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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Blätter und Blüthen.


Zur Steuer der Wahrheit. Als ich vor Kurzem nach fast anderthalbjähriger Abwesenheit nach Frankreich zurückkehrte, um daselbst Freunde und Bekannte zu besuchen, machte ich mich wohl auf viel Haß und eine Fluth von Verwünschungen gegen die Deutschen gefaßt; allein meine Erwartungen sollten noch übertroffen werden. Ich fand, daß den in ihrer Eitelkeit freilich tief verletzten Franzosen auch diesmal wieder der Maßstab für ihre Gefühle und Handlungen verloren gegangen war, und ich konnte nicht genug staunen, wie gemein und kleinlich sich die meisten Journale gegen den siegreichen Feind ausließen. Man erging und ergeht sich noch in den albernsten Erzählungen über die „Barbaren“ und scheut sich nicht, selbst die höchsten Würdenträger des deutschen Reichs mit Koth zu bewerfen. Das Publicum aber liest mit Vergnügen diese schmutzigen Geschichten, um sie voll patriotischen Eifers weiter zu verbreiten.

Unter den vielen Abscheulichkeiten, die man dem Feinde nachredet, sind es besonders zwei, welche hier zu Lande zur stehenden Phrase geworden sind, und die man von nun an leider den Deutschen als Nationaleigenschaft beilegt; nämlich eine bis an’s Unsittliche streifende Unreinlichkeit und Uhrendiebstahl!

Ueber den ersten Vorwurf will ich mich hier gar nicht verbreiten; was aber den zweiten anlangt, so mag als Beleg dafür, wie gern sich die große Nation in Uebertreibungen ergeht, folgende Thatsache dienen.

„Was ist wohl aus Ihrem hübschen Landgut an der Marne geworden?“ fragte ich unlängst die Baronin X., die nicht fertig werden konnte, mir von den Gräuelthaten der Barbaren zu erzählen.

„Ach, mein armes U…,“ seufzte die Dame, „das ist verwüstet, ganz verwüstet!“

„Was?“ sagte ich, „es liegt ja doch ganz abseits von der Straße, und meines Wissens hat in der Nähe kein Gefecht stattgefunden.“

„Das thut nichts,“ meinte die Dame, „die Prussiens fanden doch den Weg dahin, und hielten Dorf und Schloß während einiger Zeit besetzt. Letzteres war leider ganz verlassen. Die Person, welche mit der Aufsicht desselben betraut war, hatte sich nach Paris geflüchtet und sämmtliche Schlüssel mitgenommen. Es blieben nur die in einem abseits gelegenen Häuschen wohnenden alten Gärtnersleute zurück, welche das Schloß vor den Eindringlingen nicht zu schützen vermochten. Diese sprengten alle Thüren und hausten nun auf ihre Weise, das heißt ganz fürchterlich. Möbel wurden zertrümmert, Tafelgeschirr, Gläser etc. muthwilliger Weise zerschlagen, das Bettzeug nach deutscher Gewohnheit auf’s Aergste beschmutzt, Wäsche, Bettdecken, Küchengeschirr, Alles, ja sogar Schlösser und Schlüssel der Thüren und Schränke wurden fortgeschleppt.“

„Das ist doch nicht möglich,“ unterbrach ich die Dame. „Was sollten denn die gegen Paris vorrückenden Soldaten mit all’ dem alten Eisen anfangen?“

„O, diese Leute stehlen des Vergnügens halber und aus Gewohnheit,“ meinte Baronin X.

„Nun, und die Uhren, die sind wohl auch alle verschwunden?“ sagte ich in Erwiderung auf diese Beschuldigung.

„Man hat eine kleine alterthümliche Pendule gestohlen,“ erwiderte die Dame etwas verlegen, und sich gegen mich neigend, flüsterte sie: „Der Diebstahl wurde eigentlich von Franzosen verübt, allein Sie verstehen, es ist besser, man schiebt selben den Deutschen in die Schuhe. – Wenn Sie wollen,“ fügte sie dann laut hinzu, „wollen wir mitsammen nach U… reisen, um die Verwüstungen in Augenschein zu nehmen.“

Ich war hierzu gern bereit, obwohl ich mir wenig Vergnügen von diesem Ausfluge versprach. Sollte ich ihn doch nur unternehmen, um ein Stück deutscher Barbarei zu sehen!

