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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Für einen deutschen Geisteskämpfer.


Ludwig Feuerbach.

Es ist schwer, den Volkskreisen eine klare Anschauung von der Bedeutung des Philosophen beizubringen. Wenn wir ihnen auch sagen, daß das Wort „Philosophie“ so viel als „Liebe zur Weisheit“ bedeutet und die Philosophie im Verlauf der Zeiten ausgebildet worden ist zur „Wissenschaft der allen anderen Wissenschaften gemeinsamen Principien und der allgemeinen Gesetze der wissenschaftlichen Forschung“ – oder zur „Wissenschaft von dem Wesen der Dinge an sich, also von Dem, was in dem Wechsel der Erscheinungen und unter allen besonderen Gestaltungen als das Bleibende sich offenbart“ – so werden wir damit den Philosophen dem Volke um keinen Schritt näher gebracht haben. Die Herren der Wissenschaft haben ja ohnedies lange genug eifrig dafür gesorgt, dem Volke möglichst fremd zu bleiben, und noch jetzt hat das sogenannte Popularisiren der Wissenschaften seine erbittertsten Gegner im Gelehrtenzunftlager. Das Bedürfniß brach auch hier dem Besserem Bahn. Verständlich dem Volke wird aber ein rein geistiges Wirken nur durch die Erfolge im Leben. Weisen wir es denn auf die Zeiten der Unthaten des Aberglaubens und die Verbrechen des Glaubens hin, so werden wir unserem Ziel näher kommen. Weder der Theologie noch der Rechtswissenschaft allein war es zum Beispiel möglich, den scheußlichen Hexenprocessen ein Ende zu machen Dazu gehörte eine Befreiung des Geistes von ihm unglaublich fest anhangenden Schlacken des Irrwahns und aus einer kläglichen Beschränktheit. Diese schwere Arbeit war Beruf der Philosophie. Während es noch heute nicht an katholischen Priestern fehlt, welche dem Teufelsglauben zu Liebe auch Scheiterhaufen wieder anzünden, und sogenannte lutherische Pastoren, die es nicht ungern sehen würden, wenn man Diejenigen, welche nicht in ihre Kirchen geben, in’s Gefängniß steckte, – ist die Philosophie ihren das Denken reinigenden Gang weiter geschritten und längst in die Pforten des Glaubens selbst eingedrungen, um den Geist vom Zwang zu befreien; sie ist es, die zuerst die Befreiung der Schule von der Kirche verlangte; aber sie ist es auch, die in der Politik ihre befreiende Stimme erhob, denn ihr höchstes Ziel ist die Wahrheit, und was sie auf dem Weg zu diesem Ziel Störendes und Hemmendes findet, muß sie zu befestigen suchen, und das ist der Kampf, den sie für die Menschheit führt.

Aber auch das Vaterland vergißt sie nicht und alle Tugenden stehen unter ihrem Schutze. Im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts, wo Deutschland am Boden lag und der deutsche Geist nur in der Pflege der Ideen fortlebte, sprach man eben deßhalb der Nation alle Thatkraft ab. Da trat Fichte auf, der tapfere Philosoph, und goß das Feuer seines Geistes in die Jugend, und wie herrlich bewiesen die Denker und Träumer, diese Professoren und Studenten auf den Schlachtfeldern des Befreiungskriegs, daß die Ideen auch Kraft zum Handeln geben!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_017.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)