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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)


Skizze schließe, muß ich noch eines andern Deutschen, eines gutmüthigen Oesterreichers, erwähnen, der, sonst ein vernünftiger, liebenswürdiger Mann, von der Erfindungsmanie besessen ist. Seit ich ihn kenne, hat er wenigstens zwei Dutzend verschiedener Erfindungen gemacht, von denen ihm jede durchschnittlich eine halbe Million einbringen sollte. So oft er mich besucht, zeigt er mir an, daß er mit einer vortrefflichen Erfindung niedergekommen, welche, wenn sie ausgewachsen, die Welt in Erstaunen setzen würde. So will er eine Feuerspritze erfunden haben, der, wie er versichert, auch die gewaltigste Feuersbrunst nicht widerstehen könne. Er sprach mir auch schon von einer vervollkommneten Rechenmaschine, von einem vervollkommneten Kochapparat und einer vervollkommneten Schnellpresse, und eines Morgens brachte er mir freudestrahlenden Angesichts die Nachricht, daß ihm nach vielem Nachdenken eine Erfindung gelungen sei, die von den unberechenbarsten günstigen Folgen für Handel und Gewerbe sein würde.

„Schon wieder eine Erfindung?“ rief ich.

„Ja, die Erfindung der Luftannoncen!“ rief er vergnügt und suchte mir zu erklären, daß er es durch allerlei optische Pfiffe und Kniffe fertig bringe, nach eingetretener Abenddämmerung alle beliebigen Anzeigen in der Luft wiederzuspiegeln. „Das Publicum,“ fuhr er fort, „wird dieselben den ganzen Abend bis Mitternacht in der Luft sehen und sie fest dem Gedächtniß einprägen.“

„Ihre Erfindung ist vortrefflich,“ sagte ich; „sie hat indessen doch einen Haken. Denken Sie sich das Publicum auf den Boulevards spazierend und die Anzeigen zwischen Himmel und Erde betrachtend, würde die Menge nicht aneinander rennen, die Füße sich gegenseitig zertreten und die Nasen sich einschlagen?“

„Die Sache ist sehr ernst und Sie spaßen,“ sagte er.

„Durchaus nicht!“ versicherte ich. „Erwägen Sie auch, daß, während das Publicum Ihre Luftreclamen liest, das unzählige Diebsgesindel, das sich in den Straßen herumtreibt, die Gelegenheit benutzen wird, die langen Finger auf Entdeckungsreisen in fremde Taschen zu schicken und dort ungestört erkleckliche Beute zu machen.“

„Aber man wird auch unter den Annoncen die Warnung vor Taschendieben in der Luft lesen,“ entgegnete er mit triumphirender Miene.

Diesen sonst so gutmüthigen und sanften Mann sah ich vor Kurzem in glühendem Zorn. „Alle Hauseigenthümer sind Spitzbuben!“ rief er, als er mir auf der Straße begegnete.

„Das behaupten fast alle Leute, die nicht Hauseigenthümer sind,“ bemerkte ich.

„Hören Sie, was mir widerfährt,“ eiferte er, indem er mir in’s Palais-Royal folgte. „Ich weiß nicht, ob ich Ihnen schon mitgetheilt, daß ich die Lenkbarkeit der Luftballons erfunden habe. Um mich nun auf’s Unwiderlegbarste zu überzeugen, daß meine Ballons selbst gegen den heftigsten Wind fahren können, habe ich in die Wand, die mein Schlafzimmer von meinem Wohnzimmer trennt, ein Loch prakticirt, in dasselbe einen Blasbalg gethan und einen Burschen gemiethet, der diesen in Bewegung setzt. Ich habe auch die Freude zu sehen, daß mein Ballon, Dank meinem System, gegen den Wind fährt, der dem Blasbalg entströmt. Heute Morgen nun erhalte ich den Besuch des Hauseigenthümers, der mir sagt, meine Nachbarn beschweren sich, daß ich den ganzen Tag im Zimmer herum trampele; und als er den Ballon am Plafond und die Oeffnung in der Wand sieht, behauptet er, ich vertreibe ihm seine Miethsleute und durchlöchere sein Haus. Er hat mir sodann die Wohnung aufgekündigt und verlangt noch obendrein eine Entschädigung. Welch ein Schuft!“

Nur mit der größten Mühe gelang es mir, mich von ihm loszureißen.

Woher kommt es aber, daß just ich von den Erfindern geplagt werde? – Ganz einfach daher, weil sie wissen, daß ich die Ehre habe, an weitverbreiteten Zeitschriften, besonders an der Gartenlaube mitzuarbeiten, und die Hoffnung hegen, durch meine schwache Feder, die mich selbst nicht unsterblich macht, die Unsterblichkeit zu erlangen. Dies gehört ebenfalls zu den Täuschungen der. Erfinder, und sie ist gewiß nicht eine der geringsten.




