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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

unseres Ordens, sie hat uns die Grenzen eng genug gezogen.“

„Ich weiß es,“ sagte Rhaneck düster, „aber ich weiß auch, daß Ihr Mittel genug habt, Eure Opfer dieser weltlichen Macht zu entziehen. Ihr erklärt es einfach für wahnsinnig und laßt es dann aus den Augen der Menschen verschwinden. Der Vorwand deckt ja jede Grausamkeit, jede Körper- und Geistesfolter. Wie viele von denen, die Ihr für wahnsinnig ausgebt, waren es wirklich, wie viele wurden es erst unter Euren Händen? Sprich mir nicht von der Barmherzigkeit der Klöster! Ich frage Dich noch einmal, was willst Du thun?“

Der Prälat sah ihn an, es war ein eisiger, mitleidloser Blick. „Was ich auch über Benedict beschlossen habe, Du wirst mich an Nichts hindern. Du begabst Dich Deiner Rechte auf ihn, als Du ihn der Kirche weihtest, das Mönchsgelübde zerreißt jedes andere weltliche Band. Jetzt gehört er mir, seinem Abte, und ich werde mit ihm verfahren, wie es mir gut dünkt.“

„Nun und nimmermehr!“ rief der Graf auflodernd. „Ich dulde es nicht, daß er geopfert wird! Zu viel schon habe ich mich von Dir leiten lassen, zu oft schon mich Deinem starren Willen gebeugt, aber jetzt stehen wir an der Grenze. Ich sage Dir, rühre mir Bruno nicht an, oder ich nehme vor aller Welt mein Recht in Anspruch, ihn zu schützen, und gebe Dich und Dein ganzes Kloster preis!“

Der Prälat trat zurück, auch auf seiner Stirn erschien jetzt die Falte, die längst drohend auf der Rhaneck’s stand, aber seine Stimme klang noch in vernichtender Ruhe.

„Du bist von Sinnen, Ottfried, sonst würdest Du mir nicht so drohen. Wer wird in solchem Falle preisgegeben? Bin ich es etwa, dessen Name und Ehre auf dem Spiele steht, wenn Du eine Sache an’s Licht ziehst, die jetzt schwerlich so beurtheilt werden würde, wie vor fünfundzwanzig Jahren? Versuche es doch, entdecke Dich zuvörderst Deinem Bruno – die erste Frage wird nach seiner Mutter sein!“

Der Graf erbleichte, langsam ließ er die drohend erhobene Hand wieder sinken.


(Fortsetzung folgt.)




Der gefrorne Bodensee.


Von Dr. Magg in Constanz.


Der Winter dieses Jahres, der so streng begonnen und die Welt so frühzeitig in seine eisigen Ketten und Banden geschlagen hatte, hat nach der Hand doch ein so mildes und lobenswerthes Regiment geführt, daß ihm vor Allem die wackern Schlittschuhläufer, deren kunstgeübte, stahlbeschwingte Schaar sich mit jedem Jahre in der erfreulichsten Weise mehrt, gar nicht Dank genug sagen können.

Da mag es mir denn in diesen Tagen vergönnt sein, in der weit verbreiteten Gartenlaube einem interessanten, sehr seltenen, von mir selbst als Augenzeuge erlebten Naturereigniß (ich war damals zweiunddreißig Jahre alt) ein kleines, nur in der Gestalt eines Genrebildes dargestelltes „Denkmal“ zu setzen, welches die verehrten Leser und Leserinnen mit einigem Wohlgefallen betrachten mögen.

Der Bodensee, der im (südwestlichen) Garten unseres deutschen Vaterlandes gelegene Landsee, dem eine frühere Zeit den prächtigen Namen des „schwäbischen Meeres“ zu ertheilen pflegte, liegt 12231/10 Pariser Fuß über der Nordsee (nach Andern 1164 bis 1199) und hat sechsundzwanzig Meilen im Umfang. Seine Länge beträgt von der südlich gelegenen österreichischen Stadt Bregenz bis zu dem nördlichen Ende bei dem badischen Dorf Sernatingen, jetzt Ludwigshafen, fünfzehn badische oder achtzehn würtembergische Stunden. Seine Breite ist sehr verschieden, und beträgt von Friedrichshafen (Würtemberg) bis Rorschach (Schweiz), wo er am breitesten ist, bei fünf badische oder sechs würtembergische Stunden. Seine Tiefe ist ebenfalls verschieden, und mißt eine Stunde von Arbon (Schweiz), in der Breiterichtung gegen das Schloß Hofen bei Friedrichshafen, wo er am tiefsten ist, tausendzweiundfünfzig Fuß.

