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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Ganzen, im Geiste und in den Gedanken, den poetischen, künstlerischen und sittlichen Motiven, aus denen es erzeugt und geboren wurde. Mag das wechselnde Scenengefüge der Erzählung dem Leser schon an sich eine fesselnde Unterhaltung bereiten, mag sie ihn beleben und erfreuen durch die trauliche Eigenart liebenswürdiger Menschengestalten, durch das leuchtende Grün und den erfrischenden Sommerhauch ihres thüringischen Berg- und Waldlebens, so hat sie das mit anderen Darstellungen unserer besten Erzähler gemein. Ihr bestrickender und bezeichnender Hauptreiz dagegen liegt, unserem Eindrucke nach, nur in dem unbeschreiblichen Duft jener sauberen Idealität, die nicht wie ein künstlich gemachter Anhauch über das Bild sich breitet, sondern gleichsam aus ihm hervorblüht, als ein gesundes Blut, eine vollkräftige Lebenswärme durch alle seine Züge und Adern schimmert. Auch häßlicher Unsinn, auch ererbte und verlogene Schnödigkeiten heutiger Gesellschaftsclassen werfen verhängnißvoll ihre breiten Schatten in das kleine Gemälde. Den Sieg jedoch über diese Gewalten vermoderten Dünkels und anmaßender Scheinheiligkeit erringt der harmlose Sinnesadel, das stolze und doch so bescheidene Würdegefühl einer jungfräulichen Weiblichkeit, die still und züchtig auf dem stillen Boden des kleinen deutschen Bürgerhauses, der deutschen Sitte und Bildung gewachsen und ihre Kraft zum Widerstande gegen Hochmuth und frömmelnde Heuchelei nicht aus der gedunsenen Weisheit verschollener Emancipations-Romane und ihrer zweifelhaften Heldinnen gesogen hat.

Goldelse mit Onkel Oberförster.

Wenn also für ein derartiges Literaturerzeugniß, das weder einer hausbackenen Alltäglichkeit zusagen, noch irgend einer geistigen oder sinnlichen Extravaganz genügen dürfte, in den weitesten Kreisen unseres Volkes eine so lebendige Empfänglichkeit sich zeigte, so konnte das immerhin in den mannigfach unklaren Gährungsjahren, welche unserm letzten Kriege vorhergingen, und im Hinblicke auf die gleichzeitige französische Literatur als ein trostreiches Cultursymptom erscheinen. Und in der That bietet denn auch die äußere Geschichte des Romans dem tieferen Beobachter solcher Vorgänge ein gewisses culturhistorisches Interesse dar. Nachdem „Goldelse“ bereits in der Gartenlaube, einer Durchschnittsberechnung nach, wohl von anderthalb Millionen Menschen mit unverkennbarer Theilnahme gelesen und in den verschiedensten, freilich meistens sehr schlechten dramatischen Bearbeitungen auch über unzählige große und kleine Bühnen gegangen war, stellte sich der Roman auf eigene Füße und erschien in selbstständiger Buchform. Von diesem Buche aber (wie auch von den späteren Romanen der Verfasserin) sind gleich im ersten Jahre zwei und bis zu diesem Augenblicke sechs für einen Roman ganz ungewöhnlich starke Auflagen vollständig vergriffen worden. Wer irgend von den Verhältnissen des Büchervertriebes nur eine oberflächliche Kenntniß hat, wird nicht behaupten wollen, daß solche Erfolge, solche dauernde Begünstigungen künstlich erzeugt oder gemacht werden können. Wo sie vorhanden sind, spricht sich in ihnen immer ein selbstständiger Antrieb, ein gänzlich unabhängiges Urtheil der Leser aus. Gebildete Damen haben uns denn auch zu unserer eigenen Ueberraschung gestanden, daß sie und viele ihrer Freundinnen „Goldelse“ bis jetzt fünf- oder sechsmal mit immer erneuertem Genusse gelesen, ja sogar in der französischen und englischen Uebersetzung gelesen haben. Daß es vornehmlich nur die Frauen und zwar die jüngeren sind, denen das gesunde Ideal, die keusche, innige und doch lebensfrohe Poesie des Buches so besonders zum Herzen spricht, soll hiermit nicht gesagt sein. Gewiß aber ist, daß es im Laufe des Jahres in Tausenden von zarten Händen ruht, daß es in die lieblichsten Kreise sich gezogen sieht und fort und fort als willkommenes Geschenk auf unzähligen Fest- und Geburtstagstischen liegt. Sollte es für eine solche Gesellschaft und für solche Zwecke nicht endlich sein schlichtes Gewand ablegen und in einem angemessenen Festschmucke sich zeigen dürfen?

So dachte mit Anderen auch Meister Thumann in Weimar und nahm seinen Griffel zur Hand, um die Gestalten und Scenen Goldelse’s so leibhaftig und lebendig vor die Leser zu stellen, wie er sie mit eigenem Künstlerauge im schönen Thüringerlande gesehen und beobachtet hat. Es ist eine gar herrliche und mannigfaltige Reihe herzig-charakteristischer, sinn- und poesievoller Bilder geworden, und zwei davon haben wir mit Bewilligung des Künstlers hier zur Anschauung gebracht. Sammt und sonders jedoch sind diese schönen Originalzeichnungen Thumann’s als werthvoller Illustrationskranz durch eine neue Ausgabe Goldelse’s geflochten, welche jetzt von der Verlagshandlung durch besondere Eleganz der Ausstattung zu einer wirklichen Fest- und Prachtausgabe für den nächsten Weihnachtstisch gestaltet wurde.

Dem ausdrücklichen Wunsche vieler Verehrer und der Pietät gegen ein berühmtes und gefeiertes Lieblingsbuch ist hiermit in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 805. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_805.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)