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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Thierbudiker.


Von Franz Schlegel, Director des Zoologischen Gartens in Breslau.


Neben fliegenden Buchhändlern haben wir auch fliegende Zoologen. Wir meinen nicht Roßmäßler und Vogt mit ihren Wandervorlesungen, vielmehr die Schausteller zoologischer Merkwürdigkeiten und deren Helfershelfer. Von den Budikern, welche auf Vogelschießen, Messen, Jahrmärkten hier einen Seehund, und weil das gar zu gemein klingt, natürlich als Seejungfer oder Seebär, Seewolf oder Seelöwen, dort einen Dachs als amerikanisches Stinkthier, einen Schäferhund als Wolf präsentiren, weiße Mäuse oder Rattenalbinos, Murmelthiere, dressirte Flöhe, gelehrte Hunde oder abgerichtete Canarienvögel zur Schau stellen – über diese Kleinkrämer hinweg lassen Sie uns zu den Engroisten der Gilde übergehen.

Wer kennt nicht die Firmen van Aken, Martin, Kreutzberg, Renz, Batty, die sich theils durch kostbare Thiersammlungen, theils durch ihre Vertraulichkeit mit wilden Bestien einen Namen gemacht. Sie Alle, ausnahmslos, und mögen sie die ausgezeichnetsten Schausteller heißen, verschmähen nicht, zu „klappern“ – Klappern gehört zum Handwerk –, ja scheuen selbst vor Täuschungen des Publicums nicht ganz und gar zurück. Wagen sie auch nicht, wie das ehelängst hier zu Lande geschehen, ein gemeines Maskenschwein hochtrabend als Zwerghippopotamus oder als Rhinocerosschwein auszuposaunen: in der Regel wird doch der Gänsegeier zum Lämmergeier, und mit allerlei reizenden Titulaturen für seine Thiere ist man keineswegs karg. Klappern gehört zum Handwerk, und es steht diese Maxime nicht nur bei Menageristen in hohem Ansehen, sie wird eigentlich bewußt oder unbewußt überall befolgt. Für Schaustellungen wenigstens ist sie das unerläßliche Aushängeschild. Die Amerikaner nennen das „Humbug“. Es hat sich damit ein etwas verächtlicher Begriff verbunden; aber die Welt will betrogen sein und obendrein ist es ganz besonders lustig, die Dummen, „die nicht alle werden“, zu foppen, und gewiß nicht ganz ohne Verdienst, sie zu witzigen.

Doch bleiben wir bei unseren Thierbudikern.

Menageristen sind unter sehr schwierigen Verhältnissen geschulte und nothgedrungen ganz vortreffliche Praktiker. Man denke nur daran, welche Calamität das Nomadenleben ist, und wie wenig Schutz sie dabei für ihre Thiere vor den Widerlichkeiten des Klimawechsels haben. Was will das sagen, Eisbäre z. B. und Rennthiere auf engen Raum beschränkt in brennender Sonnenhitze einem langweiligen Transport ausgesetzt zu sehen; jedenfalls bedenklicher noch ist es, tropische Thiere vor grimmiger Kälte schützen zu müssen. Gern nehmen unsere heutigen Menagerien ihren Weg den Linien des Eisenbahnnetzes entlang, sonst aber galt es auf Heerstraßen sich fortzuschleppen, und da litten denn die Thiere, abgesehen von der Langwierigkeit, durch Staub und holprige Passage oft ganz erschrecklich. Kolosse, wie Elephanten, mußten ihre Reise natürlich zu Fuß zurücklegen und marschirten zwischen einem überdeckten, mit Pferden bespannten Räderkasten. Wenn es dem Unhold nicht behagte, weiter Fuß bei Fuß zu setzen, und es dem Cornak nicht gelingen wollte, seinem Thiere die Unthunlichkeit, auf offener Landstraße Halt zu machen, beizubringen, dann zogen, wie ich das selbst erlebt, zehn Pferde nicht den Widerspenstigen von der Stelle. Nothgedrungen hielt man eben, bis der Elephant beliebte weiter zu marschiren, was nicht selten erst dann geschah, wenn man dem Indianer tüchtig zugesprochen, und zwar nicht blos mit Worten, sondern am liebsten mit Rum, Cognak oder Arak.

Das Menageriegeschäft galt bis vor wenigen Jahrzehnten als ein sehr einträglicher Erwerbszweig. Immer aber war es nicht ohne Wagniß, weil die Spesen dabei ganz ungeheuer sind. – Zuweilen verfolgt sie Mißgeschick; ein epidemisches Sterben kann eine Menagerie binnen wenigen Tagen ruiniren. Renz geschah es, daß bei der Ueberfahrt von Kopenhagen seine sämmtlichen Thiere über Bord gestürzt werden mußten, um das lecke Schiff vom Untergang zu retten.

