Seite:Die Gartenlaube (1872) 124.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Der Prinz von Erie.


Ein amerikanisches Charakterbild von L. Brentano.[1]


In Vermont, dem Staate der grünen Berge, lebt eine Bevölkerung, die den Typus der eigentlichen Yankees bewahrt hat. Das Land ist nur stellenweise zum Ackerbau geeignet und bietet daher für die Einwanderung nicht viel Anziehendes dar. Die Einwohner treiben hauptsächlich Handel mit den anderen angrenzenden Neu-England-Staaten und mit Canada; erscheint ihnen hierzu der Raum zu eng, so wandern sie nach den anderen Staaten in allen Richtungen aus. Im Allgemeinen ist der Neu-Engländer nüchtern und fleißig. Ein geborener Geschäfts- und Handelsmann, oder jedenfalls von frühester Jugend an zum „Geschäfte“ erzogen, ist er schlau berechnend und auf Gewinn und Erwerb versessen, ohne aber ängstlich an dem Erworbenen festzuhalten. Der Amerikaner will die Früchte seiner Arbeit genießen, und da sich ihm die Gelegenheit zu erwerben oft und leicht bietet, so findet das verdiente Geld auch wieder seinen Weg in die verschiedenen Canäle des Verkehrs. Darum ist der Amerikaner auch in der Regel freigebig. Das Geldausgeben selbst ist ihm ein Genuß, und einer der Endzwecke des Erwerbes ist ihm die Möglichkeit es auszugeben. Wohlthätigkeit ist daher eine von den Amerikanern vorzugsweise gepflegte Tugend, wenn sie sich auch manchmal bei dem Ungebildeten in einer prahlerischen oder gar verletzenden Form kundgiebt.

In einem lieblichen, friedlich stillen Thale des Staates der grünen Berge, an den Ufern des Connecticut-Flusses, lebte in dem Städtchen Battlebow James Fisk, ein Yankee, der neben einer kleinen Landwirthschaft des Gewerbe eines reisenden Handelsmannes, Pedlar genannt, betrieb, und hier wurde James Fisk der Jüngere geboren, über dessen gewaltsames Ende und pomphafte Bestattung noch jetzt die politischen und illustrirten Zeitungen Nordamerikas mit Berichten und Bildern angefüllt sind; er ist’s, der durch seine Laufbahn vom Hausirer bis zum Beherrscher großer Eisenbahnmonopole, durch sein Leben und seinen Tod, uns zum Vorwurfe eines amerikanischen Charakterbildes dienen soll.

Ein Charakter wie James Fisk der Jüngere kann nur in der großen amerikanischen Republik unter den dortigen großartigen Verhältnissen sich entwickeln, und auch dort treten solche Menschen nur vereinzelt in so grotesker Gestalt hervor, wie dies James Fisk that. Aus seiner ersten Jugendzeit pflegte er gern ein Vorkommniß zu erzählen, welches zeigt, wie Schlauheit und Ueberlistung als ein Mittel zur Erziehung angewendet wird. Der junge James stand eines Morgens in dem Stalle, in welchem sein Vater eine Reihe stattlicher Kühe angebunden hatte.

„Könntest Du wohl diesen Stall reinigen, mein Sohn?“

„Ich habe es noch nie gethan,“ war die Antwort.

„Siehe hier diesen blanken Silberdollar; diesen sollst Du erhalten, wenn Du die Arbeit vollbringst.“

Welcher Yankee-Knabe könnte dem Reize eines blanken Dollars widerstehen? James ergriff die nöthigen Werkzeuge, und schweißtriefend meldete er, daß das Werk gethan sei.

„Ei, das ist ja charmant,“ sagte der Vater, indem er die versprochene Belohnung ausbezahlte, „ich sehe, Du kannst es thun, und von jetzt an wirst Du es jeden Tag thun.“

Das Geschäft des älteren Fisk hielt ihn natürlich viel von Hause entfernt, und daß unter diesen Umständen die Erziehung des Jungen in wissenschaftlicher Beziehung eine äußerst mangelhafte war und Herz und Gemüth wenig Ausbildung erhielten, ist erklärlich; und doch war das Feld gut und ein rechtzeitig eingestreuter Same hätte zu schönen Früchten berechtigt. Was ihm an Bildung abging, ersetzte er durch scharfen Verstand, und trotz eines sehr dehnbaren Gewissens und des Mangels an Moral und wahrer Ehre kamen doch die guten Eigenschaften seines Herzens, Großmuth und Wohlthätigkeitssinn, oft zum Durchbruch.

