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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

jenes großen Nachtheils dieser Jagdweise, der darin besteht, daß er den Jäger fast zur Unbeweglichkeit zwingt und es ihm unmöglich macht, die verschiedenen Bewegungen des Raubthiers zu verfolgen. Auch giebt es alte Löwen, die schon so gewitzigt sind, und nicht mehr in die Nähe eines Silo kommen. Gérard nahm also seinen Standpunkt im Freien, dort erwartete er den durch den Ziegenschrei herbeigelockten Löwen. Seine gute Waffe und große Schützenfertigkeit verlieh ihm eine ganz andere Zuversicht, als sie die Araber je haben konnten. Nicht nur war er seines Schusses gewiß, wenn er nur den Löwen recht zu Gesicht bekam, sondern er konnte auch hoffen, ihn augenblicklich zu tödten. Er war nämlich im Besitz der sogenannten „Balle Decisme“, einer Explosionskugel, die eigens für solche Fälle von dem Pariser Büchsenmacher, dessen Namen sie führt, erfunden worden war. Diese Erfindung war nothwendig geworden, da man beobachtet hatte, daß selbst der tödtlich getroffene, aber durch eine gewöhnliche Kugel verwundete Löwe nicht auf der Stelle stirbt, sondern in den meisten Fällen noch eine halbe, oft eine ganze Minute lebt und die Kraft behält, um auf seinen Verwunder loszuspringen, auf dessen Körper er dann freilich bald verendet, aber nicht ohne ihn fürchterlich zerfleischt oder selbst getödtet zu haben. Die Bewegungen des Löwen sind nämlich sehr rasch; seine Sprünge namentlich, die er oft auf sechszig Fuß Entfernung macht, erfolgen mit Blitzesschnelle. Der Jäger darf ihn aber nicht aus größerer Entfernung schießen, denn die Jagd findet bei Nacht und oft bei schlechter Mondbeleuchtung statt. Aus so großer Nähe hat Gérard fast alle die von ihm erlegten Löwen geschossen. Der tollkühne Nimrod dachte dabei, wie er selbst erzählt: „Der Löwe oder ich!“ Jedesmal wagte er sein eignes Leben, denn ein Fehlschuß, und hier war selbst ein Schuß, der ein anderes Thier tödten konnte, oft ein Fehlschuß, kann selbst dem erprobtesten Schützen vorkommen.

Auf diese lebenverachtende Weise jagte Gérard und erlegte während seiner langen Jägerlaufbahn etliche zwanzig Löwen, die größte Zahl, die bis jetzt überhaupt ein Löwenjäger in Nordafrika geschossen, eine Zahl freilich, die den überspannten Begriffen der Liebhaber haarsträubender Jagdgeschichten sehr erbärmlich vorkommen mag. Aber den Arabern kam sie nicht erbärmlich vor. Zwanzig Löwen weniger waren ein solcher Gewinn, daß sie Gérard nicht genug danken konnten dafür, daß er sie von dem Verwüster ihrer Herden befreit hatte. Sie verehrten ihn fast wie ein übernatürliches Wesen, einmal seines Muthes, den sie nur einer göttlichen Inspiration zuschrieben, dann seiner nie ihr Ziel verfehlenden Waffen wegen, deren überraschende Eigenschaften sie natürlich mit ihm selbst in Verbindung brachten und für einen wunderwirkenden Kraftausfluß dieses außerordentlichen Mannes hielten.

Diese Art der Löwenjagd, wie sie Gérard betrieb, fand freilich unter den Jagdrenommisten keine Nachahmer, am allerwenigsten unter den die Jagd nur so nebenbei und zwar lediglich der interessanten Reiseeindrücke halber betreibenden Touristen. Wenn diese Herren auch noch so sehr nach Löwenblut dürsten und gewaltsame Aufregungen erstreben, so halten sie es doch für sicherer, das Bestehen von Lebensgefahren lediglich in ihren Erzählungen abzumachen. Den anderen Sterblichen, die nicht aus dem Renommiren und Erzählen von nie erlebten Jagdabenteuern ein Geschäft machen, wollen wir es freilich nicht verübeln, wenn sie Anstand nehmen, ihre Haut à la Gérard zu Markte zu tragen. Gérard hat in Wirklichkeit bis jetzt nur zwei Nachahmer gefunden, welche dieses Namens werth waren. Der Eine war Chassaing, ein Löwenjäger, der noch lebt und alljährlich die arabischen Stämme von einigen jener unangenehmen Gäste befreit; den Anderen, den vielleicht noch muthigeren und alle Löwenjäger an Todesverachtung überragenden Sohn der Alpen des Dauphiné, Bonbonnel, können wir freilich nur insofern einen Nachfolger Gérard’s nennen, als er dessen Jagdmethode befolgt, wiewohl er ein anderes Raubthier zu seiner Beute ersehen hat.