Man sandte einen Diener voraus, der mindestens einige Zimmer zum Empfang der Herrschaft in Stand setzen sollte. Der Zufall wollte es, daß ich um einen Tag früher als die Besitzerin des Schlosses in U… ankam. Mit schwerem Herzen näherte ich mich dem Gebäude. Was werde ich wohl Alles zu sehen bekommen? fragte ich mich, als der Wagen das große Gitterthor erreichte und in den Hof einbog. Da stand es vor mir, das nette freundliche Schlößchen und sah so schmuck aus wie je; so schmuck und zierlich wie der Rasen, die Blumen, die Wege, die es von allen Seiten umgaben. Mit einem Sprung war ich vom Wagen, und die Freitreppe hinaneilend, begab ich mich vorerst in den Salon, dessen Anblick mir ein freudiges Ah! entrang. Ich fand ihn genau so, wie ich ihn vor Jahren verlassen hatte; Spiegel, Lampen, die mit werthvollen Stoffen überzogenen Möbel, Alles war unversehrt geblieben. Am Kamin prangte wie ehedem eine große, schön vergoldete Pendule mit Glassturz, und siehe da! selbst die Schlösser und Schlüssel fehlten nicht an den Thüren.

„Der Feind hat wohl weniger hier gewüthet, als man glaubte?“ fragte ich den mich begleitenden Diener.

„Das kommt mir auch so vor,“ meinte der Alte, und um seine Verdienste geltend zu machen, fügte er hinzu: „es sah wohl nicht ganz sauber hier aus, und war Alles im Hause d’runter und d’rüber; allein nach und nach fanden sich die Sachen doch wieder zusammen, und dürfte jetzt wohl nicht viel mehr fehlen.“

Ich ging nun die übrigen Gemächer zu besichtigen und fand nirgends eine Spur jener gräßlichen Verwüstung, die ich in Folge all’ der Erzählungen erwartet hatte. Eine ganz besondere Genugthuung gewährte mir der Anblick der vielen Pendeluhren, die alle auf gewohntem Platze standen, und daher nicht nach Pendulopolis gewandert waren. Mit inniger Freude begrüßte ich noch in’s Besondere zwei unversehrt gebliebene Möbel, deren mögliches Schicksal ich beinahe schon beweint hatte. Es waren dies zwei wunderschöne Schränke aus Rosenholz mit Bronzeverzierung, wahre Kleinode. Sie waren fest verschlossen gewesen. Als die rauhen Krieger kamen, wollten sie wahrscheinlich sehen, was die hübschen Dinger enthielten, statt aber die zierlichen Schlösser mit Gewalt zu sprengen, ließ man sie unberührt, und begnügte sich aus der Rückwand einige Latten auszubrechen; eine Handlungsweise, die sehr zu Gunsten der deutschen Barbaren spricht, welche nach französischen Ansichten nicht den mindesten Sinn für Kunst und Schönheit haben sollen. Ich dehnte meine Inspection natürlich auch auf Bettzeug und Matratzen aus, und fand zu meiner Befriedigung hier keine Spur jener Rohheit, welche man, wie oben bemerkt, als deutsche Gewohnheit bezeichnet.

Vergnügt verließ ich das Haus, um den schön gepflegten Garten zu bewundern und „Lieb’ Vaterland“ vor mich hinsummend, betrat ich die Wohnung der Gärtnersleute, um mir ihre Erlebnisse erzählen zu lassen. Die armen Alten hatten viel ausgestanden. Die Presse hatte es sich zur Aufgabe gemacht, die Deutschen als entsetzliche Cannibalen zu schildern. Kein Wunder also, daß der arme, alte Mann aus Angst und Schrecken vor dem heranrückenden Feinde verrückt wurde. Sein Weib hatte nicht nur die Sorge um den kranken Mann, sondern auch die Last der Einquartierung zu tragen. Als die ersten Preußen kamen, waren sie sehr zornig, das Schloß verlassen und versperrt zu finden. Man öffnete mit Gewalt und richtete sich ein, so gut es ging. Weil Niemand da war, den Soldaten zu wehren, so benutzten diese ohne Unterschied alles, was ihnen in die Hände fiel. Was kümmerte sie die Feinheit der Wäsche, oder die Kostbarkeit des mit Chiffre und Krone verzierten Porcellangeschirrs? sie nahmen eben, was sie fanden, und mußte bei dieser Wirthschaft natürlich viel zu Grunde gehen. – Truppen kamen und gingen. Endlich trat eine Pause ein. Anfangs December war weder im Dorfe, noch in dessen nächster Nähe ein deutscher Soldat zu sehen. Um diese Zeit ward von Einheimischen Nachts ein Einbruchsdiebstahl im Schlosse verübt. Wäsche, Bettzeug, die oben erwähnte Pendeluhr wurde nebst vielen anderen Sachen entwendet. Die alte Gärtnersfrau eilte in’s nahe Städtchen, um bei Gericht die Anzeige zu machen. Es fand wohl eine Untersuchung statt, allein da man der Diebe nicht gleich habhaft werden konnte, ließ man sie laufen; man hatte eben damals andere, größere Sorgen. Nach der Capitulation von Paris kam wieder Einquartierung in’s Dorf. Diesmal waren es Baiern. Das Schloß war durch längere Zeit von Maior R. v. W. und dem Oberlieutenant A. H. bewohnt, deren Benehmen nichts zu wünschen übrig ließ. Auch im Dorfe hörte man keine Klage über die fremden Truppen; man lobte vielmehr allgemein deren ausgezeichnete Haltung. Es ist überhaupt eine bezeichnende Thatsache, daß das Landvolk und überhaupt Leute, welche mit den Deutschen in nähere Berührung kamen, weniger Haß gegen dieselben zeigen, ja ihnen oft sogar Gerechtigkeit widerfahren lassen, während die Städter, in’s Besondere aber jene Personen, welche oft ohne Rücksicht auf ihre Stellung und ihre Berufspflichten Haus, Hof und Gemeinde im Stich ließen, nur um das liebe Ich zu retten, von Gift und Galle gegen die Fremden überfließen. Wahrscheinlich wollen sie durch derlei patriotische Ergüsse die Feigheit bemänteln, welche sie sich ihren Mitbürgern gegenüber zu Schulden kommen ließen.

