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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

an diesen Wassergebilden (Sedimentär- oder Schichtgebilden) die folgenden fünf Epochen oder Zeitalter, und in jeder Periode trifft man nach Häckel’s geistreicher genealogischer Hypothese die thierischen Urahnen des Menschen in anderer, sich fortwährend veredelnder Gestalt.[1]

1) Die Primordialzeit, das Zeitalter der Schädellosen und Tangwälder (archäolithische oder archäozoische Schichtengruppen), dauerte viel länger als alle übrigen Zeiträume zusammengenommen; ihre Schichten sind gegen siebenzigtausend Fuß dick und bilden drei mächtige neptunische Systeme:

das laurentische System (ältere Primordialzeit) mit Labrador (kieselsaurer Thon- und Kalkerde mit etwas Natron) und der Ottawaformation, dreißigtausend Fuß dick, oben aus Kalkstein mit Kalkschalen von Wurzelfüßern (Rhizopoden) und canadischen Morgenroththierchen, unten aus Gneiß, Quarzit, Conglomerat und körnigem Kalkstein;

das cambrische System (mittlere Primordialzeit), von achtzehntausend Fuß Dicke, aus ober- und untercambrischen Schichten, welches die tiefsten Grauwackenglieder umfaßt, mit Thonschiefer, dem Kalkstein folgt, beginnt und mit Sandsteinen von hellerer Farbe schließt;

das silurische System (neuere Primordialzeit), von zweiundzwanzigtausend Fuß Dicke, aus ober-, mittel- und untersilurischen Schichten mit glimmerreicher Grauwacke, schwarzem Schiefer, mit plattenförmigen, kieseligen Sandsteinen und dunklen Kalksteinen.

Die Primordialzeit enthält in den cambrischen und silurischen Schichten deutlich erhaltene Versteinerungen (besonders von Kreidethierchen, Foraminiferen), welche aber alle beweisen, daß damals noch kein landbewohnender Organismus vorhanden war. Neuerlich sind (von Logan im Jahre 1865) auch in der untersten oder laurentischen Schicht (Ottawaformation) Reste eines Organismus gefunden und „canadisches Morgenwesen, Eozoon canadense“, oder Morgenröthethierchen benannt worden, weil mit ihm für die Wissenschaft die Morgenröthe des Lebens auf Erden beginnt. Zur einfachsten Thierform gehört dieses Thier aber ebenso wenig, wie die Wurzelfüßer (Rhizopoden), weil es schon mit einer kalkigen Hülle oder Schale umgeben ist, während die einfachsten Thiere (die Urthiere, Protozoen, Moneren) nur Schleim- oder Plasmaklümpchen ohne Schale sein konnten. Auch finden sich in den tiefsten dieser Sedimentärschichten Ueberreste eines organischen Körpers, von dem man nicht ganz genau weiß, ob er Thier oder Pflanze war; letzteres ist das Wahrscheinlichere. Dieses Wesen heißt Oldhamia und ähnelt der Blume des Löwenzahn. – Alle Pflanzenreste, welche aus der Primordialzeit stammen, sind zarte Zellenpflanzen und gehören zu den niedrigsten von allen Pflanzengruppen, zu der im Wasser lebenden Classe der Tangen oder Algen. Sie bildeten im warmen Urmeere mächtige Wälder (von Seetang, Seegras) und besaßen eine lederartige Beschaffenheit, waren von bräunlicher oder rother Färbung, ohne Blätter und Blüthen, und schwammen frei im Wasser herum. – Auch die Thiere dieser Periode lebten nur im Wasser; es waren Krebsthiere (Trilobiten, den Kellerasseln ähnlich und die ältesten Krebse); Urfische, welche sich aus den Krustenthieren hervorentwickelten und den Haifischen und Schildkröten ähnlich sahen (Cephalaspiden und Cölacanthinen); Schädellose (Akranien, kopflose Wirbelthiere, unserm heutigen Lanzetthiere verwandt); Unpaarnasen (den heutigen Lampreten ähnlich). Neben diesen: die einfachsten Urthiere (Moneren, Amöben), Infusionsthiere, Weich- und Sackwürmer (Seescheiden), wurmartige Graptolithen, Strahlthiere (Echinosphäriten), Polypen (Haarsterne), Mollusken (Muscheln und Schnecken). Für die silurische Formation sind die merkwürdigen Graptolithen ganz charakteristisch, welche einem spiralförmig aufgerollten Sägeblatte gleichen.

