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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Frauen allein. In Groeningen wurde einmal eine Wettfahrt für Knaben veranstaltet, bei der aber sofort wieder jener aristokratische Unterschied zur Geltung kam: ich erinnere mich, daß über den einzigen Sohn anständiger Eltern, der aus Ehrgeiz an dem Preisfahren theilgenommen hatte, von Alt und Jung gewaltig die Nase gerümpft wurde.

Nach langer Fahrt liefen wir endlich in den Wallgraben der Festung Groeningen ein, wo das Schauspiel bereits um zehn Uhr früh begonnen hatte. Als Fremde hatten wir gegen einen mäßigen Betrag Zutritt, der allen Einwohnern der Stadt, welche nicht zu den Mitgliedern des Eisvereins zählen, beharrlich verweigert wird. Durch die tiefe Lage vor dem Winde geschützt, glänzte die Bahn, auf der sich die Wettläufer tummelten, so blank und glatt, wie die innere Fläche eines aus dem Eise gehauenen Blockes. Mit großer Sorgfalt wird sie so durch tagelang fortgesetztes Begießen und Kehren hergestellt, und sie gilt als ein Heiligthum, das außer den Kämpfern nur die Mitglieder des Vereinsvorstandes zu betreten berechtigt sind. Sie ist hundertfünfzig Ellen lang, so breit, daß sie zwei Schlittschuhfahrern nebeneinander bequemen Raum gewährt, und in ihrer ganzen Länge durch aneinander gelegte Stäbe, welche eine einzige gerade Linie bilden, in zwei gleiche Hälften getheilt. Dies Letztere geschieht, um zu verhüten, daß ein Kämpe dem andern in die Quere komme oder ihn sonst belästige. Ringsum ist die Bahn mit zahlreichen hohen Masten umsteckt, von deren Spitzen Flaggen und Wimpel in den blau-weiß-rothen Farben des Landes, in dem Orangegelb des Herrscherhauses und in den Farben der Stadt lustig in die Lüfte flattern. Diese Masten sind durch eine starke Umzäunung miteinander verbunden, an der sich das schaulustige Publicum drängt, namentlich in den Augenblicken, wo vom obern Ende der Bahn das Zeichen zu einem neuen Wettlauf gegeben wird. Dort hat der Vorstand sich eine kleine Bude zimmern lassen, neben der eine Hütte steht, in welcher das Paar, dessen Nummer gerufen wird, sich der Oberkleider entledigt. Alle laufen nämlich nur mit einem wollenen Hemd und Kniehosen angethan, um durch nichts in der freiesten und leichtesten Bewegung behindert zu sein. Die Frauen fahren – bedauere ich sagen zu müssen – in Unterröcken. Jedes Mal läuft ein Paar und die Nummern, welche die Reihenfolge bestimmen, werden durch das Loos gezogen. In den Pausen ertönt Musik aus einer großen Bude, die am Rande des Glacis neben dem Restaurationszelt aufgeschlagen ist. Bei diesen Klängen bewegen sich die Zuschauer, Herren und Damen, meist auf Schlittschuhen, auf der äußern Bahn munter umher, welche die innere, den Tummelplatz des Wettkampfes, in breitem Saume umgiebt.

Jetzt wird das Zeichen gegeben. Alles eilt an die Umzäunung. Da kommt das Paar dahergeflogen, jeder Schritt treibt sie auf dieser Spiegelfläche um mehrere Ellen vorwärts; die ganze Dauer der Fahrt zählt nur nach Secunden. An dem untern Ende der Bahn beobachten Mitglieder des Vorstandes, in der friesischen Eisfahrertracht prangend, zu beiden Seiten zwei leichtbewegliche hochragende Hebelarme, die sich genau in dem Moment senken, wo der betreffende Streiter die untere Bahngrenze passirt hat. So kann man schon von fern den Sieger erkennen. Bleibt der Sieg unentschieden, was selten vorkommt, so fährt dasselbe Paar ein zweites Mal. Dann kommt das folgende Paar an die Reihe, bis sämmtliche Kämpfer einmal gefahren haben; alsdann beginnt zwischen den Siegern der Wettstreit auf’s Neue. Natürlich sind die letzten Fahrten, welche die Entscheidung bringen, und bei denen die besten Läufer betheiligt sind, die interessantesten.

