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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Karl Wilhelm Hübner.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.




wurden, sich zu Freunden geflüchtet, und erst zwei Monate nach meiner Rückkehr hatte ich das Vergnügen, dieselbe wiederzusehen. Ich traf dort zahlreichen Besuch. Unter den Anwesenden fesselte eine junge Dame in Trauer meine besondere Aufmerksamkeit. Sie hatte ein sehr hübsches Gesicht, große lebhafte Augen und eine Stimme von seltenem Wohlklange. Sie war, wie ich bald erfuhr, die Gattin eines oft genannten Mitgliedes der Commune; und ich hörte so viel von den furchtbaren Schicksalen, welche diese Frau innerhalb weniger Tage erfahren, daß ich mich nicht genug wundern konnte, wie sie dieselben hatte überstehen können. Was ich indessen bei diesem Besuche nur bruchstückweise vernommen, machte mich begierig, es von der jungen Frau selbst und im Zusammenhange zu erfahren.

Nachdem ich sie einige Male wiedergesehen, wagte ich es, ihr meinen Wunsch auszudrücken. Sie erklärte sich bereit, denselben zu erfüllen.

Ich theile nun dem Leser die Erzählung dieser Dame mit, und ich brauche wohl nicht erst zu versichern, daß ich fast wortgetreu das Erzählte wiedergebe. Der Leser übrigens, der den furchtbaren Ereignissen des jüngsten französischen Bürgerkrieges aufmerksam gefolgt ist, wird aus der nachfolgenden Erzählung den Helden derselben leicht errathen können. –

„Ich weiß,“ begann die Frau, indem sie mich einlud, mich neben ihr am Kaminfeuer niederzulassen, „ich weiß, daß Sie ein Feind der Commune sind; ich darf Sie übrigens versichern, daß mein Gatte, der anfangs Communemitglied war und, wie Sie wissen, sich der Mairie des sechsten Arrondissements bemächtigt hatte, die Ausschreitungen der Commune mehr als irgend ein Anderer verdammte. Er sagte den Untergang derselben voraus, und es brach ihm das Herz, als er sah, daß allerlei loses nichtswürdiges Gesindel sich der Gewalt bemächtigte, vor keiner Frevelthat zurückschreckte und in Morden, Sengen und Brennen sich gefiel. Die Katastrophe ließ auch nicht lange auf sich warten. Mittwoch, am 24. Mai, waren die Versailler Truppen schon in unserm Stadttheil. Wir wohnten in der Rue de Seine und man schlug sich an der Ecke der Rue Jacob und Saints-Pères und an der Kunstschule,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_045.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)