James Fisk der Jüngere folgte dem Gewerbe seines Vaters, allein die Art des Geschäftsbetriebes des Letztern erschien ihm zu kleinlich, und so ließ er sich denn einen bei den amerikanischen „Pedlars“ gebräuchlichen, aber mit auffallend grellen Farben bemalten und mit Goldlack geschmacklos übertünchten Wagen anfertigen, in dem er, mit vier Pferden bespannt, in den Ortschaften und auf den Farmen herumfuhr, seine Waaren, die er in großer Auswahl mit sich führte, zum Verkaufe ausbietend. Seinem über diese Extravaganz des Sohnes erschreckten Vater bot er – Anstellung in seinem Geschäfte an, legte ihm aber an’s Herz, durch dieses ihm bewiesene Zutrauen sich ja nicht zu Hochmuth verleiten zu lassen. Uebrigens hat er in seinem kurz zuvor, ehe die Kugel seines Mörders ihr Werk vollendete, verfaßten Testamente seinem Vater und seiner Mutter eine bedeutende lebenslängliche Rente ausgesetzt und dadurch bewiesen, daß er „Vater und Mutter ehrte“. Aus seiner Hausirerlaufbahn, die eine höchst erfolgreiche war, und die ihm den Weg zu seinen späteren finanziellen Erfolgen bahnte, nur eine Anekdote: Eine alte Frau, welche von Fisk, Vater, ein baumwollenes Halstuch um einen Schilling – den achten Theil eines Dollars – gekauft, beschwerte sich bei dem Sohne, daß sie übervortheilt worden sei. James betrachtete die Waare aufmerksam von allen Seiten und that nach langem Besinnen den Ausspruch: „Nein, liebe Frau, für einen Schilling sagt mein Vater keine Lüge; für einen Dollar würde er wohl ohne Zögern deren acht sagen!“ Es war der eigene Charakter, den James Fisk hier schilderte; auch er betrog nur – um Hunderttausende und um Millionen.

Der Krieg der Union gegen die Rebellenstaaten beendigte die Hausirer-Laufbahn unseres Helden. Der Speculation öffnete sich jetzt ein weites Feld, und James Fisk war nicht der Mann, eine solche Gelegenheit zur Erwerbung von Reichthümern ungenützt vorübergehen zu lassen. Durch seine Energie und Geschäftsgewandtheit hatte er die Aufmerksamkeit des Handlungshauses in Boston, bei welchem er seine Waaren einkaufte, auf sich gezogen. Dieses ließ sich mit ihm in Speculationen ein, die oft der gewagtesten Art waren, allein sie glückten und nach wenigen Jahren zog Fisk sich mit einem Vermögen von hunderttausend Dollars aus dieser Verbindung zurück. Mit diesen Mitteln ausgerüstet, verlegte er den Schauplatz seiner Thaten nach New-York, wo nun in Wall Street, der Straße für legitime und illegitime Geld- und Börsengeschäfte, ein Schild anzeigte, daß der künftige Beherrscher der New-York- und Erie-Eisenbahn sich mit Wechsel- und Actiengeschäften befasse.

Wenn Jemand fragt, ob eine Geldanlage in diesen oder jenen amerikanischen Eisenbahnpapieren sicher sei, so darf man nur antworten: so lange als die Verwaltung der Bahn sich in ehrlichen Händen befindet. Bei einer schlechten Administration sind die wohlfeilsten Papiere zu theuer, und wenn die Bahn auch noch so rentabel ist. Im Jahre 1866, zur Zeit als Fisk seine Finanzoperationen begann, standen die Erie-Eisenbahn-Actien niedrig; und doch repräsentirte diese Bahn, welche von New-York an der südlichen Grenze des Staates denselben in seiner ganzen Breite durchläuft und in dem Hafenplatze Dunkirk am Erie-See ausmündet, ein Capital von sieben Millionen Pfund Sterling, mit einer Brutto-Einnahme von drei Millionen! Hier war eine goldene Gelegenheit zur Speculation.

Die sonst so vorsichtigen englischen Capitalisten kauften massenweise; auch James Fisk kaufte; aber während Jene fern waren, stand Fisk in der Nähe. Sein Zweck war nicht gewöhnliche Speculation; er hatte ein höheres Ziel, Mitglied des Directoriums zu werden, die Verwaltung der Bahn, ja diese selbst an sich zu reißen. Dazu bedurfte es vor allen Dingen vieler Actien und mächtiger Verbindungen mit finanziellen und politischen Größen. In Daniel Drew, einem Director der Bahn, und in Jay Gould, einem Börsenspeculanten, dessen Gewissen eine ebenso weite Spannkraft hatte, wie jenes von Fisk, fand dieser die finanziellen, in Tammany, einer demokratischen Verbindung oder engstverbrüderten Genossenschaft New-Yorks, die ihre mächtigen Arme über den ganzen Staat ausstreckte, die politischen Bundesgenossen; an der Spitze der letzteren stand der berüchtigte William Tweed, dessen Thaten jetzt in den Criminalgerichtshöfen an’s Licht gezogen werden sollen. Es war ein

  1. Wir bringen mit Obigem ein Lebenszeichen von einem Mann, dessen hervorragende Betheiligung am ersten deutschen Parlament, wie an der badischen Revolution, wo er eine Zeitlang an der Spitze der revolutionären Regierung gestanden, einen Platz in der deutschen Geschichte gefunden. Er lebt jetzt in der Schweiz, nachdem er bei dem Brande von Chicago Alles verloren.
    Die Redaction.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_124.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)