Seite:Die Gartenlaube (1871) 850.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Einem später wie Blei anhängen, und – enfin, Kind, sie stehen der Sphäre ewig fern, in der ich zu leben gewohnt bin! … Und nun bitte ich Dich wiederholt dringend, Alles aufzubieten, um mir eine Besprechung mit Herrn Claudius zu verschaffen.“

Ich stand auf, und sie glitt vom Sopha nieder und huschte in die Atlasschuhe, bei welcher Gelegenheit ich sah, daß ihre schlank gebauten Füße in fleischfarbenen seidenen Strümpfen steckten.

„Ach, Du kleine Maus da unten!“ lachte sie fröhlich auf und strich, ihre schlanke Gestalt hoch aufreckend, mit dem ausgestreckten Arme über meinen Scheitel hin. Wir standen gerade vor dem Spiegel, unwillkürlich sah ich in das Glas – mein bronzefarbener Creolenteint, wenn auch vollkommen fleckenlos und jugendfrisch, stach dennoch unvortheilhaft ab von den Pfirsichwangen und der glänzend weißen Stirn meiner Tante; aber ich sah auch heute zum ersten Male den widrigen Lack deutlich, der in einer dicken Lage das vierzigjährige Gesicht dort deckte. Ich schämte mich in ihre Seele hinein, wenn ich dachte, daß Herrn Claudius’ scharfer, strenger Blick dieselbe Bemerkung machen könne; aber so oft ich auch die Lippen öffnete, sie zu bitten, mit dem Taschentuch ein wenig mildernd über das Gesicht zu wischen, ich brachte dennoch kein Wort heraus, um so weniger, als sie mich eben eine kleine bräunliche Haselnuß nannte und sich über „diese sammtene Zigeunerhaut“ höchlich verwunderte, da doch die Jakobsohns, wie sie in Figura noch zeige, stets mit einem lilienweißen Teint begnadet gewesen seien.

Ich entzog mich ihren streichelnden Händen und verließ das Zimmer mit der Versicherung, daß ich direct zu Fräulein Fliedner gehen und mit ihr über die zu ermöglichende Besprechung berathen wolle.

Mit einem inbrünstigen Kuß wurde ich entlassen.

(Schluß folgt.)




Stumme Liebe.
(Mit Abbildung S. 845.)[1]

Ein Freudenstrahl im Blick des jungen Kranken,
Aus Fieberträumen ist er aufgewacht,
Da mahnen ihn die ersten Blüthenranken
An des verjüngten Lebens volle Pracht;
Die Botin all der holden Frühlingsgrüße
Erfaßt die Hand, die stumm zu danken strebt,
Ihr Auge schimmert feucht, doch eine süße,
Verstohl’ne Hoffnung ihren Busen hebt.

Ein theures Opfer eines blut’gen Sieges,
Seit langen Monden liegt er hingestreckt,
Und einen Schmerz nur fühlt der Held des Krieges,
Daß seinem Schwert so kurz das Ziel gesteckt;
Seit langen Monden ist mit frommem Triebe
Die graue Schwester still um ihn bemüht,
Das Heldenthum der Sorge und der Liebe
In diesen sanften Mädchenaugen glüht.

Der strengen Pflicht hat sie sich früh ergeben,
Doch mehr als Pflicht ist, was sie hier vollbringt;
Auf diesem Lager stirbt ihr eignes Leben,
Um das verzweifelnd mit dem Tod sie ringt!
Noch drang kein Laut aus dem verschloss’nen Munde,
Kein Auge sagt ihr, was sein Herz empfand;
Und kühlt sie lindernd ihm die offne Wunde,
Durchflammt sein heißer Kuß die bleiche Hand. –

In Schweigen steht das alte Stift versunken,
Um seine Gäste trauert noch das Haus;
Die Letzten zogen lang’ schon freudetrunken
Genesen weit in alle Welt hinaus.
Nur Einer blieb – auf einem frischen Hügel
Liegt bei der Tanne heut’ ein frischer Kranz,
Schon regen sich der Weihnacht Engelsflügel,
Und milden Segen strahlt der Sterne Glanz.

Sie hat des Jahres letztes Grün gespendet,
Mit blut’gen Zähren jedes Blatt bethaut,
Nach langem Beten sich zum Geh’n gewendet
Und immer wieder rückwärts doch geschaut;
Zum Himmel hält sie nun das Haupt gehoben –
Hat sie noch einen Gruß empor geschickt?
Sucht sie ein liebes Auge, das von oben
Mit stummem Dank auf sie herniederblickt?

Albert Traeger.


  1. Bild und Lied sind Verherrlichungen einer Thatsache. Am heiligen Abend des Jahres 1870 stand ein Norddeutscher im Corridor eines Diaconissinnenstifts Süddeutschlands, wo er seinen verwundeten Bruder suchte. Er blickte durch das hohe Bogenfenster auf den Friedhof hinab und sah – unser Bild. Eine Diaconissin legte einen Kranz auf ein noch frisches Grab, in welchem ein blutjunger norddeutscher Freiwilliger ruhte. Sie war seine einzige Pflegerin in seinen schweren Leiden gewesen, und als er starb, war es bald Niemandem im Stifte verborgen, wie sehr sie ihn geliebt hatte.
    Die Redaction.




Eine Flucht aus dem Grabe.


1.

Schreiber dieser Zeilen hat die Gewohnheit, von Zeit zu Zeit Razzias nach den verschiedenen Büchertrödlern der Residenz zu unternehmen, in welcher er lebt. Eine solche Expedition lieferte ihm dieser Tage in einer sonst ärmlich genug bestellten Boutike, hinter den Säulen einer überbauten Brücke, ein ziemlich seltenes Wild in die Hände. Es war ein Buch in französischer Sprache ohne Angabe des Autornamens und des Druckjahres, wahrscheinlich jedoch in der ersten Zeit der französischen Revolution gedruckt und enthielt eine sehr eingehende Beschreibung jener Zwingburg des Absolutismus, deren Zerstörung der erste Gewaltact der großen Staatsumwälzung galt, der famosen Bastille. Als Anhang zu dem merkwürdigen Werke fanden wir die Erzählung einer Reihe theils wirklich gelungener „Ausbrüche“ aus dem grausigen Kerker, theils abenteuerlicher Versuche, dem lebendigen Grabe zu entrinnen.

Glücklich über die unerwartete Beute, trugen wir den Band nach Hause und eilen jetzt, da das Buch wohl keinem unserer Leser bekannt sein dürfte, auch Andere unseres Fundes theilhaftig zu machen, indem wir einen Abschnitt der hochinteressanten Schrift, der einzigen Quelle, der wir ein Bild des innern Lebens der Bastille entnehmen können, im Auszug mittheilen.

Den Eingang des furchtbaren Gefängnisses bildete ein Thor nebst einem Wachthause in der Rue St. Antoine. Eine Zugbrücke und ein zweites düsteres Thor führten zur Wohnung des Gouverneurs, welche vom eigentlichen Kerker durch einen tiefen Graben und eine zweite Zugbrücke getrennt war. Ein mit eisernen Spitzen besetztes und mit einer Palissadenthür versehenes, sehr festes Gitter schied das Wachtgebäude von dem großen Hofe, einem länglichen Viereck von etwa hundertundzwanzig Fuß Länge bei achtzig Fuß Breite. Innerhalb des Gitters erhob sich rechts der für die Unterbeamten, den Gefängnißschneider und einige

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 850. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_850.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)