Seite:Die Gartenlaube (1872) 078.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Ueber sie giebt die beste Auskunft die treffliche kleine Schrift „Das Süßwasser-Aquarium“ von Roßmäßler und Brehm. Die Behälter, Ingredienzen und Thiere kann man ferner in reicher Auswahl aus dem großen Berliner „Aquarium“ beziehen. – Seltner sind die Terrarien, die Behälter für das kleinere Landvieh, die Amphibien, die Insecten, Schlangen etc. – Auch die Behälter des Berliner Vivariums für diese Thiere sind nicht maßgebend für den Laien, der mit wenig Kosten, auf engerem Raum möglichst viele verschiedene Thiere halten und sie von allen Seiten beobachten will.

Ich richtete mein Terrarium ein, ehe ich die Berliner Anstalt kannte und ohne aus einem Buche Anweisung zu schöpfen. Freilich verdankte ich den tüchtigen Oldenburger Zoologen Wingken, Inspector des Museums, Dr. Greye und dem Thierhändler Wagner manchen schätzbaren Wink, im Ganzen aber mußte ich auf eignem Ermessen und Berechnen fußen.

Ein drei Fuß langer und zwei Fuß breiter Blechkasten mit verschiebbaren Glaswänden, der mit seinem ebenfalls beweglichen Draht- und Glasdache sich zu fast drei Fuß Höhe erhob und auf einem tragbaren Gestelle ruhte – das war der Schauplatz, auf dem meine zahlreiche Thierwelt Sommers im Sonnenschein des Gartens ihr bewegtes Leben führte und Winters in des Kellers Dämmerung ihren Winterschlaf hielt. Kleinere gleichartige Behälter dienten dazu, unnütze Thiere einstweilen zu exiliren, oder gezüchtete Brut in Sicherheit zu bringen, oder endlich des Winters im Zimmer Beobachtungen anzustellen.

In der großen Arche stellte ich eine malerische Tropenlandschaft her. Groteske Tuffsteinfelsen und verwitterte Baumklötze wechselten mit weichen Erdhügeln, dürrheißen Sandplätzen und kühlfeuchten Höhlungen ab. Schlanke Akazien, Apfelsinenbäumchen und Papyrusstauden, schattige Farren und breite Blattpflanzen, Epheu und andere Schlinggewächse bildeten die luftreinigende Vegetation, unter welcher halbversteckt Seen in Muschelbassins die nöthige Feuchtigkeit boten, die bei starkem Sonnenbrande außerdem ein einfacher Sprengapparat lieferte. – Auf diesem abwechselungsreichen Terrain konnte ich die Neigungen der Thiere am besten erforschen, konnte auch möglichst verschiedene Inwohner zusammen beherbergen. – Bald wimmelte es denn auch von – meist eigenhändig gefangenen – Eidechsen, Blindschleichen, Molchen, Kröten, Unken und Fröschen; von Käfern, Ohrwürmern, Fliegen, Schmetterlingen, Spinnen, Schnecken und Würmern – letztere Reihe zugleich als Futter dienend im Verein mit Mehlwürmern, Grashüpfern Mücken etc., die ich frisch fing oder hielt. So war die kleine Welt fertig; Tag und Nacht lebte und regte sich’s, und eigentlich war immer etwas Interessantes zu sehen und zu beobachten.

Aus diesem Terrarium also, ebenso aus den verschiedenen gleich reichlich besetzten Aquarien, endlich aus der Menge der Einzelbeobachtungen zu verschiedenen Zeiten und an den verschiedensten Orten fließt der Stoff dieser „Thierstudien eines Laien“. – Mögen sie denn Gnade finden vor den Richtern von Fach, zugleich aber Lust und Interesse, auch für die niedere Thierwelt, fördern und wecken in den weiteren Kreisen der Laienwelt!




Der Hirschkäfer mit seinem stolzen Geweih und seiner ernsten Würde hätte mir stets absonderlichen Respect eingeflößt. Allein so oft ich ihn fing, war er ein so stiller Gast, verschmähte alle Delicatessen und stand so phlegmatisch auf einem Flecke wie ein langweiliger Heiliger auf seiner Säule, daß ich anfing, das Interesse zu verlieren. Da belehrten mich vorigen Sommer die Hirschkäfer des Werrathals bei Münden, daß auch unter ihrem braunen Panzer ein freiheitliebendes und tapferes Herz schlage.

Für die erstere Eigenschaft erlebte ich zunächst folgendes Beispiel. Vielleicht angezogen vom Duft einer Erdbeerbowle, die mich mit Freunden auf dem schönen Andree-Berggarten über Münden vereinte, flogen mir in kurzer Zeit zwei Hirschkäfer, Männchen und Weibchen, zu. Unter einer Glasglocke vereinigt zeigten sie jedoch die gewohnte Lethargie und nur bei jedem Ruck des Tisches zuckten sie eigenthümlich auf und schoben sich etwas rückwärts. Abend nahm ich sie in einer Schachtel mit hinunter in’s Gasthaus. – Mitten in der Nacht nun wachten mein Freund und ich von einem sonderbaren Knistern auf und entdeckten endlich, daß es aus der Schachtel kam. Beim Oeffnen lagen beide Käfer auf der Seite und staken mit den Zangen in einer Fuge der Schachtel. Als wir uns still hielten, fingen sie richtig bald wieder an zu knacken und lösten fortwährend kleine Holzspähne ab. Da es indeß langsam zu gehen schien, so besorgte ich nichts, schüchterte sie durch Schütteln ein und bald lagen wir wieder fest im Schlafe. – Da weckte uns gegen Morgen ein gewaltiger, sausender Lärm und – siehe da! Die Käfer hatten wahrhaftig die Fuge durchgeknabbert, sich hinausgedrängt und sausten nun von Zeit zu Zeit mit einem starken Bums! gegen die Fenster. – Solche Freiheitsliebe mußte ich belohnen und bald schwirrte das Pärchen in den goldnen Morgen hinaus.