Augenblickliche Geldverlegenheiten haben schon ganz respectable Firmen betroffen; glücklicherweise scheitern aber beabsichtigte Pfändungen an der Rathlosigkeit der Gläubiger und der Gerichte, wie Löwen, Tiger, Elephanten und Nashörner aufzubewahren sind. Wenn freilich ein zoologischer Garten am Orte ist, dann versteht sich wohl dieser dazu, die gepfändeten Thiere aufzubewahren. So sah ich einst Batty’s Löwen im Dresdner Thiergarten fast einen ganzen Sommer lang als Bürgen für die Schulden ihres Herrn haften.

In Hafenstädten zumal findet man stets Firmen, welche ausgedehnten Handel mit lebenden Thieren treiben. Die bekanntesten Grossisten der Gilde sind die beiden Deutschen Hagenbeck in Hamburg und Jamrach in London. Beide sind Inhaber stehender Menagerien, deren Hauptzweck aber nicht die Schaustellung, sondern der Handel ist. Hier werden in der Regel wenig Umstände mit den Thieren gemacht, ungleich weniger, als wir in zoologischen Gärten zu machen pflegen. Zeit ist Geld, sagt der Handelsherr und auf ein gegenseitiges Verständniß wird bei der zumeist kurzen Dauer des Verkehrs ohnehin nicht gerechnet. Einem Nichtwollen antwortet der Besitzer mit dem unerbittlichen Muß, und dem einfachen Commando wird die Wasserspritze oder je nachdem die eiserne Brechstange Nachdruck zu verleihen wissen. Die Zufuhr überseeischer Thiere ist noch keineswegs so geregelt, als man dem europäischen Bedarf nach erwarten und wünschen möchte. Die Bezugsquellen sind oft genug rein zufällige. Seeleute wie Passagiere führen nicht selten einzelne Thiere zur Kürzung der Langeweile während einer eintönigen Fahrt mit, schlagen dieselben bei der Landung gegen ortsübliche Münze los und so trifft es sich zuweilen, daß bedeutende Kostbarkeiten zu Spottpreisen eingehandelt werden. Kleinere Thiere, zumal Vögel, vor Allem aber Papageien, sowie das Heer der kleinen afrikanischen Finken, die sogenannten Schmuckvögel werden bekanntlich zu Hunderten und Tausenden auf Speculation verschifft und in Europa zu Markt gebracht. Transporte von größeren Thieren aber belieben Capitaine selten und dann höchstens nur die einzelner weniger Individuen und womöglich in besonderem Auftrag. Handelt es sich gar um Thiere, welche nicht am überseeischen Landungsplatze sich darbieten, sondern, wie fast alle größere Thiere, tief aus dem Lande her beschafft werden müssen, so kann, wenn nicht besonderer Zufall im Spiele ist, auf deren gelegentliche Zufuhr nicht gerechnet werden. Diese Aufgabe fällt einer besonderen Kaste zu, den eigentlichen Voyageurs des Geschäfts. Wenige nur wagen Gut und Blut an diesen Erwerbszweig und noch wenigere mögen dazu berufen sein. Keiner von Allen aber hat soviel gewagt und soviel gewonnen, als der meinen Lesern aus der Gartenlaube bekannte Casanova.

Durch Gründung der zoologischen Gärten sind die Ansprüche des Publicums allerdings gewachsen und mag das Geschäft auch wohl einigermaßen beeinträchtigt worden sein. Lange vorher aber, schon weil die Menagerien sich täglich mehrten und weil der Kreis der in Buden auszustellenden Thiere ein ziemlich beschränkter ist, schien es nicht recht mehr zu genügen, die Bestien einfach anzuschauen. Es galt dem fast gleichmäßig wiederkehrenden Einerlei neuen Reiz zu geben, und damit wurden aus unseren Thierbudikern Thierbändiger. Schon die alten Römer veranstalteten Thierkämpfe in ihrem Circus. Ihren starken Nerven aber war es nicht genug, die Gewandtheit und Kaltblütigkeit der Gladiatoren zu bewundern. Unbedingt Blut mußte dabei fließen, gleichgültig ob das der Thiere oder der Menschen. Wir dagegen dünken uns etwas besser; vorgeblich die Herrschaft des Menschen über die Bestien bewundernd, lassen wir uns von der Furcht kitzeln, den Thierbändiger zerfleischt werden zu sehen.

Die Kunst, wilde Thiere zu zähmen, hat von jeher als besonderes Geheimniß gegolten. Viele verschiedene Ansichten sind darüber laut geworden. Kein Thierbändiger hat aber bislang sein Geheimniß verrathen und zwar nicht darum etwa, weil er zünftig dasselbe bewahren zu müssen geglaubt, sondern darum, weil er instinctiv mehr als selbstbewußt zu jener Praxis gelangt, welche ihm die Herrschaft über die wildesten Thiere sichert und deren Kraft in seiner Sphäre lahm legt und gleichsam bannt. Unzweifelhaft in dem Blicke des Menschen liegt für sie etwas Ueberwältigendes, Ehrfurcht und Unterwürfigkeit Gebietendes, auch ohne daß zugleich die ganze Erscheinung des Thierbändigers so imponirend zu sein braucht. Der seiner Zeit berühmte und uns Allen wenigstens dem Namen nach bekannte Martin, der Vorgänger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_034.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)