Literaturbriefe an eine Dame.

Von Rudolf Gottschall.
IX.


Kennen Sie das Wupperthal, geehrte Frau?

Die Wupper ist ein sehr umständlicher Fluß, der sechs Meilen vom Rhein entspringt und vierzehn Meilen braucht, um sich in ihn zu ergießen; aber sie ist auch ein sehr nützlicher Fluß, denn sie treibt unzählige Mühlen, Schleif- und Hammerwerke; es ist ein fortwährender Lärm an ihren Ufern und des Nachts spiegeln die Hochöfen der Eisenhütten die rothe Gluth in ihren Wellen! Da rauschen die Mühlen, da pochen die Hämmer, da wird gebleicht und gefärbt und aus den Lumpen wird Papier bereitet für die unermeßliche Maculatur des tintenklecksenden Säculums – es giebt kaum einen deutschen Fluß, der sich mit dieser fleißigen Wupper vergleichen kann.

Im reichbevölkerten Wupperthal geht’s indeß nicht so friedlich zu, wie man von der Arbeitsamkeit seiner Bewohner erwarten dürfte. Die Gegensätze platzen hier oft aufeinander. Hier singen die Pietisten fromme Lieder, dort prügeln sich die Socialisten mit Gensd’armen und Andersgläubigen herum; hier werden Missionstractätlein studirt, dort Lassalle’sche Broschüren, und der Agitator selbst hat hier in stürmischen Volksversammlungen seine schrill-durchgreifende Stimme voll innerlich vibrirender Energie ertönen lassen; denn nur in diesen Arbeiterdistricten kann der Socialismus seine Armeen aus der Erde stampfen. Wir wissen nicht, ob gegenwärtig hier die männliche oder weibliche Linie Lassalle’s das Scepter führt, ob die Internationale hier ihre blutrothen Pariser Heiligenbilder feilbietet oder ob hier das Verdammungsurtheil des eleganten Herrn Mende gilt, das er auf die Pariser Vandalen geschleudert hat; denn die weibliche Linie Lassalle hat einen gewissen aristokratischen Parfum. Doch das ist zweifellos – es gährt in diesen Köpfen von Zukunftsidealen und den Träumen eines irdischen Glücks, und Manchem „geht das Mühlrad im Kopf herum“, das die Wasser der socialistischen Beredsamkeit treiben! Und daneben die Ueberfrommen, die selig im Herrn sind und vom Lämmlein singen, die Weltflüchtigen neben den Weltverbesserern!

Doch im Wuppertal gedeihen auch, neben den Frommen und Revolutionären, die Poeten – und obgleich diese Species gegenwärtig zu den verbreitetsten Wald- und Wiesenblumen gehört, welche durchaus nicht sehr beachtet, sondern bei der literarischen Grummeternte mitheruntergesichelt und auf den Heufuhren der Buchhändlermessen gelegentlich mit in die Scheuern gefahren werden, so verschwinden doch die Poeten des Wupperthals nicht in der Masse; ihre Gedichte gehören nicht zum lyrischen Unkraut; es lohnt sich schon, ihre Kelchblätter und Staubfäden zu zählen.

Zwei von diesen Sängern gehören bereits zu den Todten: Adolf Schultes, ein Dichter des häuslichen Herdes, glücklicher in kleinen sauberen Genrebildern als in den weltgeschichtlichen Gemälden, die er selbst bevorzugte, und Carl Siebel, eine Don-Juan-Faustnatur, voll kühner Anläufe, der Sänger eines „Tanhäuser“, ein kranker Poet, der in der Sonne von Madeira vergeblich Genesung von seinem Leiden suchte. Noch dichtet Friedrich Röber seine großskizzirten Dramen, die zu wenig theatralisches Lebensblut für die Bühne haben; vor Allem aber ist Emil Rittershaus ein frischer und unermüdlicher Sänger, dessen Gedichte den Fluß und Guß einer frei strömenden Improvisation besitzen, der sich sein Nest baut an die Dampfschornsteine des industriellen Wupperthals und fröhliche Lieder daraus ertönen läßt.

Alle diese Dichter sind Kaufleute; aber was das Wunderbarste ist, sie singen nicht von „Soll und Haben“, noch verherrlichen sie die fremden Länder, aus denen die seltnen Waaren kommen, sondern sie erheben sich eben von dieser Arbeit durch Lieder, welche die Seele befreien und das Gemüth kräftigen.

Emil Rittershaus hat vor Kurzem „Neue Gedichte“ erscheinen lassen (Leipzig, 1871), von denen bereits eine neue Auflage nöthig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 871. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_871.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)