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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

nur eine hatte er, zu einem Klumpen zerknüllt, auf den Boden geschleudert. Ich entfaltete sie und sah alsbald einen bezeichnenden rothen Strich neben einem langen Artikel herablaufen. Wie ein Funke sprang mir der Name Sassen aus dem Buchstabengetümmel entgegen und erfüllte mich mit einem ahnungsvollen Schrecken. Ich überflog den Anfang und verstand ihn nicht, er wimmelte von technischen Ausdrücken. Aber nun kam es, und ich schlug niedergeschmettert die Hand vor die vergehenden Augen. Da stand:

„Mit diesem Münzenschwindel hat der Autoritätsglaube abermals einen empfindlichen Schlag erhalten – einer unserer ersten Namen ist für alle Zeiten compromittirt. Doctor von Sassen hat in unbegreiflicher Verblendung den Fälscher und seine Münzen, von denen auch nicht eine echt ist, an alle Höfe und Universitäten empfohlen. … Allerdings sagt Professor Hart in Hannover, welcher dem Betruge zuerst auf die Spur gekommen ist, die Fälschung sei eine meisterhafte –“

Professor Hart in Hannover! Das war der Fremdwörterprofessor am Hünengrab, der Mann mit dem guten Gesicht und der rasselnden Blechbüchse auf dem Rücken. … Ich hatte ihn liebgewonnen, weil er in so gütiger Weise meine Haide vertheidigte, und nun war dieser fast kindlich milde Greis ein so gewappneter Gegner meines Vaters und stieß ihn aus dem Sattel, wie heute Dagobert sagte. … Und das waren die Münzen gewesen, zu deren Ankauf ich so ungeberdig mein Vermögen von Herrn Claudius gefordert – und um seiner nur zu wohl begründeten Weigerung willen hatte ich ihn dann bei Hofe als anmaßenden Besserwisser angeklagt. … Jetzt sah ich ihn wieder vor seinem Münzenschatz stehen, so weise und bescheiden aber auch so ruhig fest in seinem Urtheile. Und weil es der Kenntnißreiche verschmähte, sein Wissen prunkend auf dem großen Markte auszubreiten, so mußte er sich von Dagobert unverschämt schelten lassen und ich hatte als dankbares Echo dieses häßliche Wort wiederholt. … Wie glänzend gerechtfertigt stand der stolz schweigende Mann nun da! … Gerade diese Münzengeschichte führte den Sturz meines Vaters bei Hofe herbei – das war’s, was der charakterlose, erbärmliche Dagobert mir heute Abend in dunklen, spöttischen Worten hingeworfen hatte. … Armer Vater! Dieser eine Irrthum schleuderte ihn von seiner Höhe herab unter die Füße seiner Feinde und Neider. … Das mochte freilich genügen, um den armen Kopf des kränklich schwachen Mannes, der Tag und Nacht im Interesse der Wissenschaft angestrengt arbeitete, zu verwirren.

Wie ohnmächtig stand ich junges unerfahrenes Geschöpf seinem Mißgeschick gegenüber! Ich begriff sehr wohl, daß dem Manne in solchen Stunden selbst die geliebteste Stimme keinen Trost zu geben vermag – und was konnte ich ihm auch sagen? … Aber allein lassen durfte ich ihn nicht; er mußte die stillwaltende Liebe doppelt fühlen, ohne daß sie ihm in Worten beschwerlich fiel.

Eiligst verließ ich sein Zimmer, um hinaufzueilen und mit Bitten nicht abzulassen, bis mir das Bibliothekzimmer geöffnet wurde. Da blieb ich plötzlich stehen und horchte – aus meiner Schlafstube drang ein Geräusch, als ob Möbel gerückt würden – ich riß die Thür auf; der Mondschein fluthete mir blendend entgegen, denn beide Fenster standen noch offen – in meiner Aufregung über die Ankunft der Tante hatte ich vergessen, sie zu schließen und die Läden vorzulegen. Mit einem Aufschrei prallte ich zurück – ein Mann hielt den verhängnißvollen Schrank umklammert und schob ihn mit einem abermaligen Rucke seitwärts, so daß die Tapetenthür vollständig freigelegt war. Er fuhr herum – Dagobert’s weiße Stirn leuchtete mir entgegen, und seine Augen sprühten mich an. Mittelst eines einzigen Sprunges kam er herüber, schlug die Thür hinter mir zu und zog mich tiefer in das Zimmer hinein.

„Seien Sie jetzt einmal vernünftig, und bedenken Sie, daß mein und auch Ihr Lebensglück von diesem einen Augenblicke abhängt!“ flüsterte er. „Charlotte hat die Sache geradezu verrückt angefangen – sie hat der Prinzessin das Geheimniß mitgetheilt und ist mit der Thür in’s Haus gefallen. Das Allerschlimmste, das uns passiren konnte, ist eine plötzlich wie vom Himmel fallende wahnwitzige Liebe der alten Hoheit, die meinen Vater selbst im Grabe keiner Anderen gönnen will! … Jetzt haben wir zwei Gegner zu bekämpfen, die sich möglicherweise heimlich verbünden – solch einer verrückt gewordenen alten Jungfer traue der Teufel! … Wer bürgt uns dafür, daß nicht eines Nachts das Gerichtssiegel von einer der Thüren fällt? Das hat dann der Onkel nicht gethan – bewahre – die ganze Welt weiß, daß er gerade die Siegel streng hütet. Es kann ja zufällig abgestoßen worden sein; und wenn dann die Papiere aus dem Schreibtische verschwunden sind, wer in der Welt erfährt das je? … Seien Sie kein Kind! … Hier in der Thür steckt der Schlüssel, ich brauche ihn nur umzudrehen – es ist kein Einbruch, wenn ich hinaufgehe und das in Sicherheit bringe, was mir von Rechtswegen gehört.“

Ich weiß selbst nicht, wie es mir in jenem Augenblicke möglich geworden ist, so blitzschnell und aalglatt hinter ihm wegzugleiten, mit einem einzigen Griff den Schlüssel aus der Tapetenthür zu reißen und in meine Tasche zu stecken.

„Schlange!“ stieß er zwischen den Zähnen hervor. „Sie wollen sich theuer verkaufen! Sie meinen, mit diesem Schlüssel in der Tasche sind Sie noch begehrenswerther für mich!“

Damals verstand ich den Sinn dieser abscheulichen Worte nicht im Entferntesten; wie hätte ich sonst den Elenden auch nur noch eines Wortes, eines Blickes würdigen können?

„Ich will Sie von einem Unrecht abhalten!“ sagte ich und lehnte mich entschlossen mit dem Rücken gegen die Thür. „Seien Sie offen und wahr gegen Herrn Claudius; Sie werden damit weit eher zum Ziele kommen, als wenn Sie das Schloß droben erbrechen … Ich will mit Ihnen gehen – wir wollen ihm noch in dieser Stunde Alles sagen –“

Ich verstummte, denn seine Augen glitten in beleidigender Weise langsam musternd über mich hin, und ein spöttisches Lächeln zuckte um seinen Mund. „Schön sind Sie, Barfüßchen! Die schlanke Eidechse mit dem Prinzessinnenkrönchen ist in wenigen Monaten geradezu sirenenhaft geworden – wo aber ist die Eidechsenklugheit geblieben?“ – Er lachte laut auf. – „Eine reizende Situation beim Zeus! Wir treten in corpore vor das hehre Angesicht des Onkels, bringen ihm unser kostbares Geheimniß auf dem Präsentirteller und ziehen mit langer Nase wieder ab!“ – Er kam an mich näher heran, so daß ich mich angstvoll und noch fester als vorher gegen die Wand drückte. – „Nun lassen Sie sich Eines sagen! Noch halte ich an mich und berühre Sie nicht – das danken Sie meiner grenzenlosen Schwäche, meiner geheimen Abgötterei für Sie! Ich will Sie grundsätzlich nicht reizen, denn ich weiß, daß Sie ein kleiner Teufel an Bosheit sind – ich glaube, in solchen Augenblicken unbezähmbarer Widerspenstigkeit sind Sie im Stande, mir abzuleugnen, was ich Beglückter längst weiß! …“

Was sollte das heißen? Ich mochte ihm wohl ein sehr erstauntes Gesicht zeigen, denn er lachte abermals. „Ei, thun Sie doch nicht, als sei ich der Wolf und Sie das Rothkäppchen, das den Bösewicht mit großen, unschuldig fragenden Augen verständnißlos ansieht!“ rief er. „Die Situation ist mir allerdings mit heute sehr erschwert worden – Ihre unbegreiflich geschwätzige kleine Zunge, die ich in unserem beiderseitigen Interesse bereits geschult zu haben meinte, hat den Makel des Judenthums auf Ihre Abkunft geworfen; desgleichen hat sich Ihr Papa bei Hofe unmöglich gemacht – allein meine Leidenschaft für Sie überwindet Alles; auch meine ich, der Fürstenmantel meiner Mutter vermag Vieles zuzudecken“ – er berührte mit seinen Lippen fast mein Ohr – „und ich will den sehen, der meine reizende, kleine Lenore –“

Jetzt hatte ich ihn begriffen – ach, wie hart und bitter wurde in diesem Augenblick der blinde Enthusiasmus gestraft, mit welchem ich mich bedingungslos den Geschwistern hingegeben! Außer mir, wandte ich mein Gesicht weg und hob drohend den Ellenbogen über den Kopf – ich glaube, ich habe in einer Art Fechterstellung ihm gegenüber gestanden.

„Ah, da ist er ja wieder, der Dämon! Wollen Sie nicht wieder nach mir schlagen, wie?“ höhnte er zwischen den Zähnen hervor. „Hüten Sie sich! … Ich habe Ihnen schon einmal gesagt –“

„Ich weiß es wohl, daß Sie mich mit einem einzigen Druck Ihrer Hände erwürgen können – thun Sie es doch!“ rief ich unerschrocken. „Freiwillig gebe ich den Schlüssel nicht heraus! … Sie sind ein Ehrloser! … Ich bin das blöde Kind nicht mehr, das darin“ – ich zeigte auf seine im Mondschein funkelnden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 842. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_842.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)