Und diese ganze weite, prachtvolle Fläche zeigte sich im strengen Winter 1829 bis 1830 mit nur wenigen kleinen Unterbrechungen vollständig zugefroren.

Theilweise gefriert der See wohl alle Jahre zu, z. B. an seinem westlichen Ende bei der Stadt Radolfzell und Reichenau, und es finden sich über das stückweise Zufrieren in den Städtechroniken viele Aufzeichnungen seit dem Jahre 574; aber das Phänomen auf der ganzen Ebene kommt in den Chroniken während der seither verflossenen 1256 Jahre nur sechs Mal vor, und zwar in den Jahren 1363, 1435, 1573, 1695 (in diesem Jahr am vollständigsten), 1709 und 1830.

Das Ueberfrieren einer so großen Wassermasse richtet sich nicht blos nach dem zunehmenden Grade der Luftkälte. Letztere muß allerdings wochenlang anhaltend sein, was auch im Januar 1830 der Fall war; allein es gesellten sich damals zwei Erscheinungen zu ihr, welche das Ereigniß wesentlich bewirken halfen. Anfangs Januar 1830 peitschten die rauhen Nord- und Ostwinde bei hellem Wetter das Wasser in mächtigen Wogen durcheinander; doch schon nach den ersten acht Tagen hörten die scharfen Winde allmählich auf, der See wurde ruhiger und auf ihm lagerten sich fortwährend düstere Nebel, welche sich mit dem Wasserspiegel vermengten und denselben in Eis verwandelten.

Die Dicke der Eisdecke wurde auf verschiedenen Punkten gemessen. Das Resultat war:

Auf  10,000  Schuh  von  Uttweil  an  6½  Zoll;
15,000 5
20,000 4
30,000

Das Thermometer stand in einer Entfernung von:

5000  Schuh  vom  Uttweiler  Ufer  auf  18  Grad,
20,000  21 

Das Eis lag von seiner Entstehung – zweiten und dritten Februar bis zum Vergehen gegen die Mitte März – auf der Oberfläche des See’s auf; dieser bildete daher eine das Brechen des Eises verhindernde Grundlage, auf der es schwamm, da es bekanntlich specifisch leichter ist, als das Wasser.

Als die Unterlage durch das allgemeine Abnehmen der Höhe des ganzen Sees aufhörte, versank das Eis in wenigen Tagen spurlos gerade hinab in die Tiefe, ohne an den Ufern Zerstörungen anzurichten. Auf diese Weise entstand und endete das Phänomen.

Um aber meine Eingangs erwähnte Bezeichnung eines „Denkmals“ zu rechtfertigen, genügt es nicht, das Beispiel nachzuahmen, welches – nach einer im Volksmunde gehenden Sage – bei einer weit frühern ähnlichen Katastrophe der weise Rath eines Seeortes dadurch gegeben haben soll, daß er „zum ewigen Angedenken“ die Jahreszahl auf das Eis eingraben ließ, sondern es liegt mir ob, zu erzählen und zu schildern, was sich von dieser denkwürdigen Thatsache nur erzählen und schildern läßt.

Am Morgen des 2. Februar 1830 war die sonst so liebliche Wasserfläche in einen undurchdringlichen Nebel eingehüllt, den die Sonne erst gegen Mittag zu durchbrechen vermochte. Nun aber erkannte man auch überall, daß das von der Fama schon aller Orten verbreitete Gerücht: „Der See sei zugefroren,“ sich bestätige. Von allen Seiten strömten die Uferbewohner an die Gestade und betrachteten mit Staunen die überraschende Verwandlung ihres jugendlichen Lieblings in einen leblosen Greis; denn in solcher traurigen Gestalt lag der sonst lustbringende See, soweit das spähende Auge reichte, vor ihren mit Wehmuth erfüllten Blicken.

Aber bald verwandelte sich die düstere Gemüthsstimmung der „Seehasen“ (so nennt das Sprüchwort die Bewohner der deutschen Seeufer) in die Regung des Muthes der „Seelöwen“.[1] Jung und Alt wagte sich hinaus auf die schaurige Fläche. Der Erste, den ich in Ueberlingen sprach, war ein Schiffknecht aus dem am westlichen Ufer gelegenen Orte Dingelsdorf, ein geborener Reichenauer. Das in seiner Heimath heute noch bestehende Sprüchwort: „Wenn das Eis einen Handschuh trägt, so trägt es auch einen Auer,“ hatte

  1. Diesen Ehrentitel gaben in der zweiten badischen Kammer des denkwürdigen Landtags von 1831 die Deputirten des Unterlandes uns Abgeordneten aus dem Seekreise. Von den dreiundsechszig Kammermitgliedern leben zur Zeit noch unser Fünf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_122.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)