Seite:Die Gartenlaube (1872) 119.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sich doch der Bann lösen, den dieser Mann die ganze Zeit über auf sie ausgeübt, selbst wenn er nicht an ihrer Seite war. Franziska hatte Recht, sie hatte oft genug zornig und – ohnmächtig dagegen gekämpft; wie ohnmächtig, das fühlte sie erst wieder in diesem Augenblick, und dennoch war etwas von dem alten Trotz in ihrem Tone, als sie jetzt heftig fragte:

„Wie können Sie das wissen? Sie haben mich ja nicht ein einziges Mal angesehen während des ganzen Weges!“

Benedict sah sie auch jetzt nicht an, aber die fliegende Röthe kam und ging in seinem Antlitz, als er gepreßt antwortete:

„Wozu. Ich weiß es ja ohnedies, daß Sie mich fürchten – und hassen!“

Es war derselbe Vorwurf, den Lucie ihm damals im Walde entgegengeschleudert, und sie ließ ihn ebenso widerstandslos über sich ergehen, wie er es gethan hatte. Aber der junge Priester schien doch eine Abwehr, einen Widerspruch erwartet zu haben, seine Lippen zuckten wie vorhin, als keine Antwort erfolgte.

„Sie sehen, wie gut es ist, daß ich gehe! Leben Sie wohl!“

Die tief aufquellende Bitterkeit in diesen Worten traf Lucie doch, sie machte unwillkürlich eine Bewegung, ihn zurückzuhalten. Die blauen Augen blickten ihn wieder bestürzt und fragend an, sie mußten eine eigenthümlich zwingende Gewalt auf den finstern Mönch ausüben, er stand regungslos und langsam schwand die Härte von seiner Stirn und von seinen Lippen.

„Habe ich Sie gekränkt? Wir wollen doch nicht so scheiden! Ich kehre lange, kehre vielleicht niemals zurück. – Leben Sie wohl!“

Das klang freilich anders, als das Lebewohl, welches er vorhin gesprochen. Es war wieder die ganze Weichheit in seinem Tone, der düster milde Blick in seinen Augen, die Lucie schon einmal so räthselhaft getroffen. Mußte ihr denn jede Begegnung mit ihm den dunkeln unerklärlichen Schmerz bringen, der sich jetzt wieder regte und sie mit einer wahrhaft vernichtenden Gewalt überkam, als er sich von ihr wandte? Das Trennungsweh, das in der Brust des Mannes stürmte, schien ein Echo gefunden zu haben, das junge Mädchen preßte leise die Hand auf ihr Herz, das sie noch so wenig verstand, und von dem sie nur wußte, daß es ihr wehe that.

Günther hatte inzwischen seinen Hemmschuh in Ordnung bringen lassen und selbst mit Hand angelegt; er blickte etwas überrascht auf, als er den jungen Geistlichen allein ankommen sah, es schien ihm doch etwas rücksichtslos, daß dieser seine Schwester so ohne Weiteres allein auf der Straße zurückgelassen hatte. Benedict ging mit einem kurzen hastigen Gruße an ihm vorüber, stieg in seinen Wagen und rollte bereits in der nächsten Minute bergabwärts. Jetzt endlich erschien auch Lucie.

„Nun, das muß man sagen, einer besondern Höflichkeit den Frauen gegenüber macht sich Pater Benedict nicht schuldig!“ sagte Bernhard, während er ihr heim Einsteigen hehülflich war. „Er hätte wohl auch noch die wenigen Schritte bis zur Höhe mit Dir gehen können, da er einmal in unserer Gesellschaft war!“

„Ich frage gar nichts nach seiner Höflichkeit!“ erklärte Lucie, sich heftig in die Wagenecke werfend.

„Das glaube ich Dir, Kind! Sein Wesen ist viel zu abstoßend, um Dir gefallen zu können, übrigens wäre das auch gar nicht von Nutzen, da er nun einmal ein Mönch ist.“

Lucie gab keine Antwort, zum Glück achtete Bernhard nicht weiter auf sie, der nur nothdürftig ausgebesserte Hemmschuh nahm seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, er mahnte während der Hinunterfahrt den Kutscher unausgesetzt zur Vorsicht. Lucie war gegen die Gefahr vollkommen gleichgültig, ihr wäre es jetzt auch gleichgültig gewesen, wenn der Hemmschuh aufs Neue gerissen und der Wagen hinabgestürzt wäre, sie lag, den Kopf tief in die Polster gegraben, und kümmerte sich um nichts mehr auf der Welt.

