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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

„Vernünftig?“ Jetzt war die Reihe an Franziska die Achseln zu zucken. „Unglücklich ist sie! Seit dem Tage, wo sie mit verweinten Augen aus dem Walde zurückkam, ist es vorbei mit dem alten Uebermuth. Es ist da irgend etwas passirt, ich wette meinen Kopf, daß etwas passirt ist, aber ich kann es nicht herausbekommen. Die Plaudertasche, die sonst nicht zehn Minuten lang über die geringste Kleinigkeit schweigt, setzt all meinem Fragen und Forschen eine so hartnäckige Verschlossenheit entgegen, wie ich sie ihr nun und nimmermehr zugetraut hätte.“

Der spöttische Ausdruck verschwand aus Günther’s Zügen und machte dem der Besorgniß Platz. „Wenn nur der Graf Rhaneck nicht irgendwie dahinter steckt!“ sagte er ernster.

„Warum nicht gar! Sie macht sich nicht so viel aus ihm!“ Franziska schnellte mit den Fingern.

„Ich fand im Gegentheil, daß sie sich an jenem Festabend nur allzuviel aus ihm machte, und auch mein Verbot, so streng ich es aussprach, scheint nicht allzutief gegangen zu sein, sie trotzte mir ja ganz offen am nächsten Tage.“

„Wenn ich Ihnen aber sage, daß sie jetzt nichts mehr nach dem Grafen fragt,“ beharrte Franziska, „daß sie ihm geflissentlich ausweicht! An ihm liegt die Schuld wahrhaftig nicht, er streift beständig mit Flinte und Jagdtasche auf dem Gebiet von Dobra herum, und taucht bald hier, bald dort auf. Zum Glück wissen wir jetzt, welche Jagd dem jungen Herrn belieben würde, und nehmen unsere Maßregeln darnach. Gnade Gott dem Patron, wenn er mir einmal in die Hände fällt, ich wollte ihn in’s Gebet nehmen, daß ihm die Lust zum Wiederkommen ein für alle Mal vergehen sollte! Aber er hütet sich wohlweislich, mir nahe zu kommen, kaum daß ich ihn einmal von fern sehe!“

„Sind Sie gewiß, daß Lucie ihn nicht dennoch gesprochen hat?“

Franziska hob mit großem Selbstgefühl den Kopf. „Herr Günther, Sie haben Ihre Schwester meinen Händen anvertraut, und da dächte ich, wären solche Fragen wohl überflüssig. Lucie ist seit jenem Tage, wo sie ohne Erlaubniß nach dem Walde lief, nicht von meiner Seite gekommen, ich bewache sie seit der Eröffnung, die Sie mir machten, wie – wie –“

„Wie ein Cerberus!“ ergänzte Günther.

„Das ist ja eine höchst liebenswürdige Bezeichnung meiner Persönlichkeit!“ rief das Fräulein, sich verletzt erhebend. „Also in der Eigenschaft gelte ich Ihnen bei Ihrer Schwester?“

„Mein Gott, es sollte in diesem Falle ein Compliment sein. – Wo wollen Sie denn hin?“

„Ich fürchte, noch weitere derartige Complimente zu bekommen, und überdies ist Lucie allein im Garten, ich muß wohl meinen Posten als Cerberus wieder bei ihr einnehmen.“

„Aber bestes Fräulein!“

„Adieu!“

„Franziska!“

Die Gerufene blieb stehen, aber sie wendete grollend den Kopf zur Seite, Bernhard stand auf und trat zu ihr.

„Sind Sie mir böse?“

„Ja!“ erwiderte Franziska sehr energisch, aber anstatt hinauszugehen, kehrte sie um und nahm ihren Platz am Tische wieder ein. Ruhig, als wäre nichts vorgefallen, setzte sich Günther ihr, wie vorhin, gegenüber.

„Es ist doch merkwürdig,“ begann er nach einer Pause phlegmatisch, „daß wir nicht fünf Minuten lang mit einander sprechen können, ohne uns zu zanken.“

„Das ist gar nicht merkwürdig,“ erklärte Franziska noch immer gereizt, „es ist mit Ihnen eben nicht fünf Minuten lang auszukommen!“

„Ich dächte doch, ich käme mit allen Anderen aus,“ meinte Bernhard noch immer mit demselben Phlegma.

„Weil sich alle Anderen von Ihnen maltraitiren lassen! Ich bin nahezu die Einzige, die Ihnen bisweilen noch Opposition macht!“

Der Ton des Fräuleins verrieth deutlich, daß sie den „Cerberus“ noch nicht verwunden hatte; trotzdem fand es Günther durchaus nicht angezeigt, sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen. Sie sind,“ meinte er trocken, „noch gerade so ausfallend wie daheim in unserem Dorfe.“

„Und Sie gerade so rücksichtslos wie damals!“

„Möglich! Wir waren immer in Hader und Streit mit einander, das Eigenthümliche war nur, daß wir trotzdem nicht von einander bleiben konnten.“

„Wir wollten ja wohl von Lucie sprechen!“ unterbrach ihn Franziska.

