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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Keiner vergißt, der die Herrlichkeiten seiner Umgebung einmal genossen. Und wie pocht Einem gar das Herz, wenn man, über die Berge daherkommend, zum ersten Male die berühmte Stadt vor sich liegen sieht, burgenumschützt und sonnenumflossen; wie munter und jubelnd

Zwischen Weinbergsmauern auf dem Küchelberge.

schwingt der Tourist den Burgen da drüben und den Thürmen da drunten seinen Hut zum Gruße entgegen, indessen der „Unheilbare“, den die Aerzte hierher in das ferne Land geschickt haben und dessen Wagen in Staub wirbelnd dahinrollt, in neuen bangen Zweifeln, in Furcht und Hoffen erbebt, ob er von hier geheilt an den heimathlichen Herd zurückkehren oder, dem mörderischen, heimtückischen, nie rastenden Feind in seiner Brust zum Opfer hinsinken werde, jenseits der Alpen in schönem, aber doch fremdem Lande, auf immer geheilt und für immer erlöst!

Ich war, als ich nach Meran wanderte, in nördlicher Richtung her an dem Dorfe Moos und an St. Leonhard vorübergekommen, in dessen Nähe das berühmte Wirthshaus „Am Sande" liegt, von dem Sande oder vielmehr von dem aus den Bergen mitgenommenen Geröll

Ruine Brunnenburg.

so genannt, welches die Passer, wie vielfach in dem weiten Thale, so auch hier vor dem Hause des Freiheitshelden Andreas Hofer ablagert. Das Gehöft mit dem zweistöckigen hölzernen Vorbau, beschattet von zwei uralten Linden, die ihre Aeste weit über das Dach strecken, wird von seinem jetzigen Besitzer, einem Nachkommen des Andreas Hofer, in der alten, schmucklosen Einfachheit erhalten. In der oberen Stube zeigt man Hofer’s großen, schwarzen Tirolerhut, seinen kurzen Stock, seinen breiten, reich gestickten Ledergürtel, sowie seinen letzten, vier Stunden vor der Erschießung geschriebenen Brief aus Mantua, darinnen die denkwürdigen Worte vorkommen: „Ade, meine schnöde Welt, so leicht schwebt mir das Sterben vor, daß mir nit die Augen naß werden.“ Auf den Bergen gegenüber liegt die Sennhütte, in welcher sich Hofer vor den Franzosen verborgen hielt.

Ueber Salthaus und dessen stolzen Banketsaal, der den bescheidenen Namen „Gaststube" führt und von feinen Erkerfenstern aus einen entzückenden Blick hinunter in das Passeyer Thal gewährt, ließe sich mancherlei Schönes berichten; aber vorbei an wilden tief einschneidenden Schluchten, über primitive Holzbrücken, unter denen kleine Gebirgsbäche dahinbrausen, zur Rechten hoch oben das gewaltige Schloß Auer, begrüßte ich die ersten Weingärten, welche sich in Terrassen die Gehänge der Berge hinaufziehen und zwischen deren Weinmauern ich nun hinschlenderte, bis sich der Weg von den Höhen der Berge hinab senkt nach Meran, das hier durchaus den Eindruck einer mittelalterlichen befestigten Stadt macht. Der alte, feste, mit dem Stadtwappen geschmückte Thurm des Passeyer Thors, durch welchen die Straße hindurchführt, die verwitterten Stadtmauern, die Häuser, welche hoch aus dem Flusse aufsteigen, die Passer, welche wie ein tiefer Festungsgraben diesen Theil Merans umfließt, der alte verfallene Wartthurm auf dem Hügel vor dem Thore halb versteckt zwischen Weingärten – alles dieses erinnert an die Zeiten des Mittelalters, da noch die Stadt mit dem Ritteradel des Etsch-Thales in steter Fehde lag.

Und so schritt ich denn nun hin durch die meist winkligen und schiefen Straßen der alten Stadt. Schon die Bauart der Häuser zeigte, daß ich jenseits der Alpen sei. Ueberall machten sich meinem nordischen Auge die breiteren Wandflächen, flacheren Dächer, kleinen unregelmäßigen Fenster und weiten Thüröffnungen bemerkbar. Auch das Leben auf den Straßen fand ich schon viel bunter, mannigfaltiger, öffentlicher, als bei uns. In den Laubengassen der Stadt spannen die Weiber und lagen leichtbekleidete Bursche in träger Ruhe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 144. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_144.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)