Inzwischen fuhr Benedict in entgegengesetzter Richtung weiter, immer tiefer hinein in’s Hochgebirge. Er hatte sich weit aus dem Wagenfenster gebeugt und die freie frische Bergluft umspielte kühl die bleiche Stirn des jungen Priesters, auf der noch die Spuren des letzten Kampfes zu lesen waren. Noch einmal hatte er am Scheidewege gestanden, noch einmal das berauschende Gift jener Nähe gekostet, jetzt war es überwunden! Näher und dunkler stiegen die Berge vor ihm auf, die riesigen Schneehäupter legten sich zwischen ihn und die Versuchung, ihre starren Felswände sollten ihn auf ewig davon scheiden. Er wähnte den Kampf geendigt, wähnte sich hinter Schneegipfeln geborgen, während doch ein junges, heißes Herz wild und glühend in seiner Brust pochte, er kannte noch nicht die Gewalt der echten Leidenschaft, vor der Ferne und Schranken machtlos zusammensinken, die sich mit verheerender Kraft Bahn bricht durch Bergesweiten und durch Menschensatzungen, bis hin zu ihrem Ziele – oder ihrem Verderben!




Mehr als drei Monate waren vergangen, der Sommer hatte Abschied genommen und die Herbststürme brausten rauh und wild über das Gebirge hin. Was nicht jahraus jahrein auf seinen Gütern lebte, machte Anstalt wieder in die Stadt zurückzukehren, und auch auf Schloß Rhaneck traf man Vorbereitungen zur Uebersiedlung der gräflichen Familie in die Residenz; der Graf war ohnehin in der letzten Zeit nicht hier gewesen, schon im vergangenen Monat hatte seine Stellung ihn an die Seite seines Souverains gerufen, von wo er erst jetzt zurückkehrte, nur auf einige Tage, um Gemahlin und Sohn abzuholen.

Er war gleich am Morgen nach seiner Ankunft nach dem Stifte geritten und die Brüder befanden sich wieder im Arbeitszimmer des Prälaten. Wie damals saß der Abt im Lehnstuhl und der Graf stand ihm gegenüber, auf seinen Sessel gestützt, es war dasselbe Gemach mit den dunklen, sammetüberzogenen Möbeln und den schweren purpurrothen Seidenvorhängen, aber es fehlte die Sonnengluth, die damals auf dem Thale ruhte und bis in die geschützten Räume der Abtei drang, es fehlte der Sommerglanz und die Sommerfülle auf der Landschaft draußen, jetzt lag sie düster, nebelumschleiert da und das Gebirge, das einst so duftig blau emporstieg, verschwand heute ganz in den Wolken.

„Nun aber genug von der Politik und der Residenz!“ brach der Graf das eben geführte Gespräch ab. „Ich komme mir Nachrichten über Bruno zu holen. Er ist doch noch in N.? Wie geht es ihm?“

„Er ist gesund!“ erwiderte der Prälat lakonisch.

„Und eifrig in seinem neuen Amte?“

„Sehr eifrig!“

Rhaneck stutzte bei dem Tone. „Was hast Du? Was ist mit Bruno? Soll ich etwa Schlimmes hören?“

„Auf Gutes mache Dich nicht gefaßt.“

Der Graf richtete sich heftig empor. „Nun, was ist’s mit ihm? Ich bitte Dich, rede!“

„Pater Benedict hat all Deine und meine Erwartungen weit hinter sich zurückgelassen!“ sagte der Prälat mit unverkennbarem Hohne. „In den drei Monaten, während welcher er den Pfarrer Clemens vertritt, hat er sich bereits zum Apostel des Gebirges aufgeschwungen und das abgelegene N. zu einem Wallfahrtsorte gemacht, wohin man stunden- und tageweit wandert, und ihn nur zu hören. Er predigt aber auch in der That ganz wundersame Dinge, es bedarf nur noch eines Anstoßes, und unsere Gegenpartei begrüßt ihn als einen der Ihrigen und hebt ihn als solchen auf den Schild.“

„Um Gotteswillen!“ fiel der Graf ihm entsetzt in’s Wort, „und das duldest Du? Warum hast Du ihm nicht Einhalt gethan?“

„Weil ich die Größe der Gefahr verkannte! Für gefährlich hielt ich Benedict immer; daß er mir so schnell, so riesig entwachsen würde, habe ich doch nicht gedacht.“

„Und Du bist nicht eingeschritten?“

„Das Nothwendige ist geschehen,“ sagte der Prälat finster, „aber es ist zu spät geschehen, er hatte Zeit den Zündstoff in’s Volk zu werfen. Ich schonte ihn zu lange, um Deinetwillen und auch um meiner selbst willen, denn ich wollte dem Orden um jeden Preis diese Kraft erhalten. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich einen derartigen Fehler beging, er hat sich bitter gerächt.“

„Aber was hat denn Bruno eigentlich begangen?“ fragte der Graf unruhig. „Als ich abreiste, schienst Du ja ganz einverstanden mit seinem Auftreten.“

„Ich war es auch anfangs. Er bestand seine ersten Rednerproben glänzend, etwas zu kühn vielleicht, aber ich hatte es so erwartet und gewünscht. Unsere Art zu predigen hat sich längst überlebt, es nützt nichts mehr, dies starre Festhalten an den alten Traditionen. Wir brauchen mehr als je feurige energische Redner, die es verstehen, sich die jetzige Richtung, vor der das Volk nun

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 119. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_119.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)