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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Denn bald verraucht des Weines Gluth
Und bringet öfters Uebelmuth.
Wer ohne Weine froh sein kann,
Der ist der beste Mann!

Für das Liederbuch eines Mäßigkeitsvereins wäre diese Strophe gerade nicht zu tadeln, aber als tirolischer Naturgesang klingt sie höchst absonderlich.

Zuweilen kommt es auch vor, daß die Natursänger, um ihren Vorrath zu vermehren, irgend einen Dichterling bitten, er möge sich begeistern und ihnen ein schönes, möglichst tirolisches Lied herdichten. Die Verse dieser Herren pflegen aber stets zu mißlingen und an poetischer Kraft so schwach und kümmerlich zu sein, als wenn sie eben aus dem Spital entlassen wären.

Ach, du lieber Gott, wird er vielleicht seufzen, nämlich der unbefangene tirolische Leser, der bis hierher gekommen, ach, was haben doch die guten Rainer den Engländern und den europäischen Potentaten für einen Schmarren vorgesungen! Allerdings, kann man zustimmend sagen, allerdings, aber es ist im Grunde heute noch dasselbe Gebrodel! Blättert man da und dort durch die Liederbücher, wie sie Kellnerinnen, Bauerntöchter, Wirthssöhne sich eigenhändig zusammenschreiben, oder lieft man die gedruckten Programme der reisenden „Natursänger“, der wahren und falschen Tiroler, so zeigt sich dieselbe geschmacklose Mixtur von längst verkrüppelten und durcheinandergeworfenen Almenliedern, von halbgelungenen städtischen Versuchen, von Stücklein aus den Wiener Possen etc. Gedruckte Texte oder Liederbücher gehen schwer in’s Volk ein, und auch die oberbairischen Lieder, welche im Auftrag König Max des Zweiten Franz von Kobell (mit Bildern von A. v. Ramberg) herausgab (zweite Auflage 1871), auch diese scheinen in Tirol keine Verbreitung gefunden zu haben, obgleich sie gerade dem Alpengesang zur Aufmunterung dienen sollten.

Das Büchlein ist wohl auch zu theuer, denn einen Thaler preußisch kann eine Almerin, oder vielmehr, da es in Tirol keine Almerinnen mehr giebt, kann eine liedersüchtige Bauerntochter nicht spendiren. Es fehlt eine liebende Hand und wenn es auch nur die eines speculativen Buchhändlers wäre, eine Hand, die das Beste, was noch aufzufinden, um etliche Groschen gedruckt herausgäbe. Allerdings müßte dahinter ein sachverständiger Mensch stehen, eine poetische Seele, welche die alten echten Texte wieder vorsuchen, das Vorhandene richtig zusammenstellen, das Fehlende in der rechten Weise ergänzen, aber der ländlichen Muse nie ein Wort in den Mund legen würde, das sie nicht verantworten könnte.

Um aber wieder nach Fügen und zu den Rainern zurückzukommen, so bricht Herrn Ball’s Erzählung, wie wir gesehen, im Juni 1827 ab. Aus andern Quellen wissen wir, daß sie damals glücklich wieder heimgekehrt und nach ihrer Rückkunft sämmtlich in den heiligen Stand der Ehe getreten sind. Später gingen sie noch zwei Male nach England, das letzte Mal 1838 zur Krönung der Königin, erlebten aber dieses letzte Mal wenig Freude, da die vielen falschen Tiroler, welche ebenfalls auf Lieder reisten, die Neugierde der Engländer längst befriedigt und das Geschäft schon zu sehr verdorben hatten.

Hiermit mag diese Abhandlung ihrem Ende zugehen. Der Auszug aus Herrn Ball’s Bericht ist vielleicht etwas trocken ausgefallen, und doch – wie heiter müßte sich die Erzählung darstellen lassen, wenn die rechten Quellen noch nicht versiecht wären! Wie die Rainer in ihrer naturwüchsigen Jugendlichkeit, treuherzig und schlau, schüchtern und keck zugleich, so in fremde Lande und bald gar in England einbrachen, welche komischen Geschichten, welche lustigen Anekdoten, welche spaßhaften Abenteuer sie da erlebt, welche Prüfungen sie überstanden, bis sie hieb- und stichfest in der großen Welt geworden, das weiß Niemand mehr zu sagen. Ich mache mir fast Vorwürfe, daß ich Anno 1842, wo ich zum ersten Male nach Schwaz und Fügen kam und wo sie noch sämmtlich lebten, nicht die Bekanntschaft der ganzen Gesellschaft gesucht, ihre Erinnerungen nicht erweckt und gesammelt habe. Es wäre ein beneidenswerther Stoff gewesen.

