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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Tages mit der Versicherung, daß er endlich auf dem Wege sei, steinreich zu werden. Er hatte von dem Manne gehört, der durch die Erfindung der bekannten, mit Wasserstoff gefüllten Kinderballons in wenigen Monaten ein bedeutendes Vermögen gewonnen; der schnell erworbene Reichthum desselben ließ meinen Landsmann nicht mehr ruhig schlafen, und er behauptete, endlich ein Kinderspielzeug erfunden zu haben, das sich eines noch viel glänzenderen Erfolges erfreuen werde. Dasselbe bestehe aus einer Blase mit einer eigenthümlichen Vorrichtung, die, selbst von den schwächsten Kinderfingern berührt, eine angenehme Musik hören lasse.

„An dieser Erfindung sind Millionen zu verdienen,“ versicherte er wie alle Erfinder. „Es handelt sich nur darum, dieselbe zu empfehlen und die Capitalien für den Betrieb herbeizuschaffen.“

Ich mußte ihm das Versprechen geben, ihn am folgenden Tage zu besuchen und mir die Vorrichtung zu besehen. Der Mann wohnte in einer entfernten Straße im Faubourg St. Antoine. Als ich die Thür seines Zimmers öffnete, prallte ich halb ohnmächtig zurück. Er hatte nämlich in diesem Zimmer unzählige Hunde-, Katzen-, Kälber- und Schweineblasen aufgehängt, die eine wahrhaft pestilentialische Ausdünstung verbreiteten.

„Treten Sie nur näher,“ bat er mich.

„Zeigen Sie mir die Vorrichtung!“ rief ich ärgerlich. „Zeigen Sie mir die Musik!“

Er holte nun, während ich mich auf dem dunkeln Hausflur hielt, seinen musikalischen Apparat herbei und ließ ihn vor meinen Ohren laut werden. Der Apparat schnarrte ein paar Secunden wie eine reißende Kette in einem Uhrgehäuse.

„Aber warum haben Sie denn so dringend meinen Besuch verlangt?“ fragte ich unwillig.

„Damit Sie meine Arbeiten in Augenschein nehmen und mir für meine Erfindung einen wohlklingenden griechischen Namen suchen.“

Wüthend stürzte ich von dannen und wünschte den Erfinder zu allen Teufeln. Aber noch heute bereue ich meinen Zorn. Der Unglückliche starb nämlich einige Monate darauf in Folge namenloser Entbehrungen und der ekelhaften erstickenden Dünste der bereits erwähnten diversen Blasen.

Indessen giebt es doch Manche, die einen glücklichen Einfall praktisch auszuführen wissen und zu Vermögen kommen, wie folgendes Beispiel beweist.

Vor einer Reihe von Jahren machte ich in einem Pariser Kaffeehause die Bekanntschaft eines Deutschen, eines Rheinländers, wenn ich mich recht erinnere. Er war ein großgewachsener, stattlicher, sorgfältig gekleideter Mann mit heiteren, einnehmenden Zügen. Unsere Unterhaltung drehte sich fast ausschließlich um die in Paris lebenden Deutschen und das traurige Schicksal, dem so Viele derselben unterliegen.

„Davon weiß ich auch was zu erzählen,“ begann er. „Ich hatte es hier durch unsägliche Anstrengungen zu etwas gebracht, verlor aber durch widerwärtige Umstände nach und nach Alles, was ich besessen. Ich kämpfte die härtesten Kämpfe, ich ertrug die unbeschreiblichsten Drangsale, um wieder empor zu kommen. Vergebens! Alles verschwor sich gegen meine Bemühungen, und ich gerieth endlich in solch bittere Noth, daß ich derselben durch Selbstmord ein Ende machen wollte. In dieser entsetzlichen Stimmung ging ich durch die Galerieen des Palais-Royal, wo ich als geübter Kenner die verschiedenen ausgestellten Luxusgegenstände betrachtete. Vor einem Bijouterieladen fesselten mich besonders die geschmackvollen Goldarbeiten und unter diesen einige Armbänder. Da blitzt mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Bis jetzt, sagte ich mir, macht man Bracelets, die entweder zu weit oder zu eng sind, die entweder zu sehr oder zu wenig schließen, so daß der Käufer, der einer Dame eine Ueberraschung mit einem solchen Schmuck machen will, nicht weiß, ob derselbe auch passen wird. Ich sann einige Tage nach und erfand die elastischen Armbänder, die sich den Gelenken leicht anschmiegen, bald allgemeine Aufnahme fanden und mich zum wohlhäbigen Manne machten.“

„Die Erfindung ist ziemlich einfach,“ bemerkte ich.

