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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Nun, diesem weisen Satz zufolge –
Ich lernt’ ihn hier erst recht versteh’n –
Bog ich mich leise aus dem Fenster
Und hab’ ihm lange nachgeseh’n.

Voll Glück und Stolz! Ich that nichts Böses,
Mein Herz belobte mich sogar,
Daß ich so fleißig Nachsicht übte
Und alten Lehren folgsam war.

 Hermann Oelschläger.




Unsere vermißten Soldaten.


(Schluß.)


Wir lassen nun die Auskunft folgen, welche auf unsere Vermißtenliste in Nr. 39 der Gartenlaube bis Mitte Januar dieses Jahres uns zugegangen ist.

1) Ueber Gustav Emil Hille (Liste Nr. 19) sind einigermaßen sich widersprechende Nachrichten eingegangen. Nach der eines früheren Feld-Assistenz-Arztes im 11. Feld-Lazareth des 12. Armeecorps, Herrn J. Krause in Leipzig, hat Hille am 1. Sept. 1870 bei Sedan einen Schuß in das linke Hüftbein mit Verletzung des Darmcanals erhalten und war in seiner Lazarethabtheilung in Douzy bis zum 9. October, wo er dem unter der Leitung des Chef-Arztes Dr. Christner stehenden 12. Feld-Lazareth daselbst übergeben und von dem Stabsarzt Dr. Viek und Feld-Assistenz-Arzt Feige behandelt wurde. Beim Abzug dieses Feld-Lazareths von Douzy übernahm der Stabs- und Polizei-Arzt Dr. Jacoby (jetzt wieder in Dresden) die Patienten des 12. Lazareths. – Diesen bestimmten Angaben eines Arztes stellen sich die Aussagen von Cameraden insofern entgegen, als diese behaupten, Hille sei am linken Oberarm verwundet; so habe sein Nebenmann im Kampfe ausgesagt, so ihn ein Krankenträger vor der Thür des Lazareths in Douzy auf einer Tragbahre und ebenso ein Unterofficier im Lazareth selbst liegen sehen. Nach der Auskunft der Lazarethverwaltung in Douzy ist Hille sogar mit einem Verwundeten-Transport nach Deutschland abgefahren. Das Vermißtsein aber erklärt die Frau Simon (in Dresden) damit, daß zwei Züge mit Verwundeten von den Franctireurs durch Wegnahme der Bahnschienen zum Stehen gebracht und genommen worden seien. Und daraus schöpft die Familie noch heute die Hoffnung, daß Hille vielleicht doch aus dieser „französischen Gefangenschaft“ noch wiederkehren könne.

2) Franz Gerisch (Liste Nr. 20). Ein sächsischer Soldat dieses Namens, aber angeblich vom 108. Regiment, aus „Ranibisgrün“ (?) bei Auerbach, kam, vor Paris verwundet, mit einem Schuß durch den linken Oberarm in das Civilkrankenhaus zu Donauwörth, wurde am 24. December amputirt und starb zwei Tage darnach. Auskunftgeber: das Central-Comité und Ritter Ed. Filchner in München.

3) Ueber Friedrich Ludwig Kaden (Liste Nr. 22) sind zwei Briefe eingegangen, welche beide die Gefangenschaft desselben auf der Insel Oléron bestätigen. Der eine ist von einem Mitgefangenen, den die Franzosen als Hülfsarzt und Dolmetscher benutzten und der ausführlich erzählt, wie Kaden als Gefangener und Typhuskranker auf Oléron angekommen, daß er ein junger Mann von kräftiger Statur, aber äußerst zartbleichem, fast mädchenhaftem Antlitz gewesen und daß er mehrere Tage fast hoffnungslos darniedergelegen. Er war auf dem Wege der Besserung, aber noch nicht transportabel, als unser Gewährsmann, am 4. März v. J., in Folge der Auswechselung Oléron verließ. Er ist erbötig, selbst bei dem Arzt und Lazarethinspector der Citadelle Erkundigung nicht nur über Kaden, sondern auch über das Schicksal der übrigen dort zurückgebliebenen deutschen Gefangenen und Kranken (nach seiner Angabe 13 Mann, nämlich: 6 Verwundete, 1 Pockenkranker, 4 Thyhuskranke und 2 an Dyssenterie Leidende) Erkundigungen einzuziehen und uns zur Veröffentlichung mitzutheilen. – Der zweite Brief, aus Deutschkatharinenberg (Sachsen), berichtet von einem andern Mitgefangenen desselben Regiments, der Kaden sehr gut gekannt und der ebenfalls bestätigt, daß derselbe bei der Auswechselung der Gefangenen noch gelebt; er habe mit zwei Preußen auf einer Stube gelegen. Von diesem Gefangenen, Soldat Friedrich Böhme aus Deutschkatharinenberg, erfahren wir zugleich, daß während seiner Gefangenschaft ungefähr siebzig deutsche Soldaten gestorben und alle mit geistlicher Begleitung begraben worden seien, und zwar habe man für jeden Todten einen Geistlichen seines Glaubens gewählt (Oléron ist größtentheils reformirt). Die Geistlichen hätten stets vor dem Begräbniß in einem Comptoir etwas niedergeschrieben, Deutsch habe jedoch keiner verstanden. Auch diese Notiz deutet auf die Möglichkeit hin, über viele Vermißte von dort bestimmte Nachricht erhalten zu können.

