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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Schöpfungs-Glaube und Wissenschaft.
I.


In der Natur geht Alles natürlich zu und das Glauben fängt da an, wo das Wissen aufhört.

Woher das Material zum Weltenbaue stammt und Warum dasselbe vorhanden ist? Diese Fragen stellt sich die Wissenschaft nicht, weil sie weiß, daß diese niemals beantwortet werden können. Die Entstehung der vorhandenen Materie (des Stoffes) ist der menschlichen Erkenntniß entzogen und kann deshalb niemals Gegenstand wissenschaftlicher Forschung sein. Während der Glaube wohl einen Schöpfer kennt, der Alles zweckmäßig geschaffen und eingerichtet hat, erklärt die Wissenschaft die Materie für ewig und unvergänglich und sucht zu erforschen, Wie alles Vorhandene aus dieser Materie hervorgegangen ist. Für die Wissenschaft giebt es gar keine Schöpfung oder Entstehung des Stoffes, wohl aber eine Entstehung der Form und zwar durch allmähliche Entwickelung des Vorhandenen aus dem Vorhergegangenen. Sie sucht den innern gesetzmäßigen Zusammenhang aller Lebensformen zu finden und die allmähliche Auseinanderentwickelung des Vorhandenen darzuthun. Sie betrachtet diese Entwickelung, die mit der Bildung der Erdrinde beginnt und sich ununterbrochen vom Unorganischen (Gesteinen, Wasser, Luft, Erdboden) auf das Organische (Pflanzen, Thiere, Menschen) fortsetzt, als die nothwendige und unabänderliche Wirkung der physikalischen und chemischen Kräfte (Eigenschaften), welche an der Materie haften. – Die Ansicht, nach welcher Alles, besonders aber Pflanzen, Thiere und Menschen, Producte eines gütigen und zweckmäßig thätigen Schöpfers sind, pflegt man als „teleologische, vitalistische, dualistische“ zu bezeichnen; sie betrachtet die Entstehung der Materie als die Wirkung einer übernatürlichen Schöpfungsthätigkeit und ist ein reiner Glaubensartikel. Dagegen ist die Ansicht, welche das Eingreifen einer übernatürlichen, außerhalb der Materie stehenden schöpferischen Kraft leugnet und Alles, die organischen wie die unorganischen Naturkörper, als die nothwendigen Producte natürlicher Kräfte, als die nothwendigen Wirkungen ewiger und unabänderlicher Naturgesetze ansieht, als „mechanische, einheitliche, causale, monistische“ bezeichnet worden.

Das Material, welches zum Aufbau unserer Erde, und höchst wahrscheinlich des ganzen Weltalls, verwendet ist, besteht, wenn man dasselbe so weit, als es nur möglich ist, zerlegt, nur aus einigen sechszig Stoffen, welche nicht weiter in andere Stoffe zerlegt werden können. Diese unzerlegbaren Stoffe werden „Urstoffe, Elemente, Grundstoffe, einfache Körper“ genannt und nur sie sind es, durch deren verschiedenartige Vereinigung die außerordentliche Mannigfaltigkeit der Körperwelt herbeigeführt wird. Keiner dieser Grundstoffe läßt sich in einen andern Grundstoff umwandeln und jeder hat seine ganz bestimmten Eigenschaften oder Kräfte, welche er, so lange er für sich allein besteht, weder verlieren noch ändern kann. Durch die verschiedenartigsten Vereinigungen der Urstoffe unter einander entstehen die sogenannten „zusammengesetzten Körper“, in welchen nun, durch die Verschmelzung der Eigenschaften der sich vereinigenden Elemente, ganz neue und bestimmte Eigenschaften (Kräfte) zu Tage treten, während die der einzelnen verschmolzenen Elemente nicht mehr bemerkbar sind. Wird dann ein zusammengesetzter Körper wieder in seine Elemente aufgelöst, so gehen mit der Auflösung desselben natürlich auch dessen Eigenschaften (Kräfte) verloren und es erscheinen die Elemente mit den ihnen eigenen Eigenschaften wieder. Vereinigt man zum Beispiel die beiden in ihren Eigenschaften sehr von einander abweichenden Elemente „Sauerstoff“ und „Wasserstoff“ mit einander, so bildet sich „Wasser“, ein Körper, welcher ganz andere Eigenschaften besitzt, als seine Elemente. Zerlegt man das Wasser, so kommen natürlich jene beiden Elemente mit ihren bestimmten Eigenschaften wieder zum Vorschein und die Kräfte des Wassers sind sammt dem Wasser verschwunden. – Die zusammengesetzten Körper, zu deren Bildung übrigens nur eine sehr geringe Anzahl von Grundstoffen beiträgt, bilden die Hauptmasse des Weltenbau-Materials, während die allermeisten Grundstoffe rein nur sehr vereinzelt in der Natur vorkommen.

