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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

sich auch an den versteinerten (fossilen) Ueberresten von Pflanzen und Thieren mehr oder weniger deutlich ein allmählicher Uebergang dieser Organismen aus den tieferen in die höheren Schichten erkennen und zwar in der Art, daß es unzweifelhaft ist, wie die Organismen der einzelnen Schichten von denen der nächst vorhergehenden Schicht abstammen und nur die veränderten Nachkommen dieser sind. Gleichzeitig läßt sich aber auch erkennen, daß in den tieferen Schichten die Reste von weit einfacheren und unvollkommeneren Pflanzen und Thieren lagern, als in den höheren Schichten, und daß also, je tiefer wir von unserer jetzigen Erdoberfläche in der Erdrinde hinabsteigen, alle Organismen um so unvollkommener, einförmiger und einfacher werden und sich um so auffallender von den jetzt noch lebenden verwandten Organismen unterscheiden, während sie den Organismen der Gegenwart um so ähnlicher werden, je höher oben in der Erdrinde sie ihre Lage hatten. Mit Zunahme[WS 1] der Dicke unserer Erdrinde durch neue Schichten müssen demnach auch die lebenden Wesen an Vollkommenheit mehr und mehr zugenommen haben. In der Tiefe, wo das Leben begann und sich an das unorganische Reich anreiht, trifft man natürlich auf die allereinfachsten Pflanzen und Thiere. Es bestätigen also die fossilen Funde, daß zu allen Zeiten des organischen Lebens auf der Erde eine beständige Zunahme in der Vollkommenheit der organischen Bildungen stattgefunden hat und daß dies auch mit dem menschlichen Organismus der Fall ist, wie die aufgefundenen fossilen Menschenreste beweisen.

In Folge des vielfachen Wechsels zwischen den Hebungen und Senkungen der verschiedenen Erdtheile im Laufe von Jahrmillionen kamen nun die ganz charakteristischen Ablagerungen der untergegangenen Thiere und Pflanzen zu Stande, welche auf den verschiedenen Erdschichten existirten. Wenn nämlich die Leichen derselben auf den Boden der Gewässer hinabsanken, drückten sie ihre Körperform in dem weichen Schlamme ab und unverwesliche Theile (wie harte Knochen, Zähne, Schalen etc.) wurden unzerstört in denselben eingeschlossen, so daß diese nun in dem zu neptunischem Gestein verdichteten Schlamme als „Versteinerungen, Petrefacten, Vorwesen“ gefunden werden. - Die Paläontologie oder Vorwesenkunde, die wir besonders Cuvier verdanken und welche Tag für Tag an Material reicher wird, giebt uns nun mit Hülfe dieser Petrefacten Auskunft über den Entwickelungsgang, den die großen Thier- und Pflanzenstämme vom Beginn des organischen Lebens an genommen haben. Sie scheidet nach den fünf neptunischen Schichtengruppen auch die Organismengruppen unserer Erdrinde in fünf große Hauptabschnitte, nämlich in eine primordiale, primäre, secundäre, tertiäre und quartäre Periode.

Vom Menschen finden sich versteinerte Knochenreste nicht blos in der Quartärzeit, sondern sogar vor der Eiszeit in der (mittleren) Tertiärperiode, gewöhnlich in Gemeinschaft mit mehr oder weniger vollkommenen Werkzeugen, Geräthschaften und Waffen (welche anfangs von rohem Stein, später von polirtem Stein und sodann aus Bronze, Kupfer, gebranntem Thon und zuletzt aus Eisen gefertigt waren), mit Abfällen von Nahrungsmitteln, Unrath und mit thierischen Ueberbleibseln. Von fossilen Menschentheilen wurden besonders Kinnladen (Unterkieferknochen) und Schädel aufgefunden. An beiden zeigte sich in der frühesten Periode ein ausgesprochen affenähnlicher Charakter. An den dicken und runden Unterkieferknochen (Kinnlade von la Naulette, von Martin Quignon, Hyères, Arcis-sur-Aube) fehlte nämlich das Kinn fast ganz (während doch das vortretende Kinn ein charakteristisches Kennzeichen der Menschlichkeit ist); ferner folgten die drei hintern Backzähne bezüglich ihrer verhältnißmäßigen Größe gerade so aufeinander, wie bei den menschenähnlichen Affen. Während nämlich bei dem echten und hochstehenden Menschen der erste dieser Backzähne der größte und der hinterste der kleinste ist, war dies hier umgekehrt; bei niederen Menschenracen (Papuas, Neger) sind alle drei Backzähne von gleicher Größe und überhaupt größer. Auch war die thierische Schiefzähnigkeit (Prognathismus) deutlich an diesen Kiefern ausgesprochen. – Ebenso bestätigt der Neanderthalschädel, welcher mit einem fossilen Menschengerippe in einer Kalksteinhöhle des Neanderthales zwischen Düsseldorf und Elberfeld gefunden wurde, die affenähnliche Beschaffenheit des Kopfes unserer Vorfahren. Derselbe zeigt eine sehr schmale, flache und ganz bedeutend niedergedrückte Stirn mit enorm hervortretenden Augenbrauenbogen; das Gerippe glich in seiner Bildung der Knochenbildung tiefstehender Menschenracen, (die Knochen waren außerordentlich dick und ihre Vorsprünge ungewöhnlich entwickelt). Dagegen zeigt der Engisschädel (aus der Engishöhle bei Lüttich) schon eine bessere Stirnbildung, deutet jedoch immer noch auf eine sehr niedere Hirnbildung. – Der fossile Mensch von Denise und der von Natchez am Mississippi müssen mit dem Mammuth zusammen gelebt haben. – Uebrigens giebt es noch menschliche Ueberreste aus früherer Zeit, welche in der Thierähnlichkeit die heutigen thierähnlichen Menschenracen (Papuas, Hottentotten, Kaffern) noch weit übertreffen.

