Seite:Die Gartenlaube (1871) 800.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Von Widerstreben gegen diesen fürstlichen Befehl konnte nicht die Rede sein. Kreußler sprach etwas Weniges von hoher Ehre und eigenen fehlenden Meriten und stellte sich auf den ihm angewiesenen Platz. Der Wettkampf begann.

Wer dieses in seiner Art einzige Paar einander gegenüber gesehen, der hätte sich selbst bei nur oberflächlicher Sachkenntniß doch einen deutlichen Begriff von dem Unterschiede deutschen und welschen Fechtens machen können.

Kreußler war wieder ganz er selbst. Keine Spur mehr von dem plumpen Naturfechter. Das linke Knie mit dem schräggestellten Fuße ein wenig gebogen, das rechte gestreckt, den Unterleib leicht einwärts gezogen, die gewaltige Brust ausgedehnt und trotzig dem Feinde dargeboten, das Gesicht mit seinen festen Zügen stolz erhoben und unverwandt auf seinen berühmten starken Gegner gerichtet, dessen Bewegungen er keine Secunde aus den Augen verlor, – so stand er da. In der ausgestreckten Rechten hielt er, des Angriffs gewärtig, mit festem Griffe das Rappier, die Spitze in Augenhöhe des Feindes, während die Linke in der Schultergegend der Brust ruhte, jeder Zoll ein Fechter. Erstaunt waren alle Blicke auf die fremde und in ihrer ruhigen Festigkeit doch so imponirende Erscheinung gerichtet.

Der Kurfürst musterte die Haltung des räthselhaften Fremdlings mit einem schnellen Blicke. Der Mann schien ihm zu gefallen. Sodann begrüßte er den Gegner durch die bei den Welschen übliche tanzmeisterhafte Verbeugung, während seine Waffe den Boden berührte, und ging sofort zum Angriff über.

Seine Gewandtheit war nicht geringer als seine Kraft. Doch wie er auch sich abmühen mochte, den Fremden zu treffen, – seine Mühe war fruchtlos. Seine schnellen, kräftigen Stöße trafen auf ebenso schnelle, kräftige Paraden. Vergeblich änderte er die Stellung; bald begann er sogar, hitziger geworden, den Gegner zu umkreisen. Nach französischer Art führte er Parade und Angriff mit gekrümmtem Arm aus; die linke Hand gesticulirte hoch emporgestreckt in der Luft umher; er retirirte, er avancirte in wilden Sprüngen: Alles umsonst. Kreußler avancirte allerdings nicht, doch retirirte er auch nicht – nicht einen Zoll. Wer nach den Grundsätzen seiner Schule auf der Mensur auch nur eines Strohhalms Breite hinter sich weicht, ist infam.

Da seine wüthenden Anfälle und schnellen Rückzüge nicht zum Ziele führten, versuchte es endlich der Fürst, den Gegner zum Ausfall zu verlocken, und hielt Stand. Dies hatte Kreußler erwartet. Mit kaltem Blute wußte er den günstigen Moment so gut wahrzunehmen, daß bereits nach wenigen Augenblicken die fürstliche Klinge von der seinigen in der ungünstigsten Lage überrascht, unwiderstehlich gefaßt und der riesenstarken Hand, welche sie führte, entwunden wurde. Weithin über die Köpfe der Zuschauer geschnellt, fiel sie klirrend zu Boden. Was noch kein Mann vollbracht zu haben sich rühmen konnte, hatte der Fechtmeister von Jena vollbracht. Der stärkste Mann seiner Zeit war entwaffnet und besiegt.