4) Leo Droß (Liste Nr. 23). Ueber ihn schreibt der damalige Landwehr-Stabsarzt im 47. Inf.-Regiment, Füsilier-Bataillon, jetzt prakt. Arzt in Frankenstein, Dr. Seifert, daß er in seinen auf dem Schlachtfeld gemachten Bleistiftnotizen unzweifelhaft deutlich den Namen Droß und seine Regimentsnummer 47 mit der Bemerkung „Blasenbeckenschuß“ verzeichnet finde. Er fand ihn in der Nähe der Höhe von Elsaßhausen und leistete ihm die erste ärztliche Hülfe, ist aber der Ueberzeugung, daß der so schwer Verwundete noch desselben Tags gestorben sei. „Ganz bestimmt,“ schließt der Brief, „ist ihm Beistand durch die Unsern in seinen letzten Lebensstunden zu Theil geworden, da in seiner unmittelbaren Nähe Bivouacplätze aufgeschlagen wurden und auch ärztliche Hülfe an jener Stelle hinreichend vorhanden war.“

5) Der Anhaltiner Schettler (Liste Nr. 27) ist wirklich bei einem Recognoscirungsgefecht vor Toul am 16. August auf der Stelle todt geblieben. Adresse zu weiteren Nachforschungen den Verwandten mitgetheilt. Auskunftgeber: Gymnasiast Ernst Busse zu Burg bei Magdeburg.

6) Jens Nicolai Jensen (Liste Nr. 41). Ueber Jensen haben wir drei verschiedene Nachrichten erhalten, die offenbar auf drei Soldaten dieses Namens gehen. Ein Jens Jensen, bei dem man Briefadressen fand, welche ihn als zum schlesw.-holst. Feldartill.-Reg. Nr. 9, 18. Division, gehörig bezeichnen, ist am 5. oder 6. November 1870 im Lazareth von Troyes gestorben und im Kirchhof daselbst begraben. Ein Nicolaus Jensen, Soldat bei der Munitionscolonne des Artill.-Reg. Nr. 9, ist am 4. September 1870 im Lazareth in der Mädchenschule zu Forbach an der Ruhr gestorben und im dortigen Friedhof beerdigt. Ein dritter Jensen, ebenfalls Schleswig-Holsteiner und von der Munitionscolonne des Feldartill.-Reg. Nr. 9, war noch am 22. November 1870, aber todtkrank, im Lazareth zu Hildburghausen. Wir haben den Angehörigen alle drei Briefe gesandt, die aus den ausführlichen Schilderungen derselben wohl den Rechten erkennen werden. Trost bringt keiner von ihnen. Auskunftgeber: F. Paulsen, Stud. d. Theol., in Berlin; K. Didden-Inkaln in Oldenburg.

7) Musketier Everling (Liste Nr. 46), von der 7. Comp. des 76. Reg., ist am 11. Januar 1871 zu Chartres am Unterleibstyphus gestorben und der Todtenschein richtig ausgestellt worden. Auskunftgeber: Gust. Nolte, Stud. d. R., in Hamburg.

8) Christoph Mohr (Liste Nr. 51) aus Nürnberg, ist sehr schwer verwundet am 22. September 1870 in das Aufnahme-Hospital Nr. 10 im Schloß Montvillers gekommen und dort, nachdem er als Katholik die Sacramente empfangen, am 25. September gestorben. Baarschaft ist nicht bei ihm gefunden worden. Auskunftgeber: Fr. Herterich in Würzburg und das Münchener Central-Comité.