Das Ganze aber, muß ich ehrlich gestehen, gleicht doch gar sehr einem jener Gemälde, die man nicht allzu genau betrachten darf. Die Bewegungen der Wettfahrer, das sogenannte „Klouwen“, sind entschieden häßlich, selbst die Holländer geben das zu. Die Läufer, nur auf die größtmögliche Schnelligkeit bedacht, arbeiten, weit vornübergeneigt, mit kurzen raschen Stößen und rudernden Armen in einer Weise, die durchaus an zappelnde Frösche erinnert. Von dem wiegenden aufrechten Gange, den langhinschwebenden Bogen, welche die Schönheit des Schlittschuhlaufs bedingen, finden wir hier niemals eine Spur; und so dürfen auch die Vorübungen zu diesen Wettläufen keineswegs für eine gute Schule der edeln Eiskunst gelten. – Auf einzelne Preisläufer von Profession, die wohl einmal in einem einzigen Winter ein halbes Tausend Gulden einheimsen können, kommen ungezählte Andere, die hier den Keim zu tödtlichen Brustkrankheiten legen. Nach der furchtbaren Anstrengung, bei der Ehrgeiz und Lust am Gewinn jeden Nerv auf’s Aeußerste spannen, harren sie, in Schweiß gebadet, auf der kalten zugigen Bahn, bis ihre Nummer, vielleicht nach Stunden, auf’s Neue gerufen wird. Denn der Preiskampf dieser hundert bis zweihundert Bewerber, zu Mittag um einige Stunden unterbrochen, pflegt bis zum Abend anzudauern, wo dann die Sieger in feierlichem Aufzug, die Musik an der Spitze, nach dem größten Saale der Stadt geleitet werden, um auf den Händen des Vereinsvorstandes ihre Preise in Empfang zu nehmen. Hier fehlt es dann nicht an wohlgesetzten Reden, in denen die Sieger belobt, die minder Glücklichen zu neuen Anstrengungen angespornt werden. Bis tief in die Nacht bleiben die Mitglieder des Vereins mit ihren Damen schmausend und trinkend beisammen. Da jeder Winter, und nicht einmal jeder, nur ein oder zwei solcher Feste bringt, so geräth die ganze Stadt dabei in eine gelinde freudige Aufregung.

Der Vergleich mit den englischen Wettrennen liegt nahe. In beiden Fällen wird Schnelligkeit auf Kosten der Schönheit angestrebt, und in beiden kommen die Wettbewerber häufig zu Schaden, während ihre Kunst einer von Nah und Fern herbeiströmenden Menge ein Schauspiel gewährt, dessen anziehendstes Stück dennoch diese Menge selber und ihr fröhlich angeregtes buntfarbiges Treiben ist. Wer aber den englischen Reiter und sein Roß in ihrer Kraft und Glorie sehen will, dem bietet jede Fuchsjagd eine bessere Gelegenheit dar als der Derbytag. Aehnlich ist die beste Eislust der Holländer in dem täglichen Winterleben ihrer Seen und Canäle zu finden, und dorthin wollen wir denn auch die Freunde jenes edeln Stahlschuhsports geladen haben, von dem unsere Altvorderen sangen und sagten, ein Gott habe ihn auf die Erde gebracht.

Ferd. Worthmann. 




Thierstudien eines Laien.


Von M. Evers.


Hirschkäfer und Ohrwurm.


Daß neben Koryphäen wie Brehm und Anderen ein Laie sich mit „Thierstudien“ hervorwagt, bedarf kurzer Erklärung. Einmal fordern jene Meister durch ihre populären Schriften selber alle Naturfreunde zum Studium auf, und sie verschmähen auch kleine Beiträge nicht, wenn diese nur auf gewissenhafter Beobachtung beruhen. Sodann stehen sie aber mit ihren Forschungen so hoch, daß viele Laien abgeschreckt werden, zu beobachten oder ihre Erfahrungen zu veröffentlichen, weil sie verzweifeln, etwas Werthvolles zu leisten oder zu liefern. Gerade nun, weil ich Laie bin und als solcher manch schönen Einblick thun konnte, möchte ich meine gesammelten Beobachtungen publiciren, um womöglich alle Freunde der Thierwelt anzuregen, dieselbe zu studiren, auch wenn sie vielleicht lange Zeit nur allbekannte Thatsachen wahrnehmen. Geduld und Genauigkeit entdecken doch manche neue Seite und – den ausdauernden Beobachter krönt auch oft genug das Glück, wie mein Beispiel zeigen wird.

Von früh auf habe ich mit wärmstem Interesse vorzugsweise die niederen Thierclassen beobachtet. Und schon als Knabe befolgte ich stets den Grundsatz: die Thiere erst ohne jede Störung, ganz in ihrem eignen, freien Thun und Treiben zu studiren, und erst wenn ich sie da zu kennen glaubte, ganz allmählich und vorsichtig mich ihnen zum Bewußtsein zu bringen und zu erproben, wie weit sie menschlicher Einwirkung und Erziehung fähig seien.

Alle diese vielen einzelnen, oft zufälligen und häufig unterbrochenen Beobachtungen hatte ich längst gesammelt, als mir’s in den letzten Jahren in Oldenburg möglich wurde, Aquarien und Terrarien anzulegen und so zusammenhängendere und umfangreichere Forschungen zu beginnen. – Und zu derartigen Anlagen rathe ich jedem Naturfreunde, der sie irgend ermöglichen kann. Die Mühe und der unausbleibliche Aerger dabei werden reichlich aufgewogen durch die mannigfaltige Freude des Genusses.

Aquarien sind schon ein verbreiteter Handelsartikel geworden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 77. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_077.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)