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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Soldaten begleitet, nach meiner Wohnung. Ich wurde von einem hitzigen Fieber ergriffen, das schon am folgenden Tage den zarten Keim zerstörte, von dessen Entwickelung ich den einzigen Trost für mein finsteres Dasein hoffte.

Fünf Wochen war ich an’s Krankenlager gefesselt und hatte noch den unbeschreiblichen Kummer zu erfahren, daß man die arme Mariette in eine Irrenanstalt hatte unterbringen müssen, wo sie noch jetzt langsam hinsiecht.

Nach meiner Genesung that ich alle nur erdenklichen Schritte, um den Leichnam meines Gatten zu erhalten. Ich schrieb an Thiers, ich schrieb an den Kriegsminister, ja, ich drang trotz aller Wachen und Huissiers in die Cabinete der höchsten Behörden, um die Erfüllung meines sehnlichsten Wunsches zu erlangen. Umsonst! Einige suchten mich durch Vertröstungen hinzuhalten; Andere sagten mir, man schrecke vor Manifestationen zurück, welche die durch mich veranstaltete Bestattung hervorrufen konnte. Wiederum Andere versicherten, die Ausgrabung und das Wühlen unter der großen Zahl der Hingerichteten könnte eine Epidemie verursachen. Erst nach mehreren Monaten gelang es mir, durch einen Todtengräber zu erfahren, an welcher Stelle mein Gatte im Kirchhofe Montparnasse mit vielen anderen Executirten begraben worden.

Ich habe Ihnen nichts mehr zu erzählen. Sie sehen mich ruhig und ergeben, und ich bin überzeugt daß mich künftig nichts mehr aus der Fassung zu bringen vermag. Ich kann nichts Schrecklicheres mehr erleben, als ich erlebt habe.“

Sie schwieg und starrte regungslos vor sich hin.




Seegeschichten.[1]
Von Heinrich Kruse.
1. Das große Schiff.

