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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Nichts sagen!“ warnte mich die ganze ausdrucksvolle Geberde. Wie ein Traum flog es in meiner Seele auf, daß er mich schon einmal gewarnt hatte, aber ich fand in diesem häßlichsten Moment meines Lebens weder Zeit noch Klarheit, an das „Warum“ zu denken. Einzig und allein von dem Blick beherrscht und in eine unbeschreibliche Verwirrung versetzt, stammelte ich: „Ich weiß es nicht!“

Was hatte ich gethan? Mit dem letzten herausgestoßenen Worte wich der Zauber, und ich entsetzte mich vor meiner eigenen lügenhaften Stimme. … Wie, ich hatte eben vor all diesen Ohren erklärt, ich wisse nicht, ob meine Großmutter aus dem uralten, reichen Freiherrngeschlecht der Olderode stamme? Lüge, Lüge! Ich wußte es so genau wie die zehn Gebote Gottes, daß sie eine geborene Jakobsohn gewesen war – ich hatte sie als Jüdin sterben sehen und war ihr letzter Trost gewesen. … Zu welchem Zwecke diese entschiedene Verleugnung der Wahrheit? Noch heute muß ich sagen, „ich wußte es nicht.“ Ich hatte fast mechanisch unter fremdem Einflusse gesprochen und fühlte nur unter tiefem Jammer, daß ich mich Zeitlebens dieses Augenblicks schämen müsse. … Und wenn auch Alle, so wie eben Dagobert, mir Beifall zugenickt hätten – was half es? Einer richtete mich doch streng – er sah mich mit unverhohlener Bestürzung an, wandte sich ab und ging hinaus, und das war Herr Claudius.

Ich rang mit mir, aber ich fand nicht den Muth, durch sofortige Offenheit den Fehler zu sühnen. Scham und die Furcht, mich lächerlich zu machen, verschlossen mir die Lippen; auch wurde das momentane Schweigen, das meiner Antwort folgte, bald abgeschnitten – der erste Stoß des Gewittersturmes fuhr jäh durch die Straße und warf in erstickendem Wirbel dürre Halme und Blätter und die graue Staubschicht des sonnenheißen Pflasters gegen die Fenster. Noch einmal zerschlug er die schwarze Wetterwand droben, ein intensiv gelber Strahl brach herein – er funkelte blendend auf den Glasscheiben der gegenüberliegenden Häuser und warf fahle Reflexe schwankend über die dunklen Geräthschaften und Wände des dämmernden Salons.

Die Prinzessin erhob sich, während alle Anderen erschreckt an die Fenster eilten; auch mein Vater fuhr aus seinen interessanten Untersuchungen empor und kam schleunigst herüber. In meiner stillen Verzweiflung sah und hörte ich Alles, was um mich her vorging, wie im Traume. Ich sah Herrn Claudius wieder eintreten, hoch und fest und völlig unbewegt in den Linien seines Gesichts; aber ich wußte gerade in diesem Augenblick erst, weshalb ihn die Prinzessin so unverwandt ansah, wenn er zu ihr sprach – er hatte dann genau das Licht in seinen Augen, wie das Bild dort, das Licht, welches sie „die Seele“ nannte und das der alte pedantische Hofmaler nicht zu malen vermochte. … Sie legte die Hand auf seinen Arm und ließ sich die Treppe hinabführen; mechanisch nachfolgend, kam ich an Fräulein Fliedner vorüber, ihr milder Blick hatte etwas Kühles, Fremdes, als er mich traf – ach ja, sie hatte ja auch neulich im Glashause Dagobert’s Warnung mit angehört und sah nun das schwarze Siegel der Lüge auf meiner Stirn – ich biß die Zähne auf die Unterlippe und schritt über die Schwelle. … Die seidenen Schleppen der Damen rauschten die Treppen hinab, und dazwischen hinein klang die lieblich schmeichelnde Stimme der Prinzessin – mir schien es, als habe sie noch nie in so weichen, herzlichen Tönen gesprochen. … Sie wolle noch einmal in „das interessante Patricierhaus“ kommen, versicherte sie Herrn Claudius – Fräulein von Wildenspring und der Kammerherr steckten die Köpfe zusammen und dann nahm die impertinente Hofdame ihre Schleppe auf und warf mißtrauische Blicke auf die Treppenstufen, und Herr von Wismar fuhr fächelnd mit seinem Taschentuch durch die Luft, genau so wie Dagobert am Hügel gethan hatte – eine Demonstration gegen den fürstlichen Beschluß, wie sie sich drastischer nicht denken ließ. Charlotte ging hinter ihnen; ich sah von der Seite, wie ihr Gesicht aufglühte und die scharfgeschwungene Linie ihres Mundes sich in sprachloser Erbitterung verzerrte – auch das berührte mich augenblicklich nicht; aber jetzt fuhr ich empor aus der Betäubung, die mich gefangen hielt.