In der Primordialzeit, als sich das organische Material zum Aufbaue des menschlichen Organismus, höchst wahrscheinlich durch Urzeugung aus unorganischen Stoffen (Erde), hervorgebildet hatte, erschienen die allerältesten Vorfahren des Menschen, wie überhaupt aller andern (besonders thierischer) Organismen, als Moneren (Protoplasma-Klümpchen), wie sie heute noch existiren. Aus ihnen gingen einzellige Urthiere (einfache Amöben) und aus diesen (durch wiederholte Selbsttheilung und bleibende Vereinigung dieser Theilungsproducte) vielzellige Urthiere (Synamöben, Amöbengemeinden) hervor, welche letztere zur Entwickelung von Flimmerschwärmern (Opalinen, Magosphären) und mundführenden Wimperinfusorien (mit einfachem Darmcanal) die Veranlassung gaben. Aus den bewimperten Infusionsthieren stammten dann als menschliche Vorfahren: zunächst Strudelwürmer (Turbellarien) mit der ersten Bildung eines Nervensystems, der Augen, eines Verdauungs- und Fortpflanzungs-Apparates; aus diesen: Weichwürmer (mit Athmungs-Apparat, Kiemenkorb) und Sackwürmer (Seescheiden). Die letzten beiden Vorfahren sind ausgestorben und überbrückten die tiefe Kluft zwischen den Wirbellosen und Wirbelthieren, in deren Bereich die menschlichen Vorfahren jetzt eintreten und zwar als Schädellose (Lanzetthiere, Amphioxus) ohne Gehirn, aber mit entwickeltem Rückenmarke und Rückenstrang, sowie mit Trennung der beiden Geschlechter. Die diesen folgenden ersten Schädelthiere, aber mit dem unvollkommensten Gehirn, denen der Mensch sein Dasein verdankt, sind die Unpaarnasen (Rundmäuler: Lampreten, Inger), welche in die Urfisch-Ahnen (mit Haifischähnlichkeit), durch Theilung der unpaaren Nase in zwei paarige Seitenhälften und Bildung zweier Beinpaare (Brust- und Bauchflossen), übergingen.

2) Die Primärzeit, das Zeitalter der Fische und Farnwälder (paläolithisches oder paläozoisches Zeitalter), mit mächtigen Schichten und einer Dicke von gegen zweiundvierzigtausend Fuß, zerfällt:

in das devonische System (ältere Primärzeit) mit Schichten aus Kalk, Mergel und Sandstein, welche ihrer dunkelrothbraunen Farbe wegen (in England) auch Altrothsand, alter rother Sandstein genannt werden. In Deutschland findet sich dieser rothe Sandstein gar nicht entwickelt und dafür Grauwacke mit hellfarbigen Kalksteinen und verschiedenen Thonschichten. Das devonische und silurische System zusammen werden auch als Uebergangsgebirge (Werner) oder als (ältere und jüngere) Grauwackenbildungen bezeichnet;

in das carbonische System (mittlere Primärzeit) mit Steinkohlen, Kohlenkalk und Kohlensand. Dieses System besteht aus Kalksteinen, Thonschichten (Kohlenschiefer oder Schieferthon) und (Kohlen-) Sandsteinen, welche die Kohlenlager in der verschiedensten Weise zwischen sich nehmen; die unterste Schicht bildet der hellfarbige hügelige Bergkalk und Culm (Kohlenkalkstein);

in das permische System (neuere Primärzeit) mit jüngerem rothen Sandstein (Roth- oder Todtliegendem), über dem Kohlen- und unter dem Kupfer- und Mergelschiefer; über letzterem der Zechstein (Stinkstein, Dolomit, Gyps).

Die Primärzeit ist reich an blüthen- und früchtelosen Landpflanzen und zwar an Farnpflanzen (echten Farnkräutern, Farnbäumen, Schaftfarnen, Schuppenfarnen, Schachtelfarnen). Sie bildeten die Hauptmasse der dichten Inselwälder und ihre fossilen Reste sind als Steinkohle bekannt. – Von Thieren besitzt diese Periode einen großen Reichthum an Fischen: Ur- und Schmelzfischen von Haifischform mit dicken Panzern aus Knochen- und Hornplatten und mit Höckern und Stacheln; Flügelfischen mit gepanzertem Körper und Flügeln; Lurchfischen (jetzt Molchfischen); Kiemenlurchen (jetzt Olm, Oxolotl), Schwanzlurchen (jetzt Wassermolchen). Von landbewohnenden Thieren gab es Gliederthiere (Spinnen und Insecten) und einige Wirbelthiere (Amphibien und Reptilien), welche unseren Eidechsen nahe verwandt sind. Der Proterosaurus war ein eidechsenartiges Reptil, der Archegosaurus eine froschähnliche Eidechse. Jetzt scheint überhaupt der Anfang einer Umbildung des fischähnlichen Körpers zu einem amphibienartigen stattgefunden zu haben, nachdem sich die Wirbelthiere aus den Mantelthieren (mit einem knorpligen Rückenstrange, der ersten Anlage der Wirbelsäule) hervorentwickelt hatten. – Die Trilobiten starben in dieser Periode aus und bildeten die Uebergänge zu den Fischen (Cephalaspiden); der kolossale Pterigotus Angelicus, ein riesiger, mit furchtbaren, wie Fischkiefer gezähnten Scheeren bewaffneter


  1. Ueber Häckel’s hypothetischen Stammbaum des Menschen spricht sich Darwin so aus: „Wenn wir die Genealogie des Menschen abwärts in der Thierreihe verfolgen, so kommen wir auf immer dunklere Gebiete der Wissenschaft. Wer hier zu erfahren wünscht, was Scharfsinn und Kenntnisse hervorbringen können, mag die Schriften Professor Häckel’s zu Rathe ziehen.“ – Von Häckel’s „natürlicher Schöpfungsgeschichte“ sagt Darwin: „Wäre dieses Buch erschienen, ehe meine Arbeit niedergeschrieben war, so würde ich sie wahrscheinlich nie zu Ende geführt haben; fast alle die Folgerungen, zu denen ich gekommen bin, finde ich durch diesen Forscher bestätigt, dessen Kenntnisse in vielen Punkten viel reicher sind als meine.“
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 154. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)