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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

würdiges Kleeblatt, die Herren Drew, Fisk und Gould, welche nun im Directorium thronten und die Gewalten eines Executiv-Comités sich anzueignen gewußt hatten. Eine Mehrausgabe von sechzigtausend Actien war die erste That, durch welche sie sich bemerkbar machten. Zwar kamen sie diesmal noch mit der Justiz in Conflict und sie wurden genöthigt, für einige Zeit jenseits des Hudson-Flusses auf dem Boden von New-Jersey ihren Wohnsitz aufzuschlagen, wohin die von den Civilgerichten New-Yorks erlassenen Verhaftsbefehle nicht reichten; denn noch war die Verbindung mit der „Tammany“ nicht abgeschlossen, und lieferte diese somit auch noch keine willfährigen Richter; auch beobachtete sie noch das wachsame Auge des Millionärs Vanderbilt, der im Besitze von hunderttausend Actien der Bahn war.

Bekanntlich wird in Amerika der Sonntag sehr heilig, puritanisch heilig gehalten. Ein Civil-Verhaftsbefehl darf am „Sabbath“ nicht vollzogen werden, und so konnten die Flüchtlinge an diesem Tage ihr „Fort Taylor“, wie der Volkswitz ihr bescheidenes Hôtel in Jersey City benamset hatte, verlassen und in New-York mit ihrem Hauptgegner über Frieden unterhandeln. Und dieser Friede kam zu Stande. Die Haupt-Actionäre, worunter Vanderbilt und Drew, verkauften ihre Actien an Fisk und Gould, und diese zahlten mit dem Gelde, das sie der Schatzkammer der Compagnie entnahmen.

James Fisk und Jay Gould waren jetzt im factischen Besitze der Eisenbahn. Eine solche Corporation, in deren Dienste fünfzehntausend Angestellte und Arbeiter stehen, ist in der Republik eine Macht. Mit „Tammany“ war jetzt ein Bündniß zu schließen. Dafür lieferte dieses gefügige und gefällige Gesetzgeber. Durch Beide zusammen wurde jede Controle durch die Actionäre ausgeschlossen. Die durch den Einfluß von „Tammany“ gewählten Richter sanctionirten die ungesetzliche Actien-Emission, und die Legislatur sorgte durch Gesetze dafür, daß Fisk und Gould von ihren Sitzen im Directorium nicht leicht entfernt werden konnten.

So weit haben wir es mit zwar grotesken, aber doch trockenen Finanz- oder Schwindel-Operationen zu thun, die wir in ihren Einzelheiten schon aus dem Grunde nicht verfolgen können, weil sie nur in ihren großen Resultaten an das Tageslicht traten. Doch auch die Romantik soll in unserm Gemälde nicht fehlen, und selbst die Tragödie wird die Bühne beschreiten, ehe der Vorhang über das Bild herabfällt.

James Fisk und sein Genosse kauften das New-Yorker Opernhaus, einen aus weißem Marmor aufgeführten Palast, nebst den daranstoßenden Gebäuden um vierzigtausend Pfund Sterling; die inneren Räume wurden mit fürstlicher Pracht ausgestattet. Hier wurden die Geschäftszimmer der Eisenbahnverwaltung eingerichtet, in denen Intriguen geschmiedet, Speculationen erdacht und Schwindeleien jeglicher Art verabredet wurden. Von diesem Hauptquartier aus ergingen die Befehle an die Börsenwerkzeuge, um die Actien der Erie-Bahn fallen oder steigen zu machen. Heute machte man gemeinschaftliche Sache mit den „Bullen“, welche die Papiere in die Höhe trieben, morgen mit den „Bären“, die sie herabzudrücken suchten.

Betrachten wir uns nun einmal die äußere Erscheinung der beiden Persönlichkeiten, welche sich in den Prunkgemächern des Opernhauses niedergelassen, die von hier aus die Fondsbörse dirigirten und in diesen mit orientalischem Luxus ausgerüsteten Zimmern Orgien feierten, wie sie in den dem Verfalle des römischen Reiches vorangegangenen Zeiten an der Tages- und Nachtordnung waren. Der Colonel Fisk – ein militärischer Titel ist in Amerika ein unentbehrliches Attribut, und Fisk war Oberst des neunten New-Yorker Milizregimentes – war ein Mann von hoher Gestalt, rohem Aussehen, blühender Gesichtsfarbe, „äußerlich und innerlich einem Metzgerburschen ähnlich“ – wie sich ein amerikanisches Monatsheft ausdrückt –, sehr gesprächig, großthuerisch, dabei voll Yankee-Humor und Witz. Seine Schulbildung war so mangelhaft, daß er selbst die Liebesbriefe an seine „Josie“ durch seinen Privatsecretär schreiben lassen mußte. Als ein Theil derselben nach seinem Tode in dem New-Yorker „Herald“ abgedruckt wurde, höhnte ein Blatt: „Seither war Fisk als ein Speculant, Eisenbahndirector und Impressario bekannt; diese Briefe erheben ihn in den ersten Rang der Briefschreiber, an die Seite von Plinius, Madame de Sevigny und Lady Montague. Allein unglücklicher Weise, als man ihm gerade diese hohe Stellung in der Literatur anweisen wollte, wurde entdeckt, daß diese Briefe durch seinen Privatsecretär geschrieben wurden. Wie jener englische Höker sich ‚einen Poeten hielt‘, so hat sich der Magnat von Erie einen maître des belles lettres gehalten, der das delicate Amt hatte, die Liebescorrespondenz zu führen.“ – Sein Freund Jay Gould ist von kleiner, feingebauter Gestalt, sein Teint ist blaßgelb, die Gesichtsbildung etwas orientalisch. Im Gegensatze zu seinem lärmenden geschwätzigen Genossen ist er zurückhaltend, wortkarg und verschlossen. In das Innere der Gemächer dringt kein Unberufener ein, und selbst der mit einem gerichtlichen Befehle bewaffnete Sheriff könnte das Heer wohlgeschulter Diener nicht durchbrechen, jedenfalls nicht eher, als bis der, den er suchte, nicht mehr zu finden wäre. Diese Gemächer stehen mit den Opern- und Theatersälen in Verbindung, um den Damen des Theaters, dessen Direction der Prinz von Erie selbst übernommen und welches ihm sein Harem lieferte, den Zutritt zu vermitteln. So führte James Fisk in der Republik das Leben eines Sultans oder mindestens das eines mächtigen Pascha. Die Erie-Bahn war sein Paschalik, Tammany lieferte ihm die Kadis, Oper und Ballet die Odalisken und die Börse die Mittel zu sardanapalischen Lüsten und lucullischen Mahlen. Da führte ihm das Geschick zwei Personen entgegen, deren Bekanntschaft für ihn verderblich werden sollte. –

