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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Zinsen eintragen würden. Dann aber machte sich meine Tante emsig daran, den Spiegel so günstig wie möglich zu placiren, und ich kehrte mit doppelt schwerem Herzen in die Karolinenlust zurück.




29.

Die Abenddämmerung brach leise herein, als ich wieder in die Bibliothek trat. Mein Vater wanderte im Antikensaal unter all den stillen bleichen Gestalten umher und erwähnte die verstoßene Schwester mit keinem Worte gegen mich – er mochte denken, sie sei fort für immer, werde seinen Weg nie wieder kreuzen, und ich sollte den Auftritt so schnell wie möglich vergessen. Frierend zog ich den Ueberwurf auf der Brust zusammen – es war bitterkalt in dem ungeheizten, weiten Saal, und ein beginnendes feines Schneegestöber umflog draußen die Glaskuppel.

„Du wirst Dich hier erkälten, Vater,“ sagte ich, und ergriff seine Hand – sie glühte wie eine Kohle; ach, und wie brannten die Augen in den tiefen Höhlen!

„Erkälten? … Es ist wonnig hier – mir ist so wohl, als sei mir ein kühler Umschlag auf das Gehirn gelegt worden.“

„Aber es ist schon spät“ – versetzte ich zögernd – „und ein klein wenig ordnen mußt Du Deinen Anzug doch. … Du hast wohl vergessen, daß die Prinzessin heute kommt, um das große Glashaus auch einmal in Gasbeleuchtung zu sehen?“

„Ach mein Gott, was soll ich im Glashause!“ rief er ungeduldig. „Wollt Ihr mich verrückt machen mit den vielen Lichtern und dem Blumenbrodem, der mir stets die Gehirnnerven afficirt? … Nichts, nichts! – Was geht mich die Prinzessin an, was der Herzog!“

Mit seiner heftigen Armbewegung stieß er unversehens eine reizende kleine Statue von ihrem Postament – seltsam – er, der sonst die Antiken nur mit zärtlich schmeichelnder Hand berührte, er wandte kaum den Kopf nach dem angerichteten Schaden hin und ließ die mißhandelte Göttergestalt achtlos liegen.

Tief erschrocken suchte ich ihn zu beruhigen. „Ganz wie Du willst, Vater,“ sagte ich. „Ich werde sogleich in das Vorderhaus schicken und für uns Beide absagen lassen –“

„Nein, nein, Du gehst auf jeden Fall, Lorchen!“ unterbrach er mich milder. „Ich wünsche es um der Prinzessin willen, die Dich lieb hat, und möchte auch gern heute Abend allein sein.“

Er trat wieder in die Bibliothek und machte sich an seinem Schreibtische zu schaffen. Ich schloß die Thüren, schürte das Feuer im Ofen und arrangirte den Theetisch; dann ging ich beklommenen Herzens hinunter und machte Toilette, das heißt, ich nahm zum ersten Male wieder die Perlen meiner Großmutter aus der Schachtel und schlang die lange Schnur durch meine Locken. In fast märchenhaftem Glanze, aber auch weit auffallender und anspruchsvoller als am Halse, lagen die feucht und bläulich schimmernden Tropfen schwer in dem dunklen Haar – und das wollte ich eben; wer wußte, wann die Prinzessin einmal wieder in das Claudiushaus kam! …

Es war spät geworden, als ich endlich über die Brücke nach dem Glashause schritt. Einen Augenblick blieb ich geblendet stehen. Leise überrieselten mich die letzten Flocken der droben sich lichtenden und zerstäubenden Wolken; unter meinen Schritten kreischte der gefrorene fußtiefe Schnee, und wohin ich sah, streckten sich mir die starren, weißen Gespensterarme der schneebeladenen Bäume und Büsche entgegen – und dort breiteten sich prächtig gefiederte Palmenwipfel in stolzer Grazie über die Farren- und Cacteenwildniß und den grünen Federduft kleiner freigelassener Rasenflächen, und dazwischen sprang und troff in silbernen Strähnen die Cascade. In dem Lichtbade der verborgenen Gasflammen zerfloß das Grün in tausendfache Nüancen, vom phosphorescirenden Maigrün an bis zum düstern Tannendunkel herab – das Glashaus lag inmitten des mattdämmernden Schneefeldes, wie eine Smaragdrosette auf weißem Sammet.

„Ah, guten Abend, meine Kleine!“ rief die Prinzessin, als ich auf sie zuschritt. Sie saß inmitten der Farrengruppe, auf derselben Stelle, wo ich eines Abends von meiner Großmutter erzählt hatte. Herr Claudius stand etwas seitwärts hinter ihrem Stuhle und sprach mit ihr, während ihr Gefolge und die Geschwister in zwanglosen Gruppen zu beiden Seiten Platz genommen hatten. „Haideprinzeßchen, wie nixenhaft kommen Sie daher!“ scherzte sie. „Sollte man nicht meinen, die Cascade hier habe Sie plötzlich emporgehoben? … Kind, Sie wissen wirklich nicht, was für einen kostbaren Schatz Sie da so harmlos und ungezwungen in Ihren prächtig wilden Locken tragen!“