9) Böttcher (Liste Nr. 56). Ein Gustav Böttcher, vom 108. Reg., 3. Comp., war Gefangener in Paris; ein Karl Böttcher, vom 109. Reg., Gefangener in L’Isle de Yen in der Vendée. Näheres noch nicht erlangt. Auskunftgeber: das Münchener Central-Comité.

10) Ernst Weinert (Liste Nr. 65) ist, laut Todtenschein, nachdem er am 18. August bei St. Privat durch einen Granatsplitter am Bein schwer verwundet worden, am 28. September 1870 im Lazareth zu Doncourt gestorben. Auskunftgeber: Rentier Engelmann in Mügeln bei Oschatz und Feldwebel Wagner j. in Sedan.

Ebenso unmöglich ist, wie im vorliegenden Fall gewünscht wurde, die Leiche wieder aufzufinden, denn wenn man auch den Friedhof und selbst das Grab erforscht, so werden doch stets mehrere und nicht selten viele Todte in ein großes Grab gelegt.

„Unbegreiflich“ nennt es dagegen unser Gewährsmann, „daß die Verwandten oder die Ortsbehörden, für die doch der Todtenschein eigentlich angefertigt ist, darüber im Ungewissen gelassen werden können.“

11) Ueber Gottlob Najork (Liste Nr. 68) erhalten wir folgende Nachricht von Herrn F. v. Wangenheim-Wintershaus in Potsdam, der, selbst bei Mars-la-Tour verwundet, in die Kirche von Gorze, die als Lazareth diente, transportirt worden war: „Neben mir lag auch ein Soldat des 52. Infanterie-Regiments, durch einen Schuß in die Brust anscheinend schwer verwundet; derselbe erzählte mir viel von seiner Frau und seinen ‚Kinderchen‘ und daß er bei Forst zu Hause sei; ferner theilte er mir mit, daß er am Morgen des 16. August, als wir schon vor Gorze Kanonendonner hörten, aus Aberglauben die Blechmarke fortgeworfen habe. Mein Nebenmann ist wahrscheinlich seinen Wunden erlegen, ohne daß es möglich war, seine Persönlichkeit festzustellen. In Gorze liegen so Viele gebettet, – wer kennt ihre Namen?“

12) Musquetier Julius Kornagel (Liste Nr. 71) ist zuletzt in Moyeuvre, zwischen Metz und Diedenhofen, von dem Herrn Landwehr-Cavallerie-Lieutenant und Rittergutsbesitzer Rudolph in Glondenhof bei Züssow in Pommern gesehen worden und giebt derselbe die Adressen zur Weiterforschung an.

13) Ueber Aug. Marhold (Liste Nr. 75) kann auch das Münchener Central-Comité nur berichten, daß er am 22. October 1870 noch in Orleans lag.

14) Adolf Söllner (Liste Nr. 80) wurde, nach Angabe seiner Compagnie-Cameraden, am 7. October 1870 Nachmittag durch einen Schuß in die Seite schwer verwundet, nach Metz gebracht und starb daselbst am dritten Tag darnach. Er soll eine ziemliche Baarschaft bei sich gehabt haben, weil er sich im Lager mit Graveurarbeiten beschäftigte. Auskunftgeber: Bürgermeister Wendt in Czempin.

15) Fritz Oppelt (Liste Nr. 122) ist wirklich, und zwar laut von der Lazarethinspection zu Baigneaux bei Orleans in aller Form ausgestellten Todtenscheins, am 8. December 1870 daselbst gestorben und begraben. Wir entnehmen dem Briefe des Auskunftgebers, des Herrn Dr. Steiner, praktischen Arztes zu Xanten, welcher als Assistenzarzt an jenem Lazareth thätig war, folgende Bemerkungen von allgemeinem Interesse: „Was den Nachlaß anbetrifft, so werden von den Rendanten des Lazareths nur die hinterlassenen Werthsachen, wie Geld, Uhren, Ringe und dergleichen in Verwahrung genommen und an eine vorgeschriebene Behörde (wenn ich nicht irre, an die Generalkriegscasse) abgegeben; andere Sachen, wie Notizbücher und dergleichen, deren Besitz wohl oft sehr erwünscht für die Hinterbliebenen sein mag, aufzuheben, ist in einem Feldlazareth, das den Truppen folgen muß, absolut unmöglich, denn wo sollte man mit den Sachen, die sich massenhaft anhäufen würden, bleiben, wie sollte man schließlich Alles transportiren können? Nur in einem stehenden Lazareth mag das Aufbewahren von derlei Gegenständen allenfalls angehen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 130. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_130.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)