Josephine Mansfield ist eine geschiedene Ehefrau, von der in Amerika häufigen Sorte der Laura Fairs in San Francisco, welche die Männer wechseln wie die Handschuhe, sich erforderlichen Falles Dutzend Male scheiden lassen oder, wenn diese Formalität nicht erforderlich ist, den Liebesknoten nach Belieben auflösen, sobald eine andere Neigung mit besserer Aussicht auf Geldgewinn dies wünschenswerth macht. Sie greifen aber auch zur Pistole, um jede Verletzung ihrer „heiligsten Gefühle“ in dem Blute des Mannes zu rächen, dem sie für seine offene Börse die Arme geöffnet hatten, und sind gewöhnlich sicher, eine Jury von zwölf „intelligenten“ Männern zu finden, welche sich überzeugen lassen, daß die schöne Mörderin – häßliche finden auch vor amerikanischen Geschworenen keine Gnade – gerade im Augenblicke der That, weder einen Moment vorher noch nachher, unzurechnungsfähig war. Josephine, als sie von ihrem Gatten, einem gewissen Lawler, geschieden war, befand sich in sehr mißlichen Verhältnissen; das Kleid, das sie trug, war ihr einziges, ihr bestes. Sie mußte also das Pfund, das ihr verliehen war, zu verwerthen suchen, und dieses Pfund – war sie selbst, der Körper ohne Seele. Sie that einen glücklichen Wurf, als sie ihre Augen auf den Prinzen von Erie warf, den Mann mit voller Börse und von sinnlicher Gluth, den sie denn auch mit dämonischer Gewalt festhielt, bis er, getroffen von der Kugel eines glücklichen Nebenbuhlers, in den Armen seiner Gattin den letzten Athemzug aushauchte. Seiner Gattin? – Ja freilich, James Fisk hatte eine rechtmäßige, ihm angetraute Gattin, die Mutter seiner Kinder, die in Boston lebte und von deren Existenz das große Publicum erst Kenntniß erhielt, als die Zeitungen die letzten Augenblicke des gemordeten Mannes beschrieben.

Josephine hatte einen tiefen Eindruck auf das Herz dieses rohen Naturmenschen gemacht; mit unwiderstehlicher Gewalt zog sie ihn in ihre Arme und in sein Verderben. Sie wurde die erklärte Geliebte des Eisenbahnfürsten, der ihr ein Haus kaufte und solches mit fürstlicher Pracht einrichtete. Wie mit Zaubermacht wurde sie aus tiefer Armuth auf die Höhe des Reichthums gehoben. Gold, so viel sie mochte, Diamanten, Dienerschaft, Equipage, alles, was sie nur wünschte, gab ihr der „verzauberte Prinz“ mit freigebiger, ja mit verschwenderischer Hand. In die duftenden Briefchen voll zarten Liebesgeflüsters aus der Feder eines Schreibers legte James werthvolle Bankbillete für seine „Josie“. In ihrem Hause, in ihren Gemächern ruhte er von den Mühen des Tages, an ihrer Tafel versammelte er die Könige der Börse und die Häupter von Tammany, Männer mit weitem Gewissen und lockerer Moral. Aber noch war kein Mörder unter ihnen. Da führte Fisk selbst den jungen Eduard Stokes ein. –

Wir bedauern, den Leser aus den üppigen Gemächern Josephinens in die Oelläuterungsanstalt der Frau Stokes führen zu müssen. Eduard, ein junger Mann von feinem Aeußern, schönen und einnehmenden Gesichtszügen, dunkelblauen Augen und gelockten schwarzen Haaren, breiter Stirn, schlanker Gestalt, spricht fein und fließend, kleidet sich elegant und kostbar und braucht viel Geld. Die Oelraffinerie seiner Mutter erscheint ihm als die Münzstätte,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 125. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_125.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)