Seite:Die Gartenlaube (1872) 143.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Gegnern mit guten Gründen und einer unsträflichen Sittlichkeit des politischen Gewissens gewachsen sei; er giebt mit den Bewegungen seines Armes seinen Worten Nachdruck, wie fechtend im Einzelkampf mit dem Ausgezeichnetsten aus den feindlichen Parteien. In aller Leidenschaft seiner Polemik irrt er aber nicht vom Sachlichen ab und läßt er sich nie zu persönlichen Ausfällen, zu einem verletzenden Ausdruck verleiten; auch im Aufruhr des Innersten bleibt diese Natur dem Gesetz des Schönen und wahrhaft Vornehmen unterthan. Wenn er geendigt, so schreitet er im Stolz erfüllter Pflicht von der Tribüne, in der Erregung kaum des Zweifels fähig, daß er mit seinem Appell an die Vernunft nicht die besseren Geister wenigstens im Stillen überzeugt habe.

Völlig entgegengesetzt ist der Eindruck, den Herr v. Mallinckrodt macht, der Regierungsrath und eines der ältesten und rührigsten Mitglieder der Fraction, der Führer der Schwärzesten unter den Schwarzen. Es ist eine hagere, schlanke, steife Erscheinung mit einem eckigen, ragenden Kopf spitz zulaufend zum Kinn, welches, wie die Oberlippe, ein dichter, kurzer, starrer grauer Bart bedeckt. Das volle Haar ist fast in der Mitte des Hauptes wie nach Frauenart gescheitelt. Die gerade Linie des Gesichts leiht diesem etwas Ehernes und der wenig bewegliche Ausdruck der düsteren Züge, der kalten ruhigen Augen erhöht diesen Charakter noch mehr. Auch inmitten seiner Schaar hält er sich abgeschlossen; mit dem Pince-nez vor den Augen liest er, scheinbar sich um nichts kümmernd, was um ihn vorgeht, während doch ein prüfender Aufblick zuweilen beweist, daß seine Ohren den Verhandlungen folgen; oder er sitzt unbeweglich da, die Blicke gesenkt, hinsinnend. Nur selten, daß er mit seinen Nachbarn spricht; noch seltener, daß dabei das Lächeln der Freundschaft über seine Züge, und dann gezwungen, gleitet.

Ein starrer Ascet, ein fanatischer Puritaner römischer Gesinnung, das ist Herr von Mallinckrodt. Entschlossen und kampffertig, deckt er gleichsam den Rückzug aus dem Gefecht. Dann stellt er sich ein, finster, unheimlich, mit kaltem Hohn und verhaltenem Grimm seine Gegner herausfordernd. Das papistische Non possumus ist sein Evangelium, und rücksichtslos bringt er es gegen die Liberalen wie gegen die Regierung zur Geltung, wenn diese dem ihm verhaßten Zeitgeist Rechnung trägt. Ein nüchterner, wenig gedankenvoller Redner dabei, sind die Pointen seiner Aeußerungen selten mehr als Drohungen und Phrasen jesuitischer Sorte. Er verachtet den Sieg der Gegner, wenn er ihnen nicht mehr zu entreißen ist; er tröstet sich darüber wie Talbot beim Sterben. Bei ihm ist unerschütterlich die Zuversicht, daß schließlich doch die ultramontane Herrlichkeit über allem Ketzerthum strahlen werde, das verderbte Volk der alten Einfalt feudaler Erziehung zuführend, die Juden vertreibend, die Presse unterdrückend, die Regierungen beherrschend, nachdem sie alle wieder den Papst als ihr kirchliches und weltliches Oberhaupt anerkannt haben. Aus seinem Munde fanatische Ideen zu vernehmen, überrascht nicht; man weiß, er glaubt ja daran und er spricht mit einem herben, stacheligen Ernst, so daß die Wirkung im Hause auch bei seinen bizarrsten Auslassungen mehr unheimlich als komisch ist. So nahm er z. B. keinen Anstand, gegen die Angriffe des Fürsten Bismarck Windthorst als einen der populärsten Männer, als eine „Perle“ zu bezeichnen, die seine Fraction erst „in die richtige Fassung gebracht habe.“ Die welfischen Protestanten, die sich den Ultramontanen angeschlossen haben, erklärte er für „Männer von echt deutscher Gesinnung“, und dem Fürsten Bismarck ertheilte er als einem Nachahmer Napoleon’s und Cavour’s offen das Mißtrauensvotum seiner Partei, weil sie „nicht wisse, wohin er sie führe“. Dies wird genügen, diesen Mann zu charakterisiren und die Tendenzen der Partei, in welcher er seit zwanzig Jahren eine so einflußreiche Rolle spielt.