Ich schließe meinen Bericht, indem ich noch erwähne, daß ich, durch die eingezogenen Erkundigungen in meinem Nationalgefühl vollkommen beruhigt, mit Vergnügen die Ankunft der im Grunde gar nicht so sehr zu bedauernden Schloßbesitzer erwartete. Diese waren wohl recht erfreut, ihr Eigenthum zum großen Theile unversehrt wieder zu finden; allein ich sah es ihnen im Gesichte an, daß es ihren patriotischen Herzen wohl gethan hätte, etwas mehr Verwüstung zu sehen, und ich bin überzeugt, daß besonders Baron X., ein eingefleischter Deutschenfresser, mit Vergnügen einige „Pendules“ vermißt hätte, nur um in das allgemeine Halloh einstimmen zu können.

Wann werden wohl die sonst so liebenswürdigen und geistreichen Franzosen zur Einsicht gelangen und zugeben, daß es auch außer ihnen noch civilisirte Völker auf Erden giebt?

     Paris, December 1871.F. Arnolt.     


Meister Camphausen. Unsere Berliner Leser werden sich noch des großen Aufsehens erinnern, welches im Laufe des vergangenen Jahres zwei für den Kaiser Wilhelm gemalte und im Kolossalmaßstab ausgeführte Reiterbilder des Meisters Camphausen in der Ausstellung erregten. Beide Bilder waren dem Berliner Publicum nicht gleichzeitig, aber doch in rascher Aufeinanderfolge vorgeführt worden, das eine den Großen Kurfürsten, das andere Friedrich den Großen darstellend, also die beiden Gründer der gegenwärtigen Größe des preußischen und – dürfen wir heute sagen – somit des deutschen Staates.

Den Lesern der Gartenlaube ist Camphausen selbst längst aus seinen vortrefflichen Leistungen bekannt, und wir glauben nicht, daß wir sie erst an die meisterhaft ausgeführten Reiterbilder zu erinnern brauchen, welche wir während des jüngsten Krieges gebracht und die so allgemeine Anerkennung gefunden haben wegen der immer originellen und oft genialen Auffassung, wegen der realistisch-flotten, stets den Meister bekundenden Ausführung und wegen der überraschenden Portraittreue, welche der Maler selbst in diesem kleinen Maßstabe seinen Figuren zu geben wußte.

Wenn wir in der heutigen Nummer das wohlgetroffene Portrait Camphausen’s vorlegen, können wir es gewiß nicht besser begleiten als mit der xylographisch meisterhaften Wiedergabe jener beiden, Eingangs dieser Zeilen erwähnten Reiterbilder, welche den glücklichen Realismus, die Frische und, wir möchten sagen, die Volksthümlichkeit der Camphausen eigenthümlichen künstlerischen Kraft so voll bekunden, wie dies nur die besten und berühmtesten seiner Arbeiten (wir erinnern an die viel bewunderten Bilder aus der Friedrichszeit) gethan.

Auf schnaufendem Schecken, den er mit fester Hand hart im Zügel führt, hält der Sieger von Fehrbellin im freien Felde, die Schärpe um den blauen, golden galonnirten Rock, auf das lang niederwallende Haar den breitkrempigen Federhut gestützt, die Beine in schweren, hohen Stiefeln. Die Klinge fährt eben blitzend aus der Scheide, den Soldaten den Weg zum

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