„Ja, Hoheit, ich weiß es – die Perlen sind der letzte Rest eines großen Reichthums,“ versetzte ich und suchte mit Gewalt meiner Stimme einen ruhig sonoren Klang zu geben. „Meine arme Großmutter sagte, als sie mir auf ihren Wunsch um den Hals gelegt wurden, daß sie viel Familienglück gesehen hätten, daß sie aber auch mitgeflohen seien vor dem Scheiterhaufen und anderen Martern welche die christliche Unduldsamkeit über die Juden verhängt hat – denn meine liebe Großmutter war eine Jüdin, Hoheit, eine geborene Jakobsohn aus Hannover.“

Ich hatte die letzten Worte scharfmarkirend mit lauter Stimme gesprochen und sah dabei zu Herrn Claudius auf. … Was kümmerte es mich, daß sich Herr von Wismar verlegen räusperte und scheu nach der Prinzessin hinschielte, während Fräulein von Wildenspring eine triumphirende Geste machte, als wolle sie sagen! „Habe ich nicht Recht gehabt, als meine hochadelige Nase das bürgerliche Element in diesem Geschöpf witterte?“ … Was lag mir daran, daß der schöne Tancred grimmig seinen feinen Lippenbart drehte und mit einer verächtlichen Wendung seines Kopfes Charlotten einige Worte zuflüsterte? – Sah ich doch das jubelnde Aufschrecken in Herrn Claudius’ Gesicht – meinte ich doch, er wolle seine Hände zu mir herüberstrecken und mich aus der erbärmlichen Gesellschaft an sein starkes, stolzes Herz ziehen, weil ich die falsche Scham überwunden, weil ich muthig die Verachtung der aristokratischen Kaste auf mich nahm, um seine Achtung wieder zu gewinnen!

„Ach sieh da, das ist ja eine sehr pikante Entdeckung!“ rief die Prinzessin heiter und völlig unbefangen. „Nun weiß ich doch auch, wie mein Liebliug zu diesem echt orientalischen Profil kommt! … Ja, ja, solch ein schwarzlockiges Mädchen mit quecksilbernen Füßen mag es wohl auch gewesen sein, das dem Herodes den Kopf des Johannes abgeschmeichelt hat! … Wenn Sie wieder zu mir kommen, dann will ich mehr über die interessante Großmutter wissen – hören Sie, mein Kind?“ Sie zog mir die Perlenschnur tiefer in die Haare und ließ dann die Finger sanft durch mein loses Haar gleiten „Ich habe sie herzlich lieb, diese kleine Rebecca mit dem reinen Kindessinn und dem harmlos plaudernden Mund!“ setzte sie mit herzlicher Innigkeit hinzu und küßte mich.

Ach, diesmal war meine Plauderei durchaus keine harmlose gewesen, das wußte er, dessen Blick nicht mehr von mir wich, am besten! …

Die Prinzessin zog mich auf ein Bänkchen zu ihren Füßen, und da blieb ich schweigend und zuhörend sitzen, bis Fräulein Fliedner kam und meldete, daß im Vorderhause Alles bereit sei. Die fürstliche Frau hatte sich eine Tasse Thee „im alten, interessanten Hause“ ausgebeten – ihres rheumatischen Leidens wegen mochte sie sich nicht allzulange in der feuchten dunstigen Atmosphäre des Warmhauses aufhalten. Sie hüllte sich in ihren Pelz, ergriff Herrn Claudius’ Arm und schritt der vermummten, lebhaft plaudernden Gesellschaft voraus durch den beschneiten Garten. Es bedurfte der begleitenden Laternenträger nicht – die Wolken am Himmel waren zerstoben, durch das dürre Geäst der Pappelwand floß es hell herein und warf groteske silberne Lichter auf die Schneefläche – der Mond ging auf.

Ich lief noch einmal über die Brücke zurück und sah hinauf nach den Fenstern der Bibliothek. Die Vorhänge waren nicht zugezogen; auf dem Schreibtisch meines Vaters brannte das ruhige Licht der Lampe und drüben in der entgegengesetzten dunklen Ecke des weiten Saales, in der Nähe des Ofens, wo der Tisch mit dem Abendbrod stand, spielte ein leichter, bläulicher Schein auf und ab – es war die Spiritusflamme unter der Theemaschine. Das sah gemüthlich aus. Zum Ueberfluß schlüpfte ich noch in das Haus, die Treppe hinauf, und horchte an der Thür. Es war still drinnen; mein Vater schrieb jedenfalls. Völlig beruhigt ging ich nach dem Vorderhause.

Heute mochten sich wohl die alten Hausgeister der Firma Claudius scheu und grimmig in die dunkelsten Ecken verkriechen – das war ja ein Lichterglanz, wie ihn einst die wohledlen Kaufherren sicher nicht einmal bei der Taufe eines künftigen Chefs sich erlaubt hatten!

„Was ist mir denn das, Fräulein Fliedner? Der Herr kann ja heute gar nicht genug Licht kriegen!“ brummte der alte Erdmann

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 828. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_828.jpg&oldid=- (Version vom 29.1.2017)