Die tirolischen Schriftsteller scheinen diesem ländlichen Gestirn allerdings geringe Aufmerksamkeit zu schenken – wenigstens wußte man weder in Schwaz noch in Fügen etwas von literarischen Arbeiten über die Geschichte der Väter. Auch Dr. Staffler in seinem umfassenden Werke über Tirol und Vorarlberg erwähnt am treffenden Orte, nämlich im zweiten Theil, der 1842 erschien, nur ganz kurz die reisenden „Natursänger“, würdigt sie aber nicht einmal ihren Namen zu nennen.

Und doch, wenn man bedenkt, wie diese fünf Bauernkinder in jungen Jahren vor dem Kaiser aller Reußen singen, von diesem in seine Hauptstadt eingeladen werden, dafür aber nach England gerathen, überall auf dem Festland und den britischen Inseln vor Königen und Königinnen, Herzogen, Fürsten und Grafen ihre Jodler erschallen lassen, überall beklatscht, gefeiert und von der Presse mit Enthusiasmus begleitet werden, wie sie dann mit vollen Truhen wieder heimkehren und allen Tand der großen Welt, den Hermelin und die seidenen Spitzen von sich werfen, mit den ersungenen Schätzen sich Wirths- und Posthäuser kaufen, ganz zufrieden, von ihren Bewunderern wieder vergessen und dafür tüchtige und wichtige Leute in Fügen zu werden, wie sie auch ihren Kindern keine „höhere“, sondern eine einfach bürgerliche Erziehung geben, so daß diese wieder ganz verzillerthalern und in der Familie selbst die Kenntniß der englischen Sprache, welche die alten Rainer alle mitgebracht, sich wieder verliert; wer dies Alles betrachtet und erwägt, der wird das ganze Vorkommniß ohne Zweifel ungewöhnlich finden und vielleicht wünschen, daß ein junger strebsamer Zillerthaler darübergehen und die Geschichte der fünf Geschwister – zwar nicht in fünf Bänden, aber doch in einem einzigen anmuthig beschreiben sollte. Bei tieferem Eindringen müßten sich wohl doch noch andere Quellen finden, als die von Mr. Ball verfaßte Lebensskizze. Es giebt schon noch bedeutendere Leute als die Rainer. Mit Bismarck, Moltke, Roon hätten sie sich wohl selbst nicht verglichen, aber im Zillerthale waren sie zu ihrer Zeit unbestritten die Ersten, und dort wird ihr Angedenken und ihr Ruhm auch immerdar unverwelklich blühen.

Die nächsten Nachfolger der Rainer waren die Geschwister Leo. Diese kamen im Jahre 1828 zu Weimar mit Goethe zusammen, der ihnen viele Freundschaft bezeigte und sie auf sein Schweizerlied: „Af’m Bergli bin i gesässe“, dessen Schweizerdeutsch allerdings etwas frankfurterisch klingt, aufmerksam machte. Sie übten es auf seinen Wunsch sogleich ein und sangen es dann aller Orten, wo sie hinkamen. Der Altmeister stellte ihnen auch ein sehr schönes Zeugniß unter seinem Siegel aus. Die Geschwister Leo brachten überhaupt ein ganzes Buch voll der ehrendsten Urkunden mit nach Hause. Es befindet sich jetzt zu Magdeburg bei Herrn Director Paulsieck, der die Fahrten der Leo beschreiben will. Auch die Rainer hatten sich, wie Herr Ball bemerkt, ein solches angelegt, doch habe ich nicht erfragen können, wo es jetzt zu finden sein möchte.




Pariser Bilder und Geschichten.


Pariser Spielhöllen.


Von Ludwig Kalisch.


In Frankreich sind die öffentlichen Hazardspiele längst verboten; die geheimen Spielhöllen aber sind geblieben, sie haben sich sogar trotz aller Ueberwachung eher vermehrt, als vermindert, und lassen die Polizei nicht zu Athem kommen. Es giebt in Paris sehr viel Spielhöllen, und so groß ihre Zahl ist, so verschieden ist ihre Physiognomie. Wie alle Stätten des Lasters, bieten auch die Spielhöllen in Paris die mannigfachsten Schattirungen dar, von der prachtvollsten Eleganz bis zum spelunkenhaften Schmutz. Eigentlich sind schon manche Clubs nicht viel besser als Spielhöllen; denn eine Gesellschaft, in der man hunderttausend Franken an einem Abend verlieren und im Laufe einer Wintersaison, oder gar eines Wintermonats, sich völlig ruiniren kann, ist doch just kein Tugendverein. Freilich ist hier der Betrug sehr selten, und wer hier zu Grunde geht, hat es seinem eigenen Leichtsinn und keiner Gaunerei zuzuschreiben. Hier spielt auch die Ehre, oder was man so zu nennen beliebt, eine große Rolle. Die Ehre will es, daß der unglückliche Spieler, der am Spieltisch eine Schuld gemacht, binnen vierundzwanzig Stunden seinen Gläubiger befriedige. Man nennt dies eine Ehrenschuld.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_109.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)