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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

„Ach, das ist der Muckerdiaconus, der schlimmste Seelenhetzer der ganzen Residenz – die Beiden kommen eben aus der Andacht, man hört es! Für die ist das Feuerunglück in der Karolinenlust das größte Gaudium,“ flüsterte Charlotte.

„Bruder Eckhof weiß recht gut, daß der Herr in unseren Zeiten seine Strafen nicht mehr so direct vom Himmel niederschickt, wie ehemals,“ fuhr die Stimme fort. „Aber sein Walten bleibt immer ein sichtbarliches – es kommt nur darauf an, daß wir es verstehen. … Ja, Herr Claudius, es schmerzt mich in der Seele, daß Sie so heimgesucht worden sind, aber, ich kann nicht umhin, den Herrn zu preisen, der in seiner unerschöpflichen Gnade so deutlich zu Ihnen spricht. … Er hat es in seiner Weisheit und Gerechtigkeit geschehen lassen, daß die heidnischen Gräuel – ich habe eben gesehen, daß diese sogenannten Wunderwerke vom Rauch geschwärzt und zertrümmert draußen im Garten liegen – vertilgt wurden –“

Er kam nicht zu Ende mit seinem Zelotensermon – denn Herr Claudius öffnete, ohne noch ein Wort zu verlieren, die Thür meines Wohnzimmers, und ich hörte ihn drüben eintreten. Der Arzt ging zu ihm. Herr Claudius stand neben der Lampe, die auf dem Tische brannte und sein Gesicht hell beleuchtete – er drückte noch in der eigenthümlichen Weise mit der Rechten den linken Arm gegen die Brust. Ich sah von meinem dunklen Platz aus, wie sich seine Züge bei dem geflüsterten Bericht des Arztes sehr verdüsterten.

„Sie leiden auch, Herr Claudius,“ hörte ich schließlich den Doctor lauter zu ihm sagen.

„Ich habe mir den Arm verletzt,“ versetzte Herr Claudius ruhig, „und werde mich nachher im Vorderhause Ihren Händen überliefern.“

„Ist recht – und die Augen werden wir auch für einige Zeit in ein dunkles Verließ stecken müssen, wie ich bemerke,“ sagte der Doctor bedeutsam.

„Still, still – Sie wissen, das ist der Punkt, wo ich verwundbar bin, wo Sie mir bange machen können!“

Mir stockten die Pulse – wenn er blind wurde? … Ich meinte, so viel Jammer und Elend sei noch nie über ein Menschenherz hereingebrochen, wie heute über das meine.

Charlotte erhob sich rasch und ging hinüber. Fast zugleich wurde die Thür meines Wohnzimmers aufgerissen und hastige Männerschritte kamen herein.

„Herr Claudius, Herr Claudius! … O, über diese Verruchtheit!“ hörte ich den alten Buchhalter stöhnen. Er kam in das Bereich meiner Blicke – wie weggewischt war alle Salbung, das breit wohlgefällige Gepräge eines frommen, heiligen Wandels vor Gott und den Menschen aus diesem fassungslosen, verstörten Gesicht.

Herr Claudius winkte ihm mit der Hand, seine Stimme zu mäßigen, aber er war viel zu aufgeregt, um diese Bewegung zu beachten.

„Mir, mir das!“ rief er grimmig, in tiefster Indignation. „Herr Claudius, ein Elender hat die allgemeine Verwirrung beim Brande benutzt, ist in meine Wohnung eingebrochen, und hat mir eine Cassette mit meinen geringen Ersparnissen geraubt. … Ach, ich kann mich kaum auf den Füßen halten! Ich bin dermaßen alterirt – geben Sie Acht, das ist mein Tod!“

„Das ist unchristlich und sündhaft gesprochen,“ verwies ihm der Diaconus sanft den heftigen Ausbruch. „Bedenken Sie, daß es sich um irdischen Mammon handelt. … Uebrigens ist ja die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß der Verbrecher entdeckt wird, und Sie wieder zu Ihrem Gelde kommen – und wenn nicht, nun, dann heißt es ja: ‚Es ist leichter, daß ein Kameel durch ein Nadelöhr gehe, denn daß ein Reicher in das Reich Gottes komme.‘“ – Ich sah deutlich, wie er dabei Herrn Claudius fixirte. – „Ist das nicht ein köstlicher Trost für Den, der durch den Verlust der irdischen Habe heimgesucht wird?“

„Aber in der Cassette waren ja auch die tausend Thaler Missionsgelder, die in diesen Tagen abgeschickt werden sollten!“ ächzte verzweiflungsvoll der Buchhalter, und fuhr sich mit beiden Händen an den sauber frisirten Kopf.

Jetzt war die Reihe zu erschrecken an dem Herrn Diaconus.