Bock.




Parlamentarische Charaktere aus Preußen.


1. Die Führer der Ultramontanen.


Windthorst, die Perle von Meppen. – August Reichensperger. – Peter Reichensperger. – Mallinckrodt.


Es ist nahe sechs Jahre her, daß der preußische Parlamentarismus ein allgemeineres Interesse auf sich gezogen und die hervorragendsten Charaktere desselben die Aufmerksamkeit auch über die Grenzen des engeren Vaterlandes erregten. Als es geschah, handelte es sich um große Principienkämpfe, deren Ausgang für ganz Deutschlands politische Entwickelung von Wichtigkeit erschien und die dann jählings in welterschütternden Ereignissen aufgingen: in dem Kriege von 1866.

Jetzt erst, nach wenigen, aber unvergleichlich großen Jahren, richten sich die Blicke abermals voll besonderer Erwartung auf die parlamentarischen Verhandlungen in Berlin; zunächst, wie einst, nach dem Haus der Abgeordneten auf dem Dönhofsplatz. Eine allmählich erstandene, auch im deutschen Reichstag schon oft lebhaft berührte und seitdem immer bedrohlicher gewordene Frage hat dort zu einem mächtigen Kampfe geführt. Alle Welt fühlt, daß es ein entscheidender zugleich für Deutschlands geistige Cultur geworden ist. Hie Welf, hie Waibling! So lautet wieder die Parole. Kirche und Staat, Römlingsthum und modernes Regierungsprincip, Jesuit und Humanist ringen miteinander, und was das Wichtigste dabei ist, sie ringen auf dem Mutterboden des Protestantismus und der höchsten politischen Schöpfungen der Gegenwart um einen Sieg miteinander, der, wie er auch ausfiele, seine moralischen Wirkungen auf halb Europa ausüben müßte.

Seine Größe und Tiefe hat dieser Kampf dadurch erhalten, daß die preußische Regierung selbst sich nach langer, langer Zeit aus ihrer kirchlichen Befangenheit aufraffte und Fürst Bismarck, der seit einem Jahrzehnt ihr größter Aufrührer gewesen, sie nun auch revolutionär gegen den ultramontanen Rattenfänger machte, dessen Gefährlichkeit er nicht nur für die Bildung des Volks, sondern auch für das Gedeihen des Staates und für die Macht und Autorität derselben erkannt hatte.

So war es der Mann, der seit Jahren so viel Geschichte gemacht, welcher nun auch mit festem Griff diese ultramontane Bewegung abfing, um sie, woran ihm Alles lag, wenigstens unter den Staat zu ducken. So schmiedete er selbst die Waffe des Schulaufsichtsgesetzes, welches dem Staate auch in der Schule das Recht über die Geistlichen sichern sollte; so ließ er Herrn v. Mühler fallen, so führte er den Juristen Dr. Falk auf den Stuhl des Cultusministeriums; so brach er die alte Interessenfreundschaft mit der katholischen Centrumspartei; so war er entschlossen, um hier zu siegen, auch selbst mit seiner eigenen conservativen Partei zu brechen, wenn sie, die längst mit Schrecken auf ihn blickte, ihm ein Hinderniß bereiten würde.

Sein Hauptangriff galt also zunächst der katholischen Fraction im Abgeordnetenhause, und die Wucht und Nachhaltigkeit, mit welcher er bei dieser Gelegenheit auf sie eindrang und sie niederzuschmettern suchte, hat auf diese Gruppe von Abgeordneten und ihre Führer das allgemeinste Interesse in ganz besonderem Maße hingelenkt. Zwar ist sie nicht neu und ihre Führer gehören zu den parlamentarischen Veteranen in Preußen; aber ihre Bedeutung ist

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Zunnahme
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_140.jpg&oldid=- (Version vom 5.6.2019)