„Und dieser Einfachheit verdanke ich den Erfolg,“ sagte Jener. „Nichts ist thörichter als jene Erfinder, die sich mit einer fixen Idee herumtragen und in den Besitz von Millionen zu kommen hoffen. Diese Leute sind wahrlich kaum vernünftiger als ein Mensch, der sich fest vornähme, das große Loos zu gewinnen. Aber sie lassen sich durch keine Vernunftgründe von ihrer fixen Idee abbringen. Sie werden vielmehr von derselben immer stärker beherrscht und nicht Wenige von ihnen enden in der Irrenanstalt ihr jämmerliches Dasein.“

Wie oft dachte ich an die Worte des wackern Mannes! Jeder Erfinder glaubt an seine Erfindung wie an ein Evangelium und hegt die unerschütterlichste Ueberzeugung, daß sich Derjenige gegen ihn verschwört, der ihn auf die Schwächen und Mängel derselben aufmerksam macht. Und bei dieser Gelegenheit sei auch eines Erfinders gedacht, der an Tüchtigkeit alle seine Collegen übertrifft, die ich kennen gelernt. Ich werde den ersten Besuch, mit dem er mich beehrte, niemals vergessen. Es war an einem Decembertage, der sich nicht viel von einer Decembernacht unterschied, so dicht lag der Nebel auf der Erde. Ich war in meine Arbeit vertieft, als ich plötzlich durch einen heftigen Ruck an der Schelle aufgeschreckt werde. Ich öffne die Thür und sehe einen Mann vor mir, der auf der Schulter eine in Zitzkattun gewickelte Last trägt und in der rechten Hand das abgerissene Band meines Schellenzuges hält.

„Sie entschuldigen,“ sagte er, indem er mir das Schellenband überreichte, „ich habe etwas zu stark angezogen. Der Schaden läßt sich indessen leicht ausbessern.“

Ich glaubte, er hätte sich in der Thür geirrt; er nannte jedoch meinen Namen, und um mir nicht den Schnupfen zu holen, ließ ich ihn eintreten.

Er hob nun die Last von den Schultern, stellte dieselbe höchst vorsichtig auf einen Stuhl, zog die zitzkattunene Umhüllung hinweg, und was sah ich? – Das Modell einer Windmühle!

„Das ist ja eine Windmühle!“ rief ich äußerst verwundert und verdrießlich zugleich.

„Sie haben sich nicht getäuscht,“ erwiderte er lebhaft. „Da sind Millionen zu verdienen.“

Und nun entwickelte er ein seltenes oratorisches Talent und suchte mir zu beweisen, daß seine Erfindung die wunderbarste aller Erfindungen sei, daß die nach seinem System erbauten Windmühlen in einer gegebenen Zeit wenigstens sechsmal so viel mahlen würden, als die nach dem bisherigen System erbauten; und damit ich an seiner Behauptung nicht zweifelte, zog er mit einem Schlüssel die Mühle auf, und die Flügel setzten sich allsogleich in Bewegung. Mir ward es ganz schwindelig im Kopfe. Umsonst machte ich ihm zu wiederholten Malen die Bemerkung, daß ich weder Ingenieur, noch Müller sei, daß ich also nichts vom Mühlenbau verstehe und mir folglich über seine Erfindung kein Urtheil erlauben dürfe. Er setzte meiner wiederholten Bemerkung immer die Behauptung entgegen, sein System sei so einfach, daß ein Kind es begreifen könne, und ließ dabei die Flügel immer stärker sausen.

Erst nach einer langen qualvollen Stunde zog er seiner Windmühle den zitzkattunenen Mantel wieder an und ließ mich in dumpfer Betäubung zurück.

Jetzt brach der deutsch-französische Krieg aus, der mich zehn Monate von Paris entfernt hielt. Als ich Anfangs Juni, unmittelbar nach der Besiegung der Commune, wieder nach der Hauptstadt Frankreichs zurückkehrte, sah ich, über den Bastillenplatz fahrend, den Windmühlenmann nach der Rue St. Antoine einbiegen. Ach, schon am folgenden Tage erhielt ich seinen Besuch! Er hatte mich ankommen sehen und sich vorgenommen, mich mit seiner Gegenwart zu erfreuen. Ich hörte nun von ihm, daß er während der Belagerung sowohl, als auch unter der Herrschaft der Commune unangefochten in Paris zugebracht. Wie man sich leicht denken kann, frug ich ihn sogleich, wie es ihm während dieser furchtbaren Zeit ergangen; allein er beantwortete meine Fragen nicht, sondern sprach nur von seiner Erfindung, und seine Ueberzeugung, bald in den Millionärstand zu treten, war unerschütterlicher als jemals. Die Ereignisse, die ganz Europa mit Angst und Grauen erfüllt, deren Augenzeuge er gewesen und unter denen er, wie ich an seinem abgemagerten Körper sah, nicht wenig gelitten, beschäftigten weder seinen Geist, noch seine Einbildungskraft.

Ich könnte ein Buch füllen, wollte ich alle die Lächerlichkeiten und Thorheiten aufzählen, mit denen mich die in Paris sich herumtreibenden Erfinder heimsuchten. Ehe ich indessen diese

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 870. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_870.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)