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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871)

Geschmeide besitzt, für die aber Perle, Gold und Seide nur „Wolke vor dem Sonnenlicht“ wäre.

Füll’ den Pokal mit Schiraswein,
Entfess’le deiner Locken Pracht!

ruft der Dichter der Geliebten und zugleich seiner Muse zu, welche die Schönheit seiner Zuleika mit freudigen Liedern verherrlichen soll. Das glühendste darunter ist das Lied von der wilden Rose, in welchem sich die folgenden schönen Strophen befinden:

Du wendest seitwärts Mund und Wange?
Horch, was im Wogenlispeln spricht!
Es küssen sacht am Uferhange
Die Wellen die Vergißmeinnicht.
Und lausche, wie es rauscht verstohlen
Dort in des Waldes laub’gem Dach –
Das ist des Zephyr’s Athemholen!
Er küßt die wilden Rosen wach.

Still! Hörst du’s nicht vom Busche schallen?
Die Brust durchzuckt’s wie Flammenguß.
Das sind des Frühlings Nachtigallen,
Das ist des Mai’s gesung’ner Kuß!
Fühlst du nicht Wonne unermessen
Aus dieses Liedes Klängen sprüh’n?
Komm, lass’ uns Lipp’ auf Lippe pressen,
Mein Lieb’! Die wilden Rosen blüh’n!“

Auch Gedichte „aus dunkeln Stunden“ hat Emil Rittershaus verfaßt; doch er ist kein Poet der Zerrissenheit, der mit dem Kainsstempel umherläuft; auch würde ihm der Weltschmerz älteren und neuesten Datums nicht gut zu Gesicht stehen. Er findet sich daher mit dem dunkeln Geist so rasch wie möglich ab, indem er ihm nur drei Gedichte weiht, und wenn er in dem einen der Göttin nachrühmt, daß sie manches Blüthenblatt in ein verfehltes Leben gestreut habe, so corrigirt er sich augenblicklich:

Nein, nicht verfehlt! Durch Sorg’ und Noth
Stählt sich ein rechter Mann zur ernsten That

Offenbar hat der Dichter kein Talent dafür, sich in die Nachtseiten des menschlichen Lebens zu vertiefen; was aber die dunkeln Stunden betrifft, so kommen sie über Jeden; denn das ist einmal Menschenloos. Unheimlich düster ist in der ganzen Sammlung nur die erste Ballade, „der Henker“, die an den grellen Ton Victor Hugo’scher Romane erinnert.

Wenn Sie einen frischen Sänger von gesunder Empfindung unter die Lieblinge Ihres Toilettentisches aufnehmen wollen, neben den geistreichen und tiefsinnigen Weltweisen der Dichtung, in deren Schriften Sie in Ihren „dunkeln Stunden“ blättern, so empfehlen wir Ihnen den Sänger aus dem Wupperthale, welcher nie in unerquicklicher Weise der Menschheit Schnitzel kräuselt, sich nie in die Fistel versteigt und hohe Töne erkünstelt, sondern mit vollem Brustton vom Herzen zum Herzen singt.




Eine verlorene Flotte im Eismeer.

Von M. E. Plankenau.

Vor einigen Wochen brachten die Zeitungen die kurze Notiz, daß im Eismeere nördlich der Beringstraße der größte Theil der amerikanischen Walfängerflotte vom Eise eingeschlossen worden und verunglückt sei. Von befreundeter Hand und von Männern, welche die Katastrophe mit durchlebten, sind mir nun genügende Mittheilungen über dieses Ereigniß zugegangen, so daß ich es unternehmen kann, dasselbe ausführlich zu schildern. Von den nach dem Polarmeer gegangenen Schiffen sind dreiunddreißig theils total zu Grunde gegangen, theils im Eise steckend des herannahenden Winters wegen von ihrer Bemannung verlassen worden. Mein in Nr. 5 und 6 dieses Jahrgangs der Gartenlaube erschienener Aufsatz „Eine Fahrt in das Eismeer“, in welchem ich über Witterungs- und Eisverhältnisse, über die Küstenländer, und deren Bewohner und über das Leben und Treiben der Walfänger in jenen Gewässern eingehend berichtete, kann jetzt für das Nachstehende als belehrende Einleitung benutzt werden.

Die für die Sommerkreuze im arktischen Ocean bestimmten Schiffe verließen, wie gewöhnlich, im Frühling dieses Jahres die verschiedenen Erfrischungshäfen im Stillen Ocean und eilten auf verschiedenen Wegen ihrem Ziele zu. Anfang Mai hatten sie die langgestreckte Inselkette der Alëuten passirt und trafen schon nach wenigen Tagen im Bering-Meer, westlich von der Insel St. Paul, in ungefähr achtundfünfzig Grad nördlicher Breite, auf so mächtiges und so dicht zusammengeschobenes Treibeis, daß die Fahrzeuge sich nur langsam vorwärts arbeiten konnten, zumal der Wind fast während des ganzen Monats Mai scharf von Nordosten und Norden blies.