Bootsmann Claus und ich, wir saßen zusammen am Gangspill,
Beide auf Backbord-Wach’, und lugten hinaus in das Dunkel.
Schweigend saßen wir da, nach Seemannsweise, die Arme
Platt auf die Brüstung gelehnt und den Kopf dazwischen vergraben.
Sanft war der Wind; wir glitten dahin in den ruhigen Wogen,
Welche das Weltmeer schlägt, die nicht aufrauschend und kurz sind,
Wie auf unserer See, nein, wonniges Heben und Schweben!
„Bootsmann!“ sprach ich zuletzt. „Was willst Du, Junge?“ Er rieb sich
Gähnend den Schlaf aus den Augen. „Ihr schlaft schon; wenn uns der Steu’rmann
Also Beide betrifft, so bindet er uns an das Gangspill,
Und wir sind auf dem Schiff noch vierzehn Tage das Lachen.
Laßt uns etwas erzählen, damit wir uns munter erhalten.“
„Ja,“ so sprach er, „erzähl!“ „Ich weiß nichts. Bin ja vom Lande,
Komm’ erst eben auf See. Ihr seid ein gewaltiger Seemann,
Seid nach dem Nordpol schon und dem Südpol,“ sagt’ ich, „gefahren,
Ihr könnt eher erzählen.“
                              „Nun gut,“ so sprach er, „wovon denn?
Das von dem großen Schiff, nicht wahr? kam längst Dir zu Ohren?“
„Nein,“ so versetzt’ ich, „noch nie!“
                              „O Du westphälischer Dümmling!“ –
Denn so nannten sie mich – obgleich ich auf Schulen gewesen –,
Weil ich die Sprache des Schiffs noch inne nicht hatte. Des Sonntags,
Wenn sie lasen im Buch, so mußt’ ich die schwierigen Stellen
Ihnen erklären; sie sagten dann wohl großmüthig: „Der Junge
Mag so dumm nun sein, wie er will, das muß man ihm lassen,
Lesen verstehet er gut!“ –
                              „O Du westphälischer Dümmling,
Kommst Du wieder nach Haus, und sie fragen Dich, was Du gelernt hast,
Und Du kannst nicht Bescheid von dem großen Schiffe ’mal geben!
Also merke denn auf, und freue Dich, daß Du die Sache
Hörest von einen aufrichtigen Mann, der selber dabei war.
Denn von dem großen Schiffe berichten sie allerhand Lügen,
Die, Gott straf mich! nicht wahr und in Leumund bringen den Seemann,
Als wenn Lügen zum Grog und Grog zum Lügen gehörte.
Also es ist einmal ein Nordlandkönig gewesen,
Und der baute ein Schiff, so groß, wie noch keines gesehn war.
Als es nun fertig geworden zur Fahrt, ließ schreiben der König:
Wer d’rauf dienen ihm wollt’ als ein rechtschaffener Seemann,
Sollte sich melden dazu, und sollte die Löhnung so groß sein
Wie sein Schiff, so stand in dem Brief.“
                              „Sagt, ist es schon lang her?“
„Ja, schon lange vor heut’. Man findet es nicht im Kalender.
Frankreich hing um selbige Zeit noch zusammen mit England
Wie ein einziges Land, so wie Braunschweig jetzt und Hannover.
Als um die nämliche Zeit mein Vater mich nahm aus der Schule,
Sprach er zu mir: ‚Mein Sohn, Du mußt Dein Glück mal versuchen;
Denn Geld haben wir nicht, Du mußt es Dir selber verdienen.
Wie, wenn Du gingst nach dem Schiff, von dem uns melden die Briefe?‘
‚Ja,‘ so sagt’ ich, ‚ich habe wohl Lust zu verdienen die Löhnung.‘
Also macht’ ich mich auf und erhielt von Mutter den Segen,
Und kam glücklich noch an; sie nahmen im Schiff mich als Bootsmann.“
„Wie? Sie nahmen Euch gleich als Bootsmann auf in dem Schiffe?“
„Das kam daher, ja, sie konnten die Kleinen nicht brauchen,
Und ich war um die Zeit einen Kopf noch größer als heute.“
Was für Lügen das sind! Das wird gut werden! so dacht’ ich.
„Also wir stachen in See und fuhren zuerst in die Nordsee,
Wo arg neblig es ward und stürmisch nach alter Gewohnheit.
Und fast wären wir fest auf Doggers Bank da gesegelt;
Denn wir konnten das Schiff nicht lenken, es war uns zu mächtig,
Drei, vier Striche wohl sprang es herum, und eh’ wir es dachten,
Fuhren wir grad’ auf’s Land, wo heut zu Tag der Canal ist.
Ruck! so sagte das Schiff. Mir knackten die Rippen im Leibe,
Und wir glaubten, da säßen wir nun. Doch prosit die Mahlzeit!
So ein Schiff, wie unseres war, ist so leicht nicht zu halten;
Sondern es ging gleich mitten hindurch, so waren im Schuß wir,
Und auf der andern Seite heraus. Wir fuhren mit Jubel
In das Atlantische Meer. So verdankt der Canal uns den Ursprung,
Und wir tragen die Schuld, daß der Engelsmann und der Franzmann
Sich seitdem in die Haare gekriegt.“
                              „Ein wackeres Schiffchen,
Bootsmann,“ sagt’ ich, „gewiß! Wie groß ist wohl es gewesen?“
„I, das kannst Du genau nachsehen: so groß der Canal ist,
Einundneunzig Meilen die Länge, die Breite nur dreißig.
Wen der Cap’tain am Hauptmast stand und wollte befehlen:
‚All Mann! Wendet das Segel!‘ so ritt ein Reiter zu Pferde
Spornstreichs ab, und blies auf einer Trompete, das Mundstück
War von Silber, und ritt, was er reiten konnte. Es währte
Vierzehn Tage jedoch, eh’ er wieder kam an den Bugspriet.
Was seitdem ich nicht wieder gehabt, war, daß wir am Morgen
Eben gemolkene Milch stets tranken, noch warm von dem Euter.
Denn auf dem Mastkorb war eine Weide, wir hielten uns Vieh d’rauf.“
„Bootsmann,“ sagt’ ich zu ihm, „auf solchem gewaltigen Schiffe
Waren die Masten wohl hoch?“ „Das will ich meinen!“ so sagt’ er,
„Stiegst Du als Junge hinauf, so war, eh’ Du wieder herabkamst,
Grau Dir geworden das Haar.“
                              „Potz tausend,“ erwidert’ ich, „Bootsmann,
Seid Ihr wohl denn selber einmal dort oben gewesen?“
„Dummer Junge,“ so sprach er mit Stolz, „zehn Mal wohl des Tages!“
Und wir sahen uns an und lachten, und wurden nicht müde;
Ueber uns strahlte das Kreuz und die funkelnden Sterne des Südens!
Ehrlicher Claus, Dein denk’ ich mit Lachen noch heut’ und bezeug’ es:
Keiner verstand so zu lügen wie Du von Bremen bis Danzig.




Das Siegesdenkmal zu Berlin.

Berlin, die jetzige Kaiserstadt, hat in dem letzten Decennium gar mächtig an Ausdehnung gewonnen. Neue Straßen sind entstanden, Prachtpaläste erbaut, und die vermehrte Anzahl von Eisenbahnen führt täglich viele Tausende von Fremden herbei. Trotzdem aber ist es erst der Zukunft vorbehalten, Berlin in architektonischer Beziehung zu einer Metropole werden zu lassen, die mit London, New-York oder Paris einen Vergleich nicht zu scheuen braucht. Bis auf den heutigen Tag ist unstreitig der schönste Theil Berlins jene Strecke vom königlichen Schloß bis zum Brandenburger Thor; schon in nächster Zeit jedoch wird die Verlängerung derselben einen noch prächtigeren, imposanteren Anblick dem Beschauenden gewähren: wir meinen den vor dem Brandenburger Thore gelegenen Königsplatz mit seiner Umgebung, auf welchem ein Siegesdenkmal zum Andenken an die ruhmreichen Thaten des deutschen Volkes, ein Erinnerungszeichen für die kommenden Geschlechter zu errichten man jetzt im Begriff ist.

Das Modell zu diesem Denkmal ist bis in die kleinsten Einzelheiten bereits ausgeführt, die Parkanlagen werden schon jetzt

  1. Es wird unsern Lesern interessant sein, den Dichter der beiden Dramen „Die Gräfin“ und „König Erich“, Heinrich Kruse, den bekannten Redacteur der Kölnischen Zeitung, hier von einer neuen Seite kennen zu lernen, die um so mehr Beachtung verdienen dürfte, als gerade der Humor in der Literatur der Gegenwart nur sehr spärlich vertreten ist.            Die Redaction.
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