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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

hören. Nachdem er zu Parma von Rolla, dem berühmten Violin-Virtuosen, und in der Composition von Ghivetti Unterricht erhalten und dann in Genua der Einsamkeit hingegeben die fleißigsten Studien gemacht hatte, reiste und concertirte er im Alter von fünfzehn Jahren allein, immer nur in Italien herum, zweiundzwanzig Jahre hindurch, seine Fertigkeit immer wunderbarer ausbildend. Einige Jahre war er am Hofe zu Lucca angestellt. Nun aber erwachten in dem feurigen jungen Italiener die Leidenschaften. Er wurde liederlich. Vor Allem huldigte er der Liebe und dem Spiel. Die erstere schadete seinem Körper, das letztere brachte ihn oft in große Noth und Sorgen. Als er in Deutschland erschien, war er ein ordentlicher und sehr sparsamer Mann. Von Wien aus datirt sich sein Weltruhm. Und nun durchzog er denn nach und nach Deutschland, Frankreich, England, Spanien, Polen etc. und kehrte endlich nach einer Abwesenheit von zehn Jahren im Sommer von 1834 nach Italien zurück, mit Ruhm und Reichthümern überhäuft, fortan bald in Genua, bald in Mailand oder bei Parma lebend. Nach einem kurzen Aufenthalt in Paris, wo er bereits seiner gesunkenen Gesundheit wegen nicht mehr concertiren konnte, eilte er, zu Schiffe nach Genua zurückzukehren, weil er dort zu genesen glaubte. Es war eine vergebliche Hoffnung! Nizza sollte sein letzter Aufenthaltsort werden. Sein Uebel, die Schwindsucht, machte dort reißende Fortschritte. Die Stimme erlosch, seine Kräfte sanken vollständig. An seinem letzten Abende schien er ruhiger als gewöhnlich; er hatte ein wenig geschlafen; als er erwachte, ließ er den Bettvorhang öffnen, um den Mond zu betrachten, der in vollem Glanze am reinen Himmel emporstieg. Bei diesem Anblick belebten sich seine Sinne noch einmal, er ergriff mühsam seine Violine, die treue Begleiterin auf seinen Reisen, und sendete mit seinen letzten Tönen seinen letzten Seufzer gen Himmel.

Der große Meister starb am 27. Mai 1840 im sechsundfünfzigsten Jahre seines Lebens.

Mit dem Tode des außerordentlichen Mannes war noch nicht Alles zu Ende. Er war ein Italiener und Katholik. Er glaubte an Gott, aber nicht an die Pfaffen. Er besuchte gern die Kirchen, Dome, um die gottbegnadeten Meisterwerke der Architekten, Bildhauer, Maler zu bewundern, oder die religiösen Musikwerke der alten italienischen etc. Componisten zu genießen – über das die Menschen umnebelnde und in der Verdummung erhaltende Ceremoniengemenge und Geräuchere aber hatte er die Gedanken wie die ganze aufgeklärte Welt. Dergleichen mochte der menschheitliebenden katholisch-christlichen Priesterschaft zu Ohren gekommen sein; der sehr christliche Erzbischof von Nizza versagte ihm das Begräbniß in geweihter Erde. Nur nach langem vergeblichem Bitten des Sohnes und seiner Freunde wurde ihm von Rom aus ein christliches Begräbniß bewilligt.

Paganini hinterließ einem legitim angenommenem Sohn mit Namen Achilles ein Vermögen von zwei Millionen und seinen beiden Schwestern Legate von fünfzig- bis sechszigtausend Franken, der Mutter seines Sohnes aber, der Sängerin Antonia Bianchi aus Como, nur eine lebenslängliche Rente von zwölfhundert Franken. Außerdem hinterließ er eine Sammlung der kostbarsten Streichinstrumente von Guarneri, Amati, Stradivari etc., letzteres das einzige Instrument, das er in seinen Concerten spielte, und das er seiner Vaterstadt Genua vermachte, da er nicht wollte, daß es ein anderer Künstler nach ihm besitze. Einer andern Version zufolge hatte er es Ernst vermacht, Außer der Kränklichkeit, den fast unausgesetzten körperlichen Leiden, verfolgten ihn auch die niederträchtigsten Verleumdungen der vielen Neider seiner Erfolge und seines Ruhms. Sie gingen so weit, daß man ihn wirklicher Verbrechen bezichtigte. Er sollte in seiner Jugend mit Räubern verkehrt haben; er sollte aus wüthender Eifersucht seine Gattin, und da er bewies, daß er niemals verheirathet gewesen, seine Geliebte ermordet haben. Die Einen versicherten, daß er dieser Verbrechen wegen viele Jahre mit Ketten belastet auf der Galeere zugebracht, wovon sein unsicherer schwankender Gang herrühre, andere ließen ihn eine lange Kerkerhaft erdulden, in welcher ihm nach und nach die Saiten seiner Violine geplatzt, und nur die vierte übrig geblieben, weshalb er nothgedrungen sein Spiel auf der G-Saite zu bewundernswerther Fertigkeit gebracht habe. Vorzüglich zeichnete sich in der Erfindung solcher Geschichtchen das an der Spitze der Civilisation marschirende Paris aus. Fétis sagte: „Es giebt in dieser Stadt einen ganz ansehnlichen Theil der Bevölkerung, der von dem Ueblen lebt, das er thut, und von dem Guten, das er verhindert.“ Ja, in seinem Vaterlande, wo die Orangen glühen, und die Banditen und Pfaffen blühen, behaupteten manche allen Ernstes, daß er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen und seine Seligkeit in jener Welt dahin gegeben, wofür er ihm in dieser die Zauberkünste gelehrt. Alle diese Fabeln haben sich freilich nach Paganini’s Tode als Schanderfindungen und dummer Aberglaube erwiesen, aber bei seinem Leben wurden sie von Vielen für wahr gehalten, – die liebe Menschheit glaubt ja das Schlechte viel leichter und lieber als das Gute, besonders, wenn es große, berühmte oder sonst vom Glück begünstigte Menschen betrifft.


