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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Stunde fertig ist? Die Zerstreuung der Fahrt wird ihr wohl thun.“

Franziska nickte blos, als aber Günther das Zimmer verließ, fuhr sie wie aus tiefen Gedanken auf, schlug mit der Hand so heftig auf den Tisch, daß die Blumenvasen klirrten, und sagte im Tone unumstößlicher Ueberzeugung:

„Und sie macht sich doch nichts aus ihm!“ –

Eine halbe Stunde darauf saß Lucie im Wagen an der Seite des Bruders, der öfter Geschäfte in C. hatte und, da der Weg dorthin durch die reizendste Gebirgslandschaft führte, seine Schwester bisweilen mitzunehmen pflegte. Nur an einer einzigen Stelle war dieser Weg unbequem und beschwerlich; er stieg hier in steilen Windungen bis zur Höhe des Berges empor, an dessen jenseitigem Fuße die Straße sich theilte, um rechts in die Ebene nach C., links hinein in’s Hochgebirge zu führen. Die Pferde, obgleich jung und kräftig, keuchten und dampften doch von der Anstrengung. Bernhard ließ halten und stieg mit Lucie aus; die Thiere hatten genug zu thun, den leeren Wagen bis zur Höhe zu bringen, während dessen Insassen zu Fuße folgten. Lucie, der das Steigen nicht die geringste Mühe verursachte, war leichtfüßig vorauf; Bernhard folgte langsamer; plötzlich blieb das junge Mädchen stehen, ohne einen Schritt weiter vorwärts zu thun.

„Was hast Du?“ fragte Günther, als er sie erreichte.

„O, nichts! Ich meine nur, wir könnten etwas langsamer gehen.“ Sie hing sich an den Arm des Bruders und drängte sich dicht an seine Seite; dieser achtete nicht darauf. Er bemerkte jetzt in der Windung des Weges einen zweiten Wagen; es war eine geschlossene Stiftskutsche, deren Insasse, ein Benedictiner, gleichfalls ausgestiegen war und zu Fuß nebenherging.

Bernhard liebte es sonst durchaus nicht, mit den nachbarlichen Bewohnern des Stiftes irgendwie in Berührung zu kommen. Diesmal jedoch schien er eine Ausnahme machen zu wollen; er hatte kaum einen raschen Blick auf den Geistlichen geworfen, als er auch seine Schritte beschleunigte. Lucie klammerte sich fester an seinen Arm.

„So eile doch nicht so, Bernhard! Laß uns lieber zurückbleiben!“

Günther sah sie befremdet an. „Weshalb? Es ist Pater Benedict. Ja so, Du kennst ihn nicht! Du hast ihn schwerlich an dem Abende bei Brankow bemerkt.“

„Doch!“ sagte das junge Mädchen leise mit halb erstickter Stimme. „Ich – ich fürchte mich so vor ihm, vor seinen Augen – laß uns lieber zurückbleiben.“

„Sei nicht kindisch, Lucie!“ unterbrach sie Bernhard ungeduldig, indem er sie ohne Weiteres mit sich fortzog. In einigen Minuten hatten sie den jungen Geistlichen erreicht, den Günther ganz gegen seine Gewohnheit diesmal zuerst grüßte.

„Sie wollen es Ihren Pferden auch leichter machen, Hochwürden!“ begann er in unbefangenem Tone. „Der Weg ist freilich steil genug und die Thiere haben hinreichend an dem leeren Wagen zu schleppen, man muß ihnen schon einmal das Opfer bringen.“

Benedict hatte sich beim Nähern der Schritte umgewandt und war dann regungslos wie eine Bildsäule stehen geblieben. Vielleicht war es die Anstrengung des Steigens, die ihm den Athem versagte und ihm das Blut so glühend in’s Antlitz trieb, und doch widersprachen dem seine Worte, als er nach stummem Gegengruß erwiderte:

„Ich meinestheils gehe sehr gern zu Fuße.“

Das könnte ich von mir nun gerade nicht behaupten!“ meinte Bernhard. „Aber wir sind nun einmal im Gebirge, da geht es nicht immer so bequem wie daheim auf unseren ebenen Chausseen.“

Er schritt langsam vorwärts, während sich der junge Priester, wie es schien halb gezwungen, ihm anschloß; es wäre auch gar zu auffällig gewesen, zurückzubleiben, während sein Wagen schon weit voraus war. Lucie hing stumm am Arme des Bruders, ohne sich mit einer Silbe an der Unterhaltung zu beteiligen; Benedict sah unverwandt vor sich hin, auch nicht ein einziger Blick fiel nach jener Seite hinüber.

Bernhard fiel es nicht ein, seine Schwester zu beobachten; dagegen grub sich sein Auge wieder in die Züge des jungen Mönches, genau so forschend tief wie an jenem Abende, als er ihn zum ersten Male erblickte.