„Bravo!“ flüsterte es neben mir. „Haideprinzeßchen hat sich tapfer gehalten – nun bin ich ruhig in Betreff des Geheimnisses!“ Und Dagobert neigte sich so nahe und vertraulich zu mir, daß ich den Hauch seines Mundes fühlte. … Wäre mir plötzlich ein heimtückischer, schmerzlicher Schlag versetzt worden, es hätte mich nicht mehr aufbringen können als dieses Flüstern. Ich fühlte Groll gegen die braunen Augensterne, die mich anlachten – sie hatten mich zu der unbesonnenen Handlung hingerissen, und das Wehen des Athems, das lau meine Wange berührte, reizte und beleidigte mich – das war der Mann nicht mehr, für den ich jeder Anfeindung gegenüber muthig in die Schranken treten wollte – er war falsch, der schöne Tancred, und seine bewunderten kastanienfarbenen Locken waren Schlangen, die sich von der Stirn niederringelten – meiner nicht mächtig, stieß ich mit der Hand nach ihm, dann lief ich wie toll die Treppe hinab und hing mich an den Arm meines Vaters, der neben der Prinzessin eben die letzte Stufe verließ.

„Nun, nun, mein Kind, wir sind nicht in der Haide!“ verwies er mir lächelnd den Ungestüm. Das Höflingspaar war entsetzt zur Seite geprallt, als ich vorüberbrauste, und auch die Prinzessin wandte erstaunt den Kopf nach dem auffallenden Geräusch.

„Schelten Sie mir die kleine wilde Hummel nicht, Doctor,“ wehrte sie gütig. „Seien wir froh, daß ihr heiteres Naturell so rasch wieder durchbricht und den Abschiedsschmerz überwindet.“

Es war zum Verzweifeln – nun galt meine Empörung auch noch für kindischen Uebermuth, und Herr Claudius meinte es auch – er sah über meine kleine Person hinweg, sie schien für ihn nicht mehr zu existiren – recht so, die Strafe hatte ich ja verdient. …



24.

Ein heißer Brodem schlug von draußen herein in die Hausflur – es war, als habe sich der Blumenathem der Gärten zu einer trägen unbeweglichen Masse verdichtet. Noch war kein Schlag gefallen, kein erlösender Regentropfen netzte die lechzende Erde, aber auf den Steinplatten des Hofes kräuselten sich kleine Spähne und verstreute Papierschnitzel in verhängnißvollem Reigen, und die Pappeln drüben am Fluß sträubten ihre glatten Wipfel – der Sturm holte lief aus, um von Neuem hervorzustürzen.

Die Prinzessin bestieg eiligst ihren aus der Seitenstraße hereinrollenden Wagen, und mein Vater, der zum Herzog beordert war, begleitete sie. Herrn Claudius reichte sie noch einmal die Hand heraus, Charlotte und Dagobert dagegen wurde ein freundlich vornehmes Kopfnicken zu Theil, für welches sie sich dankend tief zur Erde neigten. Meine kleine Person wurde in der Hast und Eile übersehen, – und es war ganz gut so, ich wandte Allen den Rücken, schritt über den Hof und öffnete die Gartenthür. Ich hatte Mühe mich auf den Füßen zu halten – der Sturm brach los und raste über den weiten Plan. Grimmig fiel er mich an und riß mir die Thür aus der Hand; alle meine Kraft aufbietend erfing ich sie wieder und warf sie hinter mir krachend in das Schloß – sie durfte ja nie offen bleiben nach den streng gehandhabten Hausregeln.

Nun vorwärts. Ich taumelte, nach Athem ringend, einige Schritte weiter und hatte das Gefühl, als sei ich plötzlich mitten in wogende Wasser geschleudert. … Wie es lebendig fließend über die Erde hinlief, das bunte Meer der Blumen, wie es zerwühlt zusammensank und auf Momente das fahle Grün der Stengel und Unterblätter zeigte, um dann wieder aufzuschwellen in farbenfunkelnder Pracht! Und wie sie toll und wild wurden, die schlanken, vornehmen italienischen Pappeln, wie sie sich bogen und wanden in rasendem Tanz mit dem Sturm und tosend einstimmten in sein Gebrüll!

Ich hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen – zunächst flog ich mitten in das Heliotropenbeet, dann prallte ich gegen die Hofmauer zurück. Mit hochgehobenen Armen an die unebenen Steine mich anklammernd, drückte ich meinen Kopf gegen sie und ließ nun ausathmend die Wucht des Unwetters über mich ergehen. Scheu sah ich unter den Haarmassen hervor, die mir um das Gesicht flogen, denn die Thür nicht weit von mir fuhr rasselnd auf, und Herr Claudius trat heraus – er wandte suchend den Kopf nach allen Richtungen – da sah er mich.

„Ah, hierher hat Sie der Sturm verschlagen?“ rief er. Sofort stand er schützend vor mir – nicht eines meiner Haare hob sich mehr im Winde.

„Wahrhaftig, wie ein unglückliches Schwälbchen, das der

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