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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

in Angriff genommen und die Prachtbauten rings um den Platz sind theils vollendet, theils liegen sie in Plänen vor, so daß es nicht uninteressant sein dürfte, uns den Anblick des schönsten Platzes der Hauptstadt so zu vergegenwärtigen, wie ihn in zwei, höchstens drei Jahren die Wirklichkeit bieten wird; es wird der Mühe lohnen, ihn schon heute in seiner künftigen Vollendung zu betrachten.

Mitten auf dem weitausgedehnten, durch eine breite Allee mit dem Brandenburger Thore verbundenen Platze, umgeben von den herrlichsten Bosquets, Springbrunnen und Felsengrotten, hinüberblickend zu den hohen, reichbelaubten Wipfeln des Thiergartens, ragt das hundertfünfzig Fuß hohe Siegesdenkmal in die Lüfte, dreimal so hoch als das Brandenburger Thor. Granitstufen führen zu dem mächtigen Sockel, dessen bronzene, reichvergoldete Reliefs Scenen aus den siegreichen Schlachten darstellen und die Gestalten jener Feldherren verewigen, welche sich unsterblichen Ruhm erworben. Nicht aber sollen diese Schlachtenbilder, wie es eigentlich nach dem Jahre 1866 projectirt war, dem Kriege mit Oesterreich, sondern dem mit Dänemark und Frankreich geführten entlehnt werden. Wohl jeder Deutsche begrüßt diese Aenderung mit Freuden: muß sie ja dem deutschen Bruder in Oesterreich, wenn er einst ganz zu uns steht, ein bitteres Gefühl ersparen!

Eine Treppe führt durch den mächtigen Sockel hinauf zur Siegeshalle. Dieselbe besteht aus braunem, geschliffenem Granit; Säulen aus demselben Steine, deren Bronzecapitäle vergoldet sind, tragen das Dach mit seinen goldblinkenden Löwenköpfen, die sich in gleicher Höhe mit der Siegesgöttin des Brandenburger Thores befinden. Ein vergoldetes Gitter verbindet den Fuß der Säulen, hinter denen, an den granitenen Wänden der Halle, die Namen der Sieger und der Schlachten, die Bilder der ruhmreichen Thaten eingemeißelt sind. Von dieser Siegeshalle aus strebt die eigentliche in drei Etagen gegliederte Siegessäule in die Lüfte, aus ihren Nischen leuchten zweiundzwanzig eroberte bronzene und jetzt vergoldete Kanonenläufe hervor; ein aus preußischen Adlern geformtes Capitäl bildet den Abschluß, der durch eine mächtige, weithin sichtbare und stark vergoldete Siegesgöttin gekrönt wird.

Stolz ragt die Säule in die Lüfte, ihre Pracht spiegelt sich wieder in all’ den herrlichen Bauten, welche sie in weitem Kreise umgeben. Dort liegt Kroll, das beliebteste, feinste Gartenlocal der Berliner, nicht weit ab das herrliche Generalstabsgebäude in seiner mächtigen Ausdehnung, zwischen beiden ein durch Parkanlagen verschönter Platz, auf dem einst die von Friedrich Wilhelm dem Dritten und von Alexander v. Humboldt oft besuchte Beer’sche Villa gestanden, hinter diesem wieder zieht sich die Eichenallee entlang, die den Namen „Generalstabsstraße“ erhalten wird. Die Bauten in dieser Straße werden, nach ihrer vollständigen Vollendung, sich mit den stolzesten Palästen der Pariser Boulevards, des New-Yorker Broadway, des Londoner Westends messen können; einer der reichsten und bedeutendsten Geldfürsten Berlins, der Bankier Magnus Hermann, der durch Benutzung seiner Capitalien zum Ankauf von Grundstücken und zur Ausführung von Prachtbauten nicht wenig zur Hebung von Berlins Architektur, zum segensreichen Gedeihen der arbeitenden Classen beiträgt, hat jene Grundstücke bis hinüber zum Kronprinzenufer erworben und bestrebt sich, die erwähnten, mit allem Luxus und Comfort der Neuzeit ausgestatteten Paläste mit einer der Kaiserstadt würdigen Pracht vollenden zu lassen.

Zwischen der Siegessäule aber und der Stadt wird sich auf dem Grundstück des Raczynsky’schen Palais jenes Gebäude erheben, welches auf dem schönsten Punkte der Kaiserstadt den schönsten, durch manches Lustrum unwandelbar treu angestrebten Gedanken aller Deutschen verwirklichen wird – das deutsche Parlament!

C. F. Liebetreu.




Ein verlorener Posten des Deutschthums.


Von C. M. Sauer.


