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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Doch wir wollen dem Wiener Einsiedler seine Mißstimmung und Verbitterung nicht verargen, auf welche selbst die Ernennung zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften und dann zum lebenslänglichen Mitglied des Herrenhauses keine heilkräftige Wirkung ausübte. Wer ihn in seiner hochgelegenen Klause besuchte, wer die für einen Norddeutschen ungewohnten vier oder fünf Treppen in die Höhe geklettert war, der sah hinter dem Pult einen alten Herrn, der zunächst den Eindruck eines kleinen Beamten machte, aus welchem der begeisterte Anhänger vielleicht anfangs Mühe hatte, den großen Dichter heraus zu finden. Dennoch entdeckte man bald etwas Feinsinniges in seinen Zügen und das Auge verrieth den Lyriker; es lag eine sanfte Schwärmerei in demselben. Die Lippen hatten sinnliche Fülle, die vortretende Unterlippe etwas Habsburgisches. Man wurde daran erinnert, daß dieser Dichter sowohl in dem Capua der Geister lebte, als auch das Geheimniß der Habsburgischen Hauspolitik, die Einheit des Kaiserreichs, mit schlagender Prägnanz ausgesprochen hatte in dem bekannten Radetzkyhymnus: „In deinem Lager ist Oesterreich“.

Ich weiß nicht, ob Sie nach der Lectüre von Grillparzer’s dramatischen Schriften die innige Sympathie, die tiefe Verehrung für den Dichter empfinden werden, wie sie an der Donau sich, wir möchten sagen, in einer so großartigen Massenbewegung ausgesprochen hat; es ist möglich, daß Sie in der Entwickelung des Dichters den geistigen Faden und die Tiefe einer originalen Weltanschauung vermissen werden, welche diese in Form und Farbe so verschiedenartigen Schöpfungen, die antiken und spanisch-romantischen Dichtungen, wie die Haupt- und Staatsactionen aus der österreichischen Geschichte zusammenhält; doch Sie werden von der dichterischen Grazie der „Sappho“, von der tragischen Energie der „Medea“, von der sinnreichen Phantastik des Stücks: „Der Traum ein Leben“ den Eindruck eines edlen