Aber eine noch höhere Achtung des Hirschkäferstandes flößte mir einige Tage später ein weibliches Glied derselben ein, welches sich als wahre Amazone bewährte. Mit Freunden ging ich eines Abends am Werraufer und Waldessaum entlang, und Caro, unser Pudel, ergötzte uns durch seine Possen. Schon mehrfach hatten wir Hirschkäfer an den Bäumen hinstreifen sehen, aber zum Fangen zu hoch; es schien ein ordentlicher Strich von Westen her zu sein. Endlich kam ein mächtiger Bursche gerade auf uns zu; ein Schlag mit dem Hut – und am Boden zappelte ein kolossales Weibchen, eine Riesin ihres Geschlechts, wie ich sie auch in Sammlungen noch nicht gesehen, und wenn auch ohne Geweih, so doch mit gewaltigen Zangen gerüstet. Wir halfen ihr auf die Beine, als Caro herbeikam und nach Hundeart das seltsame Ding beschnupperte. Dies fand die Käferdame indessen frech und – kaum gedacht, so kniff sie sich so intensiv in des Pudels Schnauze ein, daß dieser heulend aufsprang und erst durch verzweifeltes Schütteln den fatalen Nasenklemmer los wurde. Nun aber war Caro der Beleidigte! Wüthend faßte er den Käfer an, doch – o weh! abermals zwickte dieser ihn im Nu derartig, daß er niesend und prustend umherkreiste. – Jetzt verfuhr der Hund, der auch tapfer war und vom Kampfe nicht abstand, vorsichtiger, hier- und dorthin fuhr er, den Gegner mit den Zähnen zu fassen und doch die bösen Zangen zu meiden. Aber wie staunten wir, als der sonst so ungelenk erscheinende Hirschkäfer, stets hoch aufgerichtet und die drohenden Fänge dem Köter entgegenstreckend, sich wie der Blitz im Kreise drehte, jeder Wendung und Bewegung auf’s Genaueste folgte und sogar, wenn Caro zurücksprang, tapfer vorrückte! So oft der Pudel ihn noch wirklich packte, so oft wir glaubten, jetzt sei’s um die kleine Amazone geschehen – immer doch war’s die alte Geschichte: Caro ließ stets wieder heulend los und der Hirschkäfer – den wir natürlich immer sofort wieder auf die Füße stellten – behauptete das Schlachtfeld. – Endlich setzten wir die Siegerin auf einen Baum, wo sie sich erholen und triumphirend herabsehen konnte auf den noch lange wüthend hinaufbellenden Pudel.

Wie mögen, bei solcher Tapferkeit, erst die Kämpfe sich gestalten, welche die „Eifersucht und Leidenschaft“ der Hirschkäferliebe erregt? Leider habe ich diese zu beobachten bisher noch nicht das Glück gehabt. –

Wer kennt ihn nicht, den schmächtigen Gesellen mit dem beweglichen Leibe und den flinken Füßen, der überall, in Früchten und Schoten, in Blumen und Blättern, in Mauerritzen und unter Steinen, sein lichtscheues Wesen treibt? Erst sitzt er, wie geblendet, ganz still, wenn Deine prüfende Hand leise den schützenden Versteck öffnet; aber plötzlich huscht er Dir blitzschnell durch die Finger und – weg ist er, Du weißt nicht wie!

Die gewöhnliche Sprache nennt ihn „Ohrwurm“; ich möchte den Kunden als den „Reinecke unter den Insecten“ betiteln.

„Wie ekelhaft ist dies Geschöpf!“ hat gewiß mancher Leser schon gerufen, wenn er vielleicht gerade in einen schönen Apfel beißen oder eine süße Weintraube entbeeren wollte und dann ein solcher Schmarotzer ihm entgegensprang, den haschenden Finger vielleicht gar tüchtig kniff und jedenfalls durch seine fatale „Anrüchigkeit“ dem Munde den Genuß verleidete. Und auch abgesehen von dem Märchen, als krieche der kleine Gourmand in die Ohren und erzeuge dort Taubheit: das allgemeine Urtheil ist dem Burschen jedenfalls ungünstig – analog der Verdammung des eigentlichen Reinecke.

Außer dieser sehr negativen Analogie haben mich nun meine vielfachen Beobachtungen zu sehr positiven Gründen für jenen Vergleich geführt. Der moralische Charakter des Oehrlings hat durch dieselben zwar wenig gewonnen, obwohl Taschenberg (in Brehm’s „Illustrirtem Thierleben“) die Liebe der Mutter zu ihren

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 78. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_078.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)