Die Grundstoffe gehen, nachdem sie sich aus früheren Verbindungen losgetrennt haben, fortwährend neue Verbindungen ein und erzeugen so immerfort neue zusammengesetzte Körper mit neuen Eigenschaften und Kräften. Daher kommt es denn auch, daß die Erde auf ihrer Oberfläche und in ihrer Rinde seit Jahrmillionen ein immer anderes Ansehen erhalten hat und immerfort noch erhält. – In den allerfrühesten Zeiten unserer Erdbildung entstanden blos, ohne Zweifel der damals herrschenden Verhältnisse wegen, durch einfache, aber sehr feste Vereinigung nur weniger Elemente, zusammensetzte Körper von großer Einfachheit und ziemlich langer Existenz. Sie finden sich auch jetzt noch in und auf der Erde und zwar in flüssiger (luftförmiger und tropfbarflüssiger) und fester (erdiger, gestaltloser oder krystallinischer) Form vor, werden „unorganische, todte, leblose, unbeseelte Körper“ genannt, bilden zusammen das „unorganische Reich“ und sind: die Gesteine, das Wasser, die Luft und der Erdboden, welcher letztere aber erst durch Zerstörung (Verwitterung) der Gesteine entstanden ist. Den Anorganen fehlen Werkzeuge (Organe), mit deren Hülfe sie wachsen und sich in ihrer Existenz erhalten können, auch gehen eiweißartige Kohlenstoffverbindungen niemals in ihre Zusammensetzung ein. Alle Erscheinungen, welche an diesen anorganischen Naturkörpern zu Tage treten, sind nur die nothwendigen und unabänderlichen Wirkungen der physikalischen und chemischen Kräfte, welche an der Materie dieser Körper haften.

Aus diesen unorganischen Körpern (hauptsächlich aus den kohlenstoff- und stickstoffhaltigen) entwickelten sich allmählich durch veränderte Verbindung und Vermehrung ihrer Grundstoffe, sowie unter gewissen, uns zur Zeit noch unbekannten Umänderungen der damaligen Verhältnisse auf unserer Erde (welche anfangs mit einer sehr kohlensäurereichen Dunstatmosphäre umgeben war und wahrscheinlich einen großen Kohlen- und Stickstoffreichthum in ihrem Urweltmeere enthielt), Körper mit neuen und äußerst mannigfaltigen Eigenschaften (Kräften), welche durch die vielfach verschlungenen und sich durchkreuzenden Beziehungen und Verknüpfungen ihrer Grundstoffe zu einander sehr complicirte, aber lockere Verbindungen darstellen. Sie sind, eben wegen der leicht trennbaren Verbindung ihrer Grundstoffe, auch leicht zerstörbar und vergänglich, von kurzer Dauer, und bedürfen überhaupt zu ihrem Wachsen und Bestehen eines fortwährenden Sichneubildens. Bei ihrer Zerstörung, wo sie sammt ihren Eigenschaften aufhören zu existiren, lösen sie sich natürlich ebenfalls wieder in ihre Grundstoffe auf, die dann abermals in neue Verbindungen (zusammengesetzte Körper) ein- und zusammentreten. Die ganz besondere und von der in den Anorganen ganz verschiedene Verbindungsweise der Grundstoffe in diesen Körpern bedingt zunächst gewisse physikalische Eigenthümlichkeiten, insbesondere in der Dichtigkeit ihrer Materie. Denn während sich die Anorgane entweder in festem oder flüssigem Zustande befinden, haben diese Körper, wegen der Durchtränkung und Aufquellung ihrer festen Bestandtheile mit viel Wasser, eine festweiche Beschaffenheit. Der Grundstoff aber, welcher vorzugsweise diesen Körpern ihre Eigenthümlichkeiten und großen Verschiedenheiten von einander verleiht, ist der Kohlenstoff. Dieser erzeugt nämlich durch seine ganz besondere Neigung zur Bildung verwickelter Verbindungen mit den anderen Elementen die größte Mannigfaltigkeit in der chemischen Zusammensetzung und so auch in den Formen und Eigenschaften jener Körper. Er ist es, welcher in seiner Verbindung mit drei anderen Elementen, vorzugsweise mit Stickstoff, sodann aber auch noch mit Sauerstoff und Wasserstoff (zu denen sich in der Regel noch Schwefel und Phosphor gesellt) die ganz unentbehrliche chemische Grundlage für die Existenz jener Körper abgiebt. – Es besitzen nun diese äußerst complicirt zusammengesetzten Körper bald eine größere, bald eine geringere Anzahl von „Organen“, d. h. von Werkzeugen, von denen jedes einzelne seinen ganz bestimmten Bau, seine eigene Form und sein von Form und Bau abhängiges, bestimmtes Geschäft (und zwar ein anderes als das andere) hat, alle zusammen aber zum Bestehen des Ganzen thätig sind. Man nennt diese Körper deshalb auch „organische Körper oder Organismen“ und rechnet zu ihnen die Pflanzen, Thiere und Menschen. In den pflanzlichen Organismen findet sich überwiegend der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_042.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)