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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

abstehen. Wenn Bernhard so aussah, war keine Nachgiebigkeit von ihm zu erwarten, man that dann am besten, ihm unbedingt zu gehorchen, das junge Mädchen fügte sich, aber es standen Thränen in ihren Augen, als der rücksichtslose Bruder sie so ohne allen Grund von dem ersehnten Vergnügen und von der Seite des liebenswürdigen Tänzers fortriß. Sie konnte nicht begreifen, weshalb er dem Grafen in einer so schroffen, fast beleidigenden Weise entgegentrat, er war heute überhaupt in einer abscheulichen Laune, und während drinnen die verlockenden Tanzweisen auf’s Neue erklangen, führte er sie wirklich fort, mitten unter die alten Damen und Herren, die an den Spieltischen saßen oder in steifer Unterhaltung begriffen waren, und stellte sich wie zur Wache neben ihrem Sessel auf – ein Glück wenigstens, daß jener unheimliche Pater Benedict nicht mehr im Saale zu erblicken war! Hätten diese dunklen Augen sie nun auch noch gequält und gepeinigt, sie wäre sicher in Thränen ausgebrochen.




Graf Rhaneck hatte sich den ganzen Abend hindurch in keiner sehr angenehmen Stimmung befunden. Schon unmuthig über die Opposition, die sein Bruder ihm mit diesem Günther machte, eine Opposition, deren Gründe er weder anzuerkennen, noch zu würdigen geneigt war, verstimmte es ihn auf’s Aeußerste, als er sehen mußte, wie die ganze Gesellschaft allmählich dem Beispiel des Prälaten folgte und der Eindringling mit jeder Minute mehr an Terrain gewann. Nun nahm sich auch noch Ottfried die unverzeihliche Freiheit, Lucie Günther zum Tanz zu führen! Er vergaß über ein Paar schöner Augen vollständig, was er seinem Range und seiner Stellung schuldig war, und der Graf nahm sich vor, ihn ernstlich daran zu erinnern. Geärgert durch all diese Vorkommnisse und auf’s Höchste gelangweilt von den ewigen Jagd- und Pferdegeschichten der übrigen Herren, über deren Niveau seine Natur sich denn doch erhob, riß er sich endlich davon los und trat nach einem Gange durch den Saal auf die Terrasse, die jetzt beim Wiederbeginn des Tanzes vollkommen leer und öde war.

In tiefe und, wie es schien, nicht gerade erfreuliche Gedanken versenkt schritt Rhaneck die Stufen hinunter, als er plötzlich auf einer der seitwärts stehenden Bänke eine Gestalt gewahrte, die wie todtmüde dort hingeworfen, die Stirn gegen den kalten Stein gepreßt, regungslos in dieser Stellung verharrte. Der Graf stutzte einen Augenblick, dann trat er rasch näher und legte dem Einsamen die Hand auf die Schulter.

„Bruno!“

Der Gerufene fuhr auf und sprang empor; es war zu dunkel, als daß der Graf die Blässe und die sichtbare Verstörtheit seiner Züge hätte bemerken können, dennoch klang eine unverhehlte Besorgniß aus seinem Tone.

„Was machst Du hier allein in der Nacht und Einsamkeit? Weshalb bist Du nicht drinnen im Saale?“

„Ich kann nicht!“ stieß Benedict gepreßt hervor, „es ist mir zu schwül drinnen!“

Der Graf schüttelte den Kopf. „Ich weiß, Du liebst diese weltlichen Feste nicht und weißt es meinem Bruder schwerlich Dank, daß er gerade Dich zur Begleitung auserwählte, aber Dich ihnen so hartnäckig zu entziehen, das ist unrecht, das grenzt ja nahezu an Haß.“

„Ich hasse sie auch!“ sagte Benedict dumpf.

Sie standen am Fuße der Terrasse, durch die geöffneten Fensterthüren quoll der Kerzenglanz und der rauschende Jubel der Musik, man sah die einzelnen Paare im Tanze vorüberschweben, der Blick des jungen Mönchs heftete sich starr auf jene erleuchteten Fenster, und es lag in der That etwas von der eben ausgesprochenen Empfindung darin, gleichwohl schien er das Auge nicht losreißen zu können.

„Du gehst zu weit!“ sagte der Graf begütigend. „Du siehst doch, daß Dein Abt und Deine Mitbrüder diese Feste weder verdammen, noch sich ihnen ganz entziehen. Dein Orden giebt uns die Redner unserer Kirchen, die Erzieher unserer Knaben, Ihr könnt und dürft nicht so ganz mit der Welt brechen, wie ein Karthäusermönch es thun mag.“

Benedict gab keine Antwort, er stützte sich auf die Steinbank und sah finster zu Boden.

„Und jetzt komm in den Saal zurück,“ drängte Rhaneck, „es ist ja unheimlich hier in dieser Einsamkeit!“

„O, nicht immer! Man sieht und hört auf dieser einsamen Terrasse oft mehr, als drinnen im Ballsaal.“

Es lag eine unendliche Bitterkeit in den Worten, aber der Graf lächelte unwillkürlich.