Bernhard runzelte leicht die Stirn. „Sie haben eine merkwürdige Art, das Gespräch immer dann abzubrechen, wenn es anfängt, interessant zu werden.“

„Was für Sie interessant ist, ist es darum noch nicht für mich.“

„Weshalb?“ Er sah sie fest an, Franziska bekämpfte eine gewisse Verlegenheit, aber sie überwand sie rasch.

„Ich finde es begreiflich, daß Sie gern auf die Jugendzeit zurückblicken“, sagte sie ausweichend. „Sie sind hoch genug gestiegen für einen einfachen Förstersohn. Ich – nun, ich habe es mir auch redlich sauer werden lassen im Leben, und es dennoch nicht weiter gebracht, als zur Gouvernante Ihrer Schwester. Ich vergesse meine Stellung sicher nicht, Herr Günther, ich wünschte nur manchmal, daß – auch Sie sie nicht vergäßen.“

Es lag ein eigenthümlich herber Stolz in der offenen Mahnung, und jetzt begegnete ihr Blick so fest und ernst dem seinigen, als erwarte sie, er werde das Auge niederschlagen, doch dies geschah nicht. Günther erhob sich plötzlich und trat an ihre Seite.

„Das hätten Sie mir nicht sagen sollen, Franziska!“ sagte er ruhig, „und Sie brauchen mir auch meine Erfolge nicht vorzuwerfen, ich habe es mir gleichfalls ‚sauer genug im Leben werden lassen.‘ Sie wissen, daß mich die zweite Ehe meines Vaters aus dem Hause trieb. Er fand in der neuen Gattin nicht das gehoffte Glück, und ich nicht die Mutter in ihr, auch unser geringes Vermögen ging dabei zu Grunde; als die Eltern starben, da mußte ich mit meinen ersten mühsam erworbenen Ersparnissen die verwaiste kleine Schwester erhalten. Die Welt freilich sieht nur den Emporkömmling, sieht nur die Höhe, auf welcher der ehemalige Förstersohn steht; die zwanzig Jahre, die dazwischen liegen, Jahre voll Sorge und Arbeit, voll endlosen Mühens und rastlosen Ringens, die sieht sie nicht. Mir hat das Glück wahrlich nichts mühelos in den Schooß geworfen, Schritt für Schritt habe ich mir meinen Weg zu Besitz und Reichthum erkämpfen müssen, ein halbes Menschenalter habe ich dazu gebraucht – wollen Sie es mir verargen, wenn ich da gern wieder an die Kinderzeit anknüpfe? Aber es scheint, ich darf bei Ihnen diesen Punkt nicht berühren. Sie fliehen ihn ja förmlich.“

Franziska neigte etwas betroffen den Kopf. „Sie haben Recht, Herr Günther, aber –“

„‚Herr Günther!‘ Das heißt mit anderen Worten, ich soll gleichfalls auf das vertrauliche ‚Franziska‘ und damit auch auf die Jugenderinnerungen verzichten?“

„Ich glaube, es ist besser, wir thun das beiderseitig!“ sagte Franziska wie beklommen, indem sie rasch an’s Fenster trat und angelegentlich in den Garten hinausblickte.

Ohne ein Wort zu sagen, wendete sich Günther zu seinem Platze zurück und nahm die Zeitungen wieder auf, in denen er vorhin gelesen. Es lag eine Wolke auf seiner Stirn, obgleich die ruhigen Züge sich nicht veränderten; zum Glück machte Luciens Eintritt dem nun folgenden unbehaglichen Schweigen ein Ende. Sie kam, noch ganz erhitzt vom Spiel mit den Kindern, warf mit ihrem ganzen früheren Ungestüm den Hut auf den Tisch, sich selber in einen Lehnstuhl, und vergrub den Kopf tief in die Polster desselben.

„Nun, hast Du endlich ausgetollt?“ fragte Bernhard, von seiner Zeitung aufsehend, dabei aber glitt ein forschender Blick über das Gesicht des jungen Mädchens.

„O, ich that es nur den Kindern zu Gefallen!“ – in Luciens Stimme lag etwas wie tiefe Müdigkeit, „und überdies wußte ich, daß Du hier eine wichtige Conferenz mit Fräulein Reich hieltest, bei der ich wahrscheinlich doch nicht geduldet worden wäre.“

„Möglich, da Du der alleinige Gegenstand der Conferenz warst.“

„Ich?“

„Aber Herr Günther!“ unterbrach ihn Franziska, indem sie ihren Platz am Fenster aufgab und sich gleichfalls dem Tische näherte.

„Ich sehe nicht ein, Fräulein Reich,“ er legte einen unmerklichen, aber ihr doch verständlichen Nachdruck auf die Anrede, „weshalb wir uns noch länger mit Vermuthungen und Befürchtungen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_104.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)