Dieses Raubthier ist der Panther, ein in Wirklichkeit nicht minder gefährliches Thier als der Löwe, dessen Jagd ganz dieselben „Aufregungen“ bereiten kann, wie jene, obwohl es in Europa lange nicht so viel Effect macht, wenn man sich „Pantherjäger“ nennt, als wenn man vorgiebt, „Löwentödter“ zu sein. Der Panther steht bei dem europäischen Publicum offenbar in Ungnade. Man stellt sich darunter ein kleines unscheinbares Thier vor, nicht viel besser, als eine wilde Katze, und man denkt deshalb von der Pantherjagd mit entsprechender Geringschätzung. Wie oft ist mir nicht geschehen, daß, wenn die Leute mich fragten: „haben Sie Löwen gejagt?“ und ich ihnen antwortete: „nein, aber Panther,“ sie sich mit einer geringschätzigen Pantomime von mir wendeten, als wollten sie sagen: „Wenn’s weiter nichts ist!“

Daß ein Panther ein ebenso kräftiges, oft selbst ebenso großes Thier sein kann, wie mancher Löwe, ahnen unsere Hasenjäger freilich nicht. Was sie von dem Thierreich wissen, stammt aus veralteten Schulbüchern, von Leuten geschrieben, die nie ein Raubthier, außer allenfalls in Menagerien, gesehen haben. Die Panther in den Menagerien sind allerdings manchmal recht klägliche Exemplare. Zudem hat gerade der Panther viele Abarten und Spielarten, sehr verschieden an Kraft und Größe, von denen nur die kleineren und schwächeren in unseren Menagerien zu figuriren pflegen.

Einen algierischen ausgewachsenen Panther hat man noch nie lebendig gefangen, und doch ist gerade der algierische Panther sehenswerth. Er ist der König dieser Thiergattung, die weit mehr Mannigfaltigkeit aufweist, als die Löwen- und Tigerarten. Er ist größer, kräftiger, schöner und, wie man sagt, auch listiger, als der asiatische und südamerikanische Panther. Ein algierischer Panther wiegt oft zwischen zwei- und dreihundert Pfund, zuweilen noch mehr, und dennoch bewegt er sich mit einer Leichtigkeit, die kaum glaublich ist. Trotz dieses großen Körpergewichts macht er Sprünge von dreißig bis vierzig Fuß mit einer Elasticität der Sprungkraft, wie sie kein gleich großes anderes Thier besitzt. Bonbonnel, der einmal das Unglück hatte, von einem angeschossenen Panther niedergeworfen zu werden, vergleicht das auf den Jäger springende Raubthier mit einer Locomotive, die, aus dem Geleise gebracht, auf einen Menschen fallen würde. Dabei ist der Panther ganz ebenso blutdürstig wie der Löwe. Seine Instincte sind sogar noch ein gut Theil grausamer, denn der Löwe zerfleischt gewöhnlich nur das eine Thier, das er fressen will. Der Panther dagegen findet im Morden selbst seine Lust und, wenn auch nur ein einziges Thier seinen Fraß bildet, so fallen doch immer viele in jeder von ihm überrumpelten Heerde seinen mörderischen Klauen zum Opfer. Es ist, als sei er zum Henkeramte wie abgerichtet. Ein Griff seiner Tatzen an den Hals des Thieres und dieses ist todt. Oft gehen die Thiere nur mit einer einzigen Wunde aus den Klauen des Panthers hervor, aber diese Wunde ist tödtlich. Wie ein rothes Halsband umgiebt die tödtliche Wunde den Hals des erwürgten Thieres. Dieses Halsband ist das sicherste Zeichen, daß ein Panther und nicht etwa ein anderes Thier der Erwürger war; denn der Panther weiß seine Sprünge, oft aus großer Entfernung, stets so einzurichten, daß seine Tatzen beim Ueberfall sich zuerst um den Hals des Opfers legen. Namentlich im Schinden anderer Thiere besitzt er eine Fertigkeit, die den Neid eines erfahrenen Schlächters erregen könnte. Einmal zeigte man mir den Leichnam einer Ziege, die eine Stunde vorher von einem Panther überfallen worden war. Man hatte das Raubthier gestört, noch ehe es Zeit gehabt, die Ziege zu verzehren. Kaum eine Minute hatte es die Ziege in seiner Gewalt gehabt, aber diese Minute hatte ihm genügt, um der armen Meckerin das Fell vollkommen vom Körper zu ziehen und zwar so geschickt, daß das Fell unzerrissen und der hautlose Körper unverletzt war. Ein Schlächter, der das Fell verkaufen wollte, hätte es nicht geschickter machen können.

Da der Panther eine größere Zahl ist, als der Löwen, und da dieses Thier nicht nur einen ebenso starken Appetit entwickelt, wie der König der Thiere, sondern auch noch im zwecklosen Zerreißen vieler Opfer seine Lust findet, so ist der Schaden, den es den Arabern an ihrem Viehstand anrichtet, ein ganz ungeheurer. Dennoch wagen sich die Araber nur in den allerseltensten Ausnahmefällen an die Pantherjagd. Das Thier ist dem Löwen an List überlegen. Er merkt die Nähe des Menschen viel eher und weiß ihr zu entgehen. Eine Massenbetheiligung an der Pantherjagd ist deshalb ganz unmöglich. Der Panther, den man auf die oben beschriebene Art bei Tage jagen, aus seinem Versteck aufstören und „treiben“ wollte, macht alle List und Berechnung des Aufspürens zu Schanden. Er ist nur bei Nacht und nur vom einzelnen Jäger zu jagen.

Nur wenn der Panther sehr hungrig ist, wagt er sich in die Nähe der Menschen. Dann fällt er selbst in Dörfer ein, sogar in europäische Colonistendörfer, was für ihn ganz andere Gefahren

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_158.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)