„Dein strenges Richterohr hat wohl irgend ein harmloses Liebesgeflüster aufgefangen? Ich fürchte, es spielen mehr solcher kleinen Romane da drinnen unter dem jungen Volk. Es kann nicht ein Jeder die Weltentsagung üben, zu der Du Dich bekennst.“

„Zumal Graf Ottfried nicht!“ sagte Benedict schneidend.

Die Stirn des Grafen umwölkte sich leicht. „Also Ottfried war es, den Du belauschtest? Ja, ich weiß, er ist leichtsinnig, leichtsinniger sogar, als ich ihm mit aller billigen Rücksicht auf seine Stellung und seine Verbindungen in der Residenz zugestehen kann. Ein Sohn meines Hauses sollte doch einen andern Ehrgeiz haben, und eine andere Lebensaufgabe kennen, als nur die, der Löwe der Salons zu sein und in ihren Abenteuern zu schwelgen. Ich fürchte, es ist bei seiner Erziehung Manches versäumt worden, Manches unterblieben, was besser geschehen wäre. Ich habe leider in meinem vielbewegten und vielbeanspruchten Leben niemals Zeit gefunden, mich eingehend darum zu bekümmern.“

Ein großer verwunderter Blick aus den Augen Benedict’s traf den Sprechenden, er erinnerte sich doch, daß der Graf stets Zeit gefunden, sich mit seiner Erziehung zu beschäftigen, daß er oft genug Proben davon erhalten hatte, und nun diese ganz offen eingestandene Vernachlässigung, dem eigenen Sohne und Erben gegenüber! Zum Glück bemerkte Rhaneck nicht sein stummes Befremden.

„Ich hoffe viel von Deinem Einfluß auf Ottfried,“ fuhr er lebhaft fort, „ich habe ihn in Bezug auf die Ausübung seiner religiösen Pflichten an Dich gewiesen und –“

„An mich!“ rief der junge Priester, heftig zurücktretend. „Herr Graf, ich bitte dringend, nehmen Sie diese Anordnung zurück. Graf Ottfried und ich, wir thun besser, uns einander nicht zu nähern!“

„Ich wünsche es aber!“ Der Graf legte einigen Nachdruck auf das Wort. „Du wirst streng gegen ihn sein, ich sehe es an Deiner Entrüstung, aber gleichviel, er wird den Priester in Dir ehren und sich Deinem Spruche fügen, ich bürge Dir dafür. Und jetzt komm, Bruno, ehe mein Bruder Dich vermißt, mir scheint, er wird bald aufbrechen.“

Er ergriff sanft den Arm Benedict’s und zog ihn mit sich fort, ohne ihm Zeit zur Erwiderung zu lassen, Seite an Seite mit seinem Schützlinge betrat er den Saal. Der Prälat hatte Recht, es lagen seltsame Widersprüche in dem Charakter seines Bruders, aber einer derselben wenigstens ward von der Gesellschaft im vollsten Maße getheilt. Auch Pater Benedict war bürgerlich, wie Günther, war jedenfalls von noch niedrigerer Herkunft als dieser, und doch fiel es Niemandem ein, seine Einführung in diesen exclusiven Kreis zu beanstanden. Das Priestergewand deckte Namen und Herkunft, es stand neben, ja über den Wappenschildern, unnahbar für jede weltliche Rücksicht, ein Gegenstand unbedingtester Ehrfurcht. Die grauen Häupter der vornehmsten unter den Herren neigten sich vor dem jungen, aus einer Unterthanenfamilie hervorgegangenen Geistlichen mit einer Achtung, die der gereifte, in allen Lagen des Lebens geprüfte Mann dort drüben, der an Stellung und Reichthum ihnen jetzt gleich war, sich nicht hatte erzwingen können. –

„Darf ich fragen, wer der junge Benedictiner dort hinter dem Sessel des Herrn Prälaten ist?“ wandte sich Günther auf einmal an den Baron Brankow, als dieser zufällig in seine Nähe kam.

„Sie meinen Pater Benedict? Einer der Geistlichen unseres Stiftes, ein junger, erst kürzlich geweihter Priester, auf den seine Oberen, so viel ich weiß, große Hoffnungen setzen.“

„So?“ Günther’s Auge hing so fest an den Zügen des eben Genannten, als wolle er jede Linie darin studiren. „Er scheint sehr vertraut mit dem Grafen Rhaneck, steht er vielleicht in irgend einer verwandtschaftlichen Beziehung zu ihm?“

„Nicht doch!“ sagte der Baron ruhig, „nicht im geringsten. Er stammt im Gegentheil von – mein Gott, der Name ist mir entfallen, die Rhanecks haben so zahlreiche Besitzungen – von einem der Güter des Grafen, der den talentvollen, aber gänzlich mittellosen Knaben erziehen ließ und für das Kloster bestimmte. Er hat ein gutes Werk an ihm gethan, weiter nichts.“

„Gewiß, ein sehr gutes Werk!“


(Fortsetzung folgt.)


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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_056.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)