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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

No. 5.   1872.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich bis 2 Bogen.    Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.



Am Altar.
Von E. Werner, Verfasser des „Helden der Feder“.
(Fortsetzung.)


Brankow blickte überrascht auf, es war ihm gewesen, als ob ein gewisser Hohn in der Bemerkung Günther’s läge, aber er mußte sich wohl geirrt haben. Günther’s Gesicht zeigte sich unbeweglich, während sein Blick noch immer nicht den Gegenstand des Gespräches verließ.

„Sie scheinen sich für Pater Benedict zu interessiren,“ sagte der Baron artig, „wünschen Sie vielleicht näher mit ihm –“

„Ich danke!“ fiel ihm Günther rasch in’s Wort. „Ich stehe in gar keiner Beziehung zu den Herren des Stiftes, wie Sie ja wissen. Mir fiel nur dieser interessante Kopf auf, und dann eine flüchtige Aehnlichkeit – bemühen Sie sich nicht, Herr Baron!“

Er überließ Brankow einem so eben herantretenden Gaste und kehrte zu seiner Schwester zurück. „Also in’s Kloster haben sie den Knaben gesteckt!“ murmelte er bitter, „und dem Anschein nach einen vollständigen Fanatiker aus ihm gemacht. Ein meisterhafter Schluß des ganzen hochgräflichen Schurkenstreiches!“ –

Der Prälat und Graf Rhaneck mit seiner Familie brachen jetzt gleichzeitig auf, was wie gewöhnlich mit ziemlichem Geräusch und Aufsehen vor sich ging. Als die Brüder zusammen durch das Vorzimmer schritten, konnte der Graf nicht umhin, seinem lang verhaltenen Aerger wenigstens in einigen Worten Luft zu machen.

„Nun, Dein Schützling ist ja heut, Dank Deiner Auszeichnung und Deinem Beispiel, nichts mehr und nichts weniger gewesen, als der Held des Abends! Hast Du denn wirklich aus diesen plumpen, nichtssagenden Zügen irgend eine Gefährlichkeit herausgelesen?“

„Ja!“ sagte der Prälat kalt. „Der Mann ist gefährlich, ist es um so mehr, weil er unbedeutend erscheinen will. Er wird uns noch zu schaffen machen, verlaß Dich darauf!“

Die Gräfin, welche nur halb hingehört und nicht viel mehr verstanden hatte, als daß es sich um Günther handelte, verzog die schmalen Lippen.

„Mein Gott, es ist und bleibt doch ein entsetzlicher horreur, daß dieser Mensch, wie man sagt der Sohn eines Unterförsters, in unseren Kreisen erscheinen durfte!“

Der Prälat verneigte sich Abschied nehmend vor seiner Schwägerin, ohne ihr eine Antwort zu geben. Zu Gründen und Erklärungen ließ er sich ihr gegenüber nie herab, die Gräfin war in seinen Augen eine eben solche Null, wie in denen ihres Gemahls, eine Null, die man allerdings respectiren mußte, weil auch sie den Namen Rhaneck trug und ihm durch ihren Reichthum einen noch größeren Glanz verlieh. Auch hier mußte die äußere Form der Achtung alles ersetzen.

Kurz nach der Entfernung der gräflichen Familie verabschiedete sich auch Günther mit seiner Schwester. Die Fahrt nach Dobra ward meist schweigend zurückgelegt, Bernhard schien nicht zum Reden gestimmt, und Lucie, die sonst immer etwas zu fragen und zu plaudern hatte, war heut ausnahmsweise mit dieser Schweigsamkeit einverstanden. Tief in die Ecke des Wagens geschmiegt, zerdrückte sie achtlos den Flor und die Blumen ihres Anzuges, und fuhr verwundert empor, als sie in den Hof von Dobra einrollten, die Fahrt hatte ihr so kurz geschienen.

Zu Haus angelangt wollte das junge Mädchen dem Bruder gute Nacht sagen, als dieser sie mit einem kurzen „Ich habe mit Dir zu sprechen, Lucie!“ zurückhielt. Er nahm dem alten Diener, der ihnen folgte, das Licht aus der Hand und gab ihm einen Wink sich zu entfernen. Lucie stand erstaunt und befremdet da, aber sie sollte nicht lange in Zweifel bleiben, um was es sich handelte.

Bernhard trat an den Tisch, zog sie zu sich heran und wendete ihr Gesicht dem Lichte zu, so daß dessen voller Schein darauf fiel.

„Was ist zwischen Dir und dem Grafen Rhaneck vorgefallen?“ fragte er plötzlich.

Luciens Antlitz glühte wieder dunkel auf, wie vorhin im Ballsaal, als der Bruder ihr entgegentrat, und diesmal ergoß sich die heiße Röthe tief herab bis über Hals und Schultern; sie sah, daß sie dem gefürchteten Examen doch nicht mehr entrinnen konnte. Sie hob daher keck den Lockenkopf empor, setzte ihr Füßchen energisch um einen Schritt vorwärts und erklärte sehr determinirt:

„Er hat mir gesagt, daß er mich anbete!“

„Nach zweistündiger Bekanntschaft? Was man doch nicht alles wagt, einem sechszehnjährigen Mädchen gegenüber! Darf ich fragen, wo er Dir diese interessante Eröffnung gemacht hat?“

Das junge Mädchen zögerte.

„Du wirst antworten, Lucie! Du wirst mir auch nicht eine Sylbe von dem verschweigen, was zwischen dem Grafen und Dir gesprochen worden ist, hörst Du?“

Lucie sah aus, als wolle sie anfangen zu weinen; es war aber auch zu viel verlangt, daß sie ihr romantisches Geheimniß so auf Commando preisgeben sollte, noch dazu dem rücksichtslosen Bruder preisgeben, der sicher nicht das mindeste Verständniß dafür

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 69. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_069.jpg&oldid=- (Version vom 18.1.2018)