(Schluß folgt.)




Der Landwehr blutigster Tag vor Metz.


Wenn auch das alte preußische Armeeübel, daß die Linie mit überliefertem Stolz auf die Landwehr blickt, seit dem letzten Krieg wohl bedeutend nachgelassen hat, so kann die Gegenwart doch nur für sich selbst bürgen und menschliche Vergeßlichkeit leicht einmal wieder in die alte Sünde zurückfallen lassen.

Darum ist’s gut, für diese Zukunft ein Bild vom Heldenthum der Landwehr vor die Augen zu stellen, das schon seines künstlerischen Werthes wegen nicht so leicht in die Rumpelkammer geworfen wird. Und zum tüchtigen Bild gesellen wir das tüchtige Wort, das ebenfalls gerechten Anspruch auf dauernden Werth macht, denn es enthält nicht das Nationalselbstlob, für das man es erklären könnte, wenn ein Deutscher es geschrieben hätte, nein, es ist die weltbekannt gewordene Schilderung des blutigsten Tages der preußischen Landwehr von einem Engländer, von dem Berichterstatter der „Daily News“, der ein Augenzeuge des Heldentodes dieser Regimenter von Männern und Vätern war.

Der siebente October 1870 vor Metz

wird ebenso ein Ruhmes- wie ein Schmerzensblatt in der preußischen und fortan deutschen Geschichte bleiben; der englische Bericht aber ist gewiß der beste Balsam für die vielen noch blutenden Herzen und das schönste Denkmal für die Gefallenen. Darum soll er ungekürzt hier seine Stelle finden.

Von Metz nach Maizières – so schreibt der Berichterstatter – zieht sich wie eine lange Mulde mit flachem Boden, die durch die Anschwellung der Mosel sich gebildet hat, das Terrain hier in einer Breite von etwa vier englischen Meilen. Westlich und östlich laufen Höhenzüge, aber zwischen den östlichen Hügeln und der eigentlichen Thalebene fließt die Mosel, die stellenweise, besonders Olgy gegenüber, weit in die Ebene einschneidet. Quer durch das Thal hindurch, wo es sich am meisten verengt, zieht sich eine Reihe von Dörfern, die beiden Tapes und St. Remy, während Maxe und Ladonchamps etwas mehr gegen die östliche und westliche Front zu liegen. Alle diese Punkte waren von den Preußen mehr oder weniger stark besetzt. Bazaine hatte seine Dispositionen mit großer Umsicht getroffen. Unter dem Schutze des Nebels hatte er so prompt operirt, daß, als es kurz nach 1 Uhr hell wurde, seine Anordnungen beinahe vollendet waren. Zunächst führte er einen heftigen Stoß gegen Ladonchamps, aber die Landwehr-Vorposten hielten das Dorf, als ob sie nicht hundert, sondern zehntausend Mann stark wären. Die Franzosen sendeten ihre Infanterie in Schaaren hinein, während gleichzeitig ihre Artillerie zu spielen begann. Nur ein Versuch, Ladonchamps wieder zu nehmen, meinte man beim Stabe, den unsere Artillerie dem Feinde schon eintränken soll. In der That arbeiteten die preußischen Geschütze wacker genug, allein die Annahme war nicht richtig, denn der Angriff auf Ladonchamps war nur eine Diversion. Plötzlich ergoß sich auf die Dörfer Grandes und Petites Tapes, St. Remy und Maxe ein wahrer Strom von Franzosen. Die Neunundfünfziger Landwehr wollte nicht weichen, obwohl sie es kluger Weise hätte thun sollen. Sie stand, bis die Franzosen nach einem mörderischen Geschützfeuer und einem Regen von Chassepot- und Mitrailleusen-Kugeln den zusammengeschossenen

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