An der Ostküste von Sibirien, vom sechzigsten Breitengrad an nordwärts, lag das Eis so dicht, daß es den Schiffen jeden Durchgang verwehrte; endlich aber lockerte es sich und erlaubte diesen Anfang Juni bis zum Cap Navarin vorzudringen. Hier gab es zwar Wale genug, doch hielten dieselben sich zwischen dem Pack, so daß es den Booten nicht möglich war, sie zu erreichen. Den nach Norden ziehenden Walen folgend, versuchten nun die Fahrzeuge quer über den Golf von Anadyr segelnd, die Beringstraße und durch diese das Eismeer so schnell als möglich zu erreichen, hatten aber fortwährend schwer mit großen Massen von Treibeis zu kämpfen.

Während des Juni waren die Winde leicht und unbeständig, das Wetter sehr neblig, und die Flotte hatte erst bis zu Ende dieses Monats die Beringstraße passirt. Ende Juli begannen endlich starke Winde von Südosten und Nordosten zu blasen und trieben das Eis von der amerikanischen Küste ab; die Hauptmasse desselben lag zwischen Cap Lisburne und dem Eiscap, jedoch öffnete sich nun zwischen diesem und dem Lande ein verschieden breiter Streifen freien Wassers. Auf diesem drangen nun die meisten Schiffe, die Gelegenheit sofort benutzend, nach Nordosten vor, doch wurden sie am Eiscap aufgehalten und ankerten dort, weil auf der unmittelbar nördlich von diesem liegenden Blossombank die Eisfelder auf den Grund gerathen waren und von der sehr starken Nordostbrise dort festgehalten wurden. Am 6. August ging der Wind nieder, das Eis trieb seewärts und die Mehrzahl der Schiffe arbeitete sich zwischen Land und Eis nach Norden hinauf bis zu Wainwright Inlet. Hier fanden sich viele Wale und viele derselben wurden gefangen, obgleich auch eine große Anzahl im Eise verloren ging; immerhin berechtigte der endliche Erfolg zu den schönsten Hoffnungen auf eine gute „Saison“.

Die meisten Fahrzeuge gingen vor Anker oder machten zu den großen, noch auf dem Grunde liegenden Eisblöcken fest, während die Boote in allen Richtungen kreuzten. Die scheuen Wale hielten sich meistens an ihren Lieblingsplätzen auf, den mehr oder weniger großen freien Wasserflächen zwischen den Feldern, und überall sah man ihre Dunststrahlen emporsteigen. Dies verlockte viele Boote, in dem vielverzweigten Netz von Canälen, welche das Eis durchzogen, meilenweit seewärts vorzudringen, um dort auf Beute auszugehen. Diese Streifzüge waren mehrmals erfolgreich und bald wetteiferten die Bemannungen der verschiedenen Fahrzeuge darin, möglichst in die Ferne gerichtete Expeditionen zu unternehmen und sich aus dem Packeis einen Wal zu holen. Mit derartigen Fahrten werden ja die Walfänger in ihrem wechselvollen Leben hinreichend vertraut, und das Dahingleiten auf den stillen dunkeln Wasseradern zwischen den seltsam geformten und stellenweis ziemlich hoch aufgethürmten, in prächtigen Farben strahlenden Schollen und Blöcken übt immer wieder einen eigenen Reiz aus, welcher die in dieses Zauberreich Eingedrungenen tiefer und tiefer in das Labyrinth der Canäle hineinlockt.

So befanden sich auch am 11. August viele Boote wieder meilenweit zwischen dem Eise verstreut, als die leichte Brise plötzlich umschlug und von Westen kommend dasselbe dichter und dichter zusammenschob. Nun ist die Bewegung des sich bei mäßigem Winde schließenden Eises allerdings eine sehr langsame, jedoch zugleich auch eine sehr verschiedenartige, da die kleinen und die namentlich viel Körper über Wasser zeigenden Blöcke sich schneller bewegen, als die sehr großen und tiefgehenden, und so können denn schon, je nach der Kraft des Windes und der Beschaffenheit des Eises, nach kaum einer Viertelstunde die meisten Wasserwege zwischen den Feldern unpassirbar geworden sein.

Diese Erfahrung mußten auch eine große Anzahl Boote machen, welche zu weit seewärts vorgedrungen waren und trotz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1871). Leipzig: Ernst Keil, 1871, Seite 874. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1871)_874.jpg&oldid=- (Version vom 4.8.2020)