Den Unbekreuzten.

Komm, Camerad, laß Dich’s nicht grämen,
Daß Du das Kreuz nicht trägst, wie wir;
Kann Dir darum doch Keiner nehmen
Die Ehre, die Du trägst in Dir.
Uns gab das Kreuz des Kaisers Wille,
Weil Lohn der wackern That geziemt, –
Doch keine That gleicht der, die stille
Einhergeht und sich selbst nicht rühmt.

Der König rief, wir Alle kamen
Und fragten nach nichts Anderm mehr,
Und vorwärts braust’ in Gottes Namen
Das deutsche, sieggeführte Heer.
Jetzt über Burg und Berg geklommen,
Nun gen Privat der Tambour schlägt, –
Sieh, Freund, so ward im Sturm genommen
Das Kreuz, das unsre Brust nun trägt!

Dich führte zwar der Gott der Schlachten
Nicht auf das off’ne, blut’ge Feld, –
Doch, was in Stunden wir vollbrachten,
Vollzogst Du mondelang als Held;
Vor Metz und vor Paris zu liegen
Fünf Monde, Tag und Nacht auf Wacht,
Langsam, als Märtyrer zu siegen: –
Fürwahr, ist mehr, als kurze Schlacht!

Und wir? – Ich lief hinaus zum Hause
Jung, ledig, lustig, sorgenleer,
Ließ nichts zurück in meiner Klause,
Trug nur mein bischen Leben her;
Und Jener dort? Nur sein Gewerbe
Treibt in der Schlacht der Officier,
Und schmeckt der Tod auch Allen herbe,
Er opfert auch nicht Mehr als wir.

Doch Du, Du gingst vom Weib und Kinde,
Von Deinem Werke, sorgenschwer,
Gabst Dein Erbautes preis dem Winde,
Trugst eine Welt voll Opfer her; –
Und doch kamst Du aus eignem Willen,
Ein freier und bejahrter Mann,
Und Alles gabst du hin im Stillen,
Was nur ein Mensch je geben kann!

So schlugst im gleichen Schritt und Tritte
Du Dich für Deutschlands Sieg und Ehr’
In Deiner Cameraden Mitte
Getreu durch alle Kriegsbeschwer,
Lagst dauernd unter Feuerschlünden,
In Noth und Tod viel’ Monde lang,
Bis solch ein zähes Ueberwinden
Den Erbfeind auf die Kniee zwang.

Das, das ist Ehre ohne Gleichen,
Wenn laut von ihr kein Kreuz auch spricht,
Nein, gieb ihr tausend Ordenszeichen,
Sie strahlte dennoch heller nicht; –
Drum komm’, laß sie nur immer fragen,
Ob Du kein Held, so gut, wie wir: –
Was rühmlich auf der Brust wir tragen,
Trägst rühmenswerther Du in Dir!

 Pr.




Eine Heilstätte in den Alpen.


Als ich jüngst Meran verließ, war mir mehr weh als wohl zu Muthe – nicht, wie wenn ich über Brustweh oder Asthma oder Lungenschwäche zu klagen gehabt hätte: nein, ich hatte, Gott sei’s gedankt, den berühmten Curort im vorigen Herbst lediglich seiner landschaftlichen Schönheit halber aufsuchen können; aber das Herz im Leibe that mir weh, weil ich von dem rebenumkränzten Thale, von den duftigen, stolzen Bergen, von dem sonnigen Städtchen an der Passer scheiden sollte, das ich so liebgewonnen und das

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 143. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_143.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)