solchem Alter entsprechend schien. Aber was fand ich? Lange Erzählungen oder alberne Bildersammlungen, moralische Geschichten, die mit ermahnenden Vorschriften begannen und schlossen, wie: ‚Das brave Kind muß wahrhaft sein‘, oder: ‚Brave Kinder müssen sich reinlich halten‘ etc. – Als ich nun gar endlich ein Foliobuch fand, in welchem eine Bank, ein Stuhl, ein Topf und vieles Andere, was wächst oder gemacht wird, ein wahres Weltrepertorium, abgezeichnet war, und wo bei jedem Bild fein säuberlich zu lesen war: die Hälfte, ein Drittel, oder ein Zehntel der natürlichen Größe, – da war es mit meiner Geduld aus. Einem Kind, dem man eine Bank zeichnet, und das sich daran erfreuen soll, ist dies eine Bank, eine wirkliche Bank. Und von der wirklichen Lebensgröße der Bank hat und braucht das Kind gar keinen Begriff zu haben. Abstract denkt ja das Kind noch gar nicht, und die allgemeine Warnung: ‚Du sollst nicht lügen!‘ hat wenig ausgerichtet im Vergleich mit der Geschichte: ‚Fritz, Fritz, die Brücke kommt!‘

Als ich damals heimkam, hatte ich aber doch ein Buch mitgebracht; ich überreichte es meiner Frau mit den Worten: ‚Hier ist das gewünschte Buch für den Jungen!‘ Sie nahm es und rief verwundert: ‚Das ist ja ein Schreibheft mit leeren weißen Blättern!‘ ‚Nun ja, da wollen wir ein Buch daraus machen!‘

Damit ging es nun aber so zu. Ich war damals, neben meinem Amt als Arzt der Irrenanstalt, auch noch auf Praxis in der Stadt angewiesen. Nun ist es ein eigen Ding um den Verkehr

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_768.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)