„Ich weiß nicht, Hochwürden, ob Sie sich meiner erinnern!“ begann er von Neuem. „Wir sahen uns beim Baron Brankow, freilich ohne einander vorgestellt zu werden.“

„Doch! Ich kenne den Gutsherrn von Dobra!“ gab Benedict leise zur Antwort.

Günther verneigte sich leicht. „Wir sind auf einer Fahrt nach C. begriffen,“ warf er hin. „Sie scheinen gleichfalls eine Reise vorzuhaben.“

„Ich gehe in’s Gebirge, nach N.“

„So hoch hinauf? Da haben Sie einen weiten und beschwerlichen Weg vor sich. Jedenfalls wollen Sie dem dortigen Pfarrer einen Besuch machen?“

„Nein. Ich gehe, ihm Caplansdienste zu leisten, und werde wohl Monate, vielleicht den ganzen Winter hindurch dort bleiben.“

„Das ist in der That kein beneidenswerther Posten!“ sagte Bernhard mit unverkennbarer Theilnahme. „N. liegt im unwirthlichsten, unzugänglichsten Theile des Gebirges; es gehört ein wahrer Heroismus zu dem Gedanken, den Winter dort aushalten zu wollen.“

Die Lippen des jungen Mönches zuckten; er hatte es trotz des abgewandten Blickes doch gesehen, wie ein tiefer erleichternder Athemzug Luciens Brust hob, als er von seiner Entfernung sprach.

„Es giebt Feinde, die schlimmer zu überwinden sind als Eisnächte und Schneestürme!“ erwiderte er kalt.

Bernhard sah überrascht auf. Sollten die Worte salbungsvoll sein? Dann hätten sie nicht mit einer so unendlichen Bitterkeit gesprochen werden müssen.

„Verzeihen Sie, Hochwürden, wenn ich eine etwas indiscrete Frage an Sie richte,“ sagte er rasch. „Sie sind in B. geboren?“

Benedict blickte ihn befremdet an. „Nein! Ich stamme aus Süddeutschland.“

„So? Dann war meine Voraussetzung eine irrthümliche. Mir fiel eine gewisse Aehnlichkeit auf; ich glaubte, Ihre Mutter gekannt zu haben.“

„Schwerlich! Sie starb schon während meiner Knabenzeit, ebenso wie der Vater, auf den Gütern des Grafen Rhaneck.“

„Ich sehe meinen Irrthum ein. Verzeihen Sie die Frage!“

Benedict machte eine ablehnende Bewegung. „O, ich bitte!“

„Er weiß also nichts!“ murmelte Bernhard. „Sie haben ihn wirklich in vollster Unkenntniß gelassen!“

Sie schritten schweigend weiter, Benedict schien es schon halb zu bereuen, daß er sich so weit aus seiner Verschlossenheit hatte treiben lassen; übrigens lag jetzt bereits der Gipfel des Berges vor ihnen, wo die Wagen sie erwarteten. Günther’s Kutscher legte soeben den Hemmschuh ein, aber er benahm sich ungeschickt dabei, die Kette gerieth zwischen die Räder und wurde von ihnen erfaßt und zerrissen, als die Pferde unversehens anzogen; der Gutsherr, den Vorfall schon von fern bemerkend, runzelte die Stirn.

„Der Joseph ist heute wieder einmal die Ungeschicklichkeit in Person! Ich muß wohl selbst nachsehen, sonst kommen wir kopfüber den Berg hinunter!“ Er erstieg rasch vollends die Höhe, seine Schwester und Pater Benedict allein lassend.

Lucie war an dem Orte stehen geblieben, wo der Bruder ihren Arm losgelassen, Benedict schien ihm folgen zu wollen; aber auch er verharrte jetzt wie gefesselt auf seinem Platze, einige Secunden lang herrschte ein beängstigendes Schweigen, das wie mit Bergeswucht auf den Beiden lastete.

„Gehen Sie weit fort?“ begann Lucie endlich, die dies stumme Gegenüberstehen nicht mehr zu ertragen vermochte und, um es nur zu brechen, nach der ersten besten Frage griff, die ihr gerade beifiel.

Benedict hob langsam das Haupt. „Weit genug für Ihre Wünsche, mein Fräulein! Sie fürchten wohl, daß der unbequeme Warner wieder in Ihren Weg treten könnte? Beruhigen Sie sich, ein einziges Mal habe ich das gethan, zum zweiten Male wäre es sicher nicht geschehen.“

„Ich – ich meinte das nicht in der Art,“ sagte Lucie, zaghaft zu Boden blickend.

„Nicht? Und doch athmeten Sie mit einer so unendlichen Erleichterung auf, als Sie von meiner Entfernung hörten?“

Das junge Mädchen erröthete. Ja freilich, sie hatte aufgeathmet bei der Nachricht, denn mit seiner Entfernung mußte

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_118.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2021)