Im Jahre 1854 fuhr ich auf der Eisenbahn von Verona nach Venedig. Als bescheidener Reisender benutzte ich die dritte Classe, die mir dabei den Vortheil gewährte, mit dem Volke in weit unmittelbarere Berührung zu kommen, als in einer vornehmeren Wagenclasse. Bei der Station Vicenza stiegen zwei Herren ein, ein Mann von etwa sechsunddreißig Jahren, im Costüm der dortigen Landgeistlichen, und ein etwas älterer, dem Aussehen nach ein behäbiger Landwirth. Die beiden neuen Passagiere fanden in dem bereits ziemlich besetzten Coupé Bekannte. Man begrüßte einander, und bald war das Gespräch, welches im Dialecte der dortigen Gegend geführt wurde, im besten Gange.

Deutsche Typen sind in der Lombardei und im Venetianischen gerade nichts Ungewöhnliches. Mein Gegenüber, der muthmaßliche Pächter, hatte jedoch ein so urdeutsches Gesicht, daß es mich wirklich überraschte. Hätte der Mann nicht Italienisch gesprochen, so würde ich ihn unbedingt für einen Landsmann gehalten haben. Noch mehr aber wurde ich überrascht, als die Beiden während einer Pause der allgemeinen Unterhaltung mit einander in einem Dialecte zu sprechen begannen, dessen rauhe, harte Accente durchaus nichts Italienisches hatten. Die Sprache klang fast wie Deutsch in der oberbairischen oder schlesischen Mundart; aber obwohl ich mit der gespanntesten Aufmerksamkeit hinhorchte, konnte ich doch nichts davon verstehen, wenn mir gleich hie und da ein Wort bekannt vorkam.

„Was sprechen die Herren für eine Sprache? wenn es erlaubt ist zu fragen,“ sagte ich auf Italienisch zu dem Landgeistlichen, der neben mir saß.

„Wir sprechen Cimbrisch, mein Herr,“ lautete die verbindliche Antwort. „Sie haben wohl noch nie die Sprache der tredici comuni vernommen, nicht wahr?“

Der dreizehn Gemeinden? Richtig, davon hatte ich gehört! Aber so weit ich mich erinnerte, waren es nur sieben deutsche Gemeinden, die sogenannten sette comuni, die hier mitten in dem venetianischen Flachlande eine vereinsamte deutsche Sprachinsel bildeten.

„Man sagt gewöhnlich die sette comuni,“ versetzte der freundliche Abbate auf meine weitere Frage, „aber eigentlich sind es dreizehn und genau genommen noch mehr, in denen noch Cimbrisch gesprochen wird. Da ist Schio, Ricoaro, Toara, Thiene, Arzignano, Asiago, Merostica, Agigliaro, Enego, Bassano, Cassuna und noch verschiedene andere. Interessirt sich der Herr vielleicht für unsere Sprache?“

„Als Deutscher interessire ich mich allerdings für diesen verlorenen Vorposten des Deutschen,“ erwiderte ich.

„Entschuldigen Sie, mein Herr,“ versetzte der Abbate, „unsere Sprache ist das alte Cimbrisch, aber nicht Deutsch. Wir sind Nachkommen der Cimbrer, vor denen einst das allmächtige Rom gezittert hat, aber mit den Tedeschi haben wir nichts gemein.“

Und nun folgte eine lange, gelehrte Abhandlung über die Cimbri, der man jedoch anmerkte, daß sie nicht auf den festesten Füßen stand. Die Tedeschi waren eben damals furchtbar verhaßt in Italien. Kein Wunder, daß der wackere Abbate nichts von der deutschen Verwandtschaft wissen wollte und sich deshalb um so eifriger auf seinen cimbrischen Ursprung steifte. Auf meine Frage, ob es Druckschriften in der „cimbrischen“ Sprache gebe, wußte er mir nichts weiter zu nennen als den „Kloane Catechismo vor de siben Kaméün.“

Daß es nichts ist mit den „Cimbern“, erfuhr ich später aus sprachwissenschaftlichen Arbeiten über den deutschen Dialect der „sieben Gemeinden“. Die Bewohner sind ganz einfach deutsche Einwanderer aus Oesterreich und Baiern, deren Ansiedelung sich, meines Wissens, urkundlich nur bis in’s elfte, zwölfte und dreizehnte Jahrhundert zurückverfolgen läßt. So stammt zum Beispiel die dortige Familie Verlati aus Baiern. Ihr Ahnherr, Johann Werl, kam 1014 mit Kaiser Heinrich nach Italien. So wird ferner ein Bertholdus Zuckele und ein Heinrich Dinter im Jahre 1363 in Pieve bei Schio urkundlich erwähnt. Ich besitze ein Verzeichniß deutscher, nur zum Theil italienisirter Namen von alten, in der Provinz Vicenza ansässigen Familien, das mehrere hundert Namen umfaßt. Für meinen speciellen Zweck, nämlich den Lesern der Gartenlaube ein Bild der unaufhaltsam fortschreitenden Verwelschung unserer Stammesgenossen im Venetianischen zu bieten, ist jedoch der oben erwähnte Kloane Catechismo weit geeigneter. Das nur 39 Seiten umfassende Büchlein, welches der Bischof Modesto Farina von Padua im Jahre 1842 neu auflegen ließ (die erste Auflage erschien 1813), weil er, wie er in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 50. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_050.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)