Augenblicklich schien sich zwar Etwas wie Zorn in dem Kurfürsten regen zu wollen, wenigstens wechselte er schnell die Farbe und starrte wie abwesend seinen Gegner an, der eine Anrede zu erwarten schien. Bald jedoch siegte seine natürliche Gutmüthigkeit, und er machte der allgemeinen Verlegenheit ein Ende, indem er an Kreußler mit den Worten herantrat: „Entweder seid Ihr der Beelzebub selbst, oder – der Kreußler von Jena!“

Kreußler verbeugte sich: „Das Letztere, Kurfürstliche Gnaden!“

Der Kurfürst war erfreut und äußerst huldvoll; er streckte seinem Sieger zum Willkommen die Hand entgegen. Der Fechtmeister schien zweifelhaft zu sein, ob er einschlagen solle; doch überwand er seine Bedenken, reichte dem Fürsten seine Rechte und bemerkte nur trocken: „Doch wenn ich Eure Kurfürstlichen Gnaden unterthänigst bitten dürfte: keinen Händedruck, wie den auf der Rasenmühle!“

Der Kurfürst lachte gnädig und ließ sich sodann vom Jenenser Meister einen Vortrag über die Vorzüge der von diesem verbesserten Fechtkunst halten, von welcher Seine Kurfürstlichen Gnaden sehr erbaut gewesen sein sollen, so daß sie selbige später selber sich anzueignen und zu cultiviren beschlossen haben. Kreußler aber wurde zur Tafel befohlen und mit allen Zeichen der höchsten fürstlichen Gnade entlassen. Jedenfalls konnte er nach Jena mit dem erhebenden Bewußtsein zurückkehren, einem deutschen Fürsten, der als der größte Freund gallischen Wesens bekannt war, eine sehr eindringliche Lection über das Thema ertheilt zu haben, daß nicht alles aus Gallien Eingeschleppte das Beste zu sein braucht.

Du aber, deutscher Jüngling, kommst Du Studirens Halber nach dem alten, tollen Jena: nimm die gute Gelegenheit wahr! Schöpfe die echte deutsche Stoßfechtkunst nach den Kreußler’schen Grundsätzen aus der Quelle, die noch am lautersten fließt. Ein scharfes Auge und eine sichere Faust kommen Dir wohl noch zu statten, wenn das Vaterland Dich ruft. Diese beiden und ein Herz, das auf dem rechten Flecke sitzt, werden uns nicht nur auf dem Fechtboden, sondern auch auf dem Schlachtfelde, wenn es noth thun sollte, gegen welsche Finten und Tigeraffensprünge zum Siege verhelfen. Infam Derjenige, der einen Schritt hinter sich weicht! – „Haut sie, daß die Lappen fliegen!“ soll dann mit Kreußler’s Urenkel unsere Devise sein.

D.


Das Wort der Mutter.
Von George Freiherr von Dyherrn.[1]

Könnt’ ich beschreiben dir den Klang
      Der Stimme, die mit süßem Ton –
Wie ist es her so lang, so lang –
      Einst zu mir sprach: „Geliebter Sohn!
Kein Laut auf weiter Welt ist gleich
      Dem Wort aus meiner Mutter Mund;
Noch macht es glücklich mich und reich,
      Noch klingt es fort zu jeder Stund’.

Als ich geeilt war Nacht und Tag
      Und dann an’s Bett der Mutter trat –
O, nimmer ich’s vergessen mag,
      Wie ich um dieses Wörtlein bat.
Und eh’ aus Fieberphantasie
      Ihr Geist zum ew’gen Licht entflohn,
Das Wort, das eine Wort sprach sie
      Im Tod zu mir: „Geliebter Sohn!“

Hinein nun in mein Leben hallt
      Der süße Klang zu jeder Zeit,
Liebkosend sanft und mahnend bald,
      Bald hell voll Lust, bald leis voll Leid.
Er segnet mich am Morgen früh
      Und sagt mir Abends: „Gute Nacht!“
Er hilft mir tragen jede Müh’,
      Der süße Klang voll Zaubermacht!

Wer ward beweint wie du, so heiß,
      Und doch, wie gönn’ ich dir die Ruh!
Mein einsam Herz voll Hoffnung weiß:
      Einst, Mutter kehrest wieder du;
Dann sterbend ist es mir bewußt,
      Daß du mir nahst, verkläret schon;
Du nimmst mich lächelnd an die Brust
      Und sprichst zu mir: „Geliebter Sohn!“

  1. Der Verfasser obigen Originalgedichts veröffentlichte bereits vor zwei Jahren einen Band Poesien unter dem Titel „In stiller Stund’“.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 800. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_800.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)