„O, das ist freilich sehr, sehr fatal, lieber Herr Eckhof!“ rief er bestürzt. „Aber ich bitte Sie, wie konnten Sie auch diese Ihnen anvertrauten Gelder so – verzeihen Sie – so unverantwortlich leichtsinnig verwahren? Sie wissen doch, daß an jedem Groschen das Seelenheil Anderer hängt! … Was sollen wir nun anfangen? … Das Geld muß in diesen Tagen abgeliefert werden. Unser Verein gilt als ein Muster von Pünktlichkeit, er darf seinen Ruf um Ihretwillen nicht einbüßen – das werden Sie doch einsehen. … Es thut mir unsäglich leid, aber ich kann Ihnen mit dem besten Willen nicht helfen, Sie müssen das Geld zu der festgesetzten Frist schaffen!“

„O mein Gott, wie soll ich denn das ermöglichen? Ich bin augenblicklich ein Bettler!“ – Er hielt seine weißen, vollen Hände gegen die Lampe. – „Nicht einmal über meinen Brillantring, das kostbare Geschenk meines vormaligen Chefs, habe ich zu verfügen, er lag auch in der Cassette – ich thue stets den eitlen, weltlichen Schmuck von mir, wenn ich zur Andacht gehe. O Du mein Herr und Gott, womit habe ich, Dein getreuster Knecht, dieses Schicksal verdient!“

Der Diaconus trat ihm näher und legte tröstend die Hand auf seinen Arm. „Nun, nun, verzweifeln Sie nicht, mein lieber Herr Eckhof. … Die Sache ist allerdings ernst genug, und man kann sie nicht schwer genug auffassen; aber ich will Ihnen sagen – wer, wie Sie, solch einen mächtigen Gönner hat, der darf schon muthig sein! … Herr Claudius ist ein edler Mann, ein reicher Mann; für ihn ist es eine Kleinigkeit, Abhülfe in Ihrer Bedrängniß zu schaffen. Er riskirt ja Nichts dabei – er hat Sie und Ihren Gehalt in den Händen und kann sich leicht durch Abzüge bezahlt machen.“

„Das werde ich mir denn doch sehr überlegen, Herr Diaconus,“ sagte Herr Claudius ruhig. „Einmal lasse ich mich grundsätzlich auf derartige Abzüge niemals ein, und dann – Sie haben vorhin behauptet, der Allmächtige habe es in seiner Weisheit und Gerechtigkeit geschehen lassen, daß die schönsten Denkmäler des edlen von ihm erschaffenen Menschengeistes, die Blüthen einer herrlichen Cultur, elend umgekommen sind – nun denn, ich will mich auch einmal auf den Standpunkt der Gläubigen stellen, will in ihrer anmaßenden und einseitigen Weise das göttliche Walten auslegen und denken, der Herr habe es in seiner Weisheit und Gerechtigkeit geschehen lassen, daß das Geld abhanden gekommen ist, mit welchem eine Heidenseele – tausend Thaler kostet ja wohl solch ein zweifelhaft Bekehrter? – in das Christenthum hineingepreßt werden sollte – er habe ferner Ihnen, Herr Eckhof, die Lehre geben wollen, wie die Kirche, der Sie selbst das Heiligste, die Familie, geopfert haben, in Geldsachen die unerbittlichste Gläubigerin ist.“

Er sah stolz und gelassen über die Schulter nach dem kleinen Diaconus hin, der giftig auf ihn zusprang. „Wir müssen unerbittlich sein – es ist unsere heilige Pflicht,“ eiferte er. „Wo käme die Kirche hin, wenn wir nicht als treue Wächter Zions sammelten und sparten und wirkten, so lange es Tag ist. … Und je saurer die Scherflein geworden, je mehr Schweiß und Blut der Arbeit und Armuth daran hängen, desto wohlgefälliger sieht sie der Herr an. … Sie sind ja Einer der Unseren, Herr Eckhof, Sie wissen, welchen Gesetzen wir uns unterwerfen müssen, und werden Alles aufbieten, das Geld herbeizuschaffen. … Ich wasche meine Hände! Ich habe mehr als meine Schuldigkeit gethan – ich habe mich vor den Ungläubigen erniedrigt!“

Er schritt mit steifem Nacken der Thür zu.

Da stand plötzlich Frau Helldorf neben ihrem in sich zusammengesunkenen Vater.

„Vater,“ sagte sie mit bebender Stimme. „Ich kann Dir helfen. Du weißt, ich habe siebenhundert Thaler von der seligen Mutter, und das Uebrige giebt mir ganz gewiß mein Schwager, der sich ein kleines Capital erspart hat.“

Eckhof fuhr herum, als seien diese lieblichen Töne niederschmetternd und zermalmend, wie der Donner des jüngsten Gerichts. Er sah wie versteinert in das Gesicht seiner Tochter, dann aber stieß er mit den Händen nach ihr.

„Fort, fort mit Dir! Ich will Dein Geld nicht!“ schrie er auf und taumelte dem Diaconus nach, zur Thür hinaus.

„Seien Sie ruhig, neine Frau,“ tröstete Herr Claudius die Weinende. „Es hätte noch gefehlt, daß Sie Ihr letztes Scherflein in diesen unersättlichen Schlund würfen! … Ich war gezwungen, hart zu sein – dieser anmaßenden Kaste gegenüber kann man nicht streng genug auftreten. … Aber fassen Sie Muth – es soll noch Alles gut werden.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 846. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_846.jpg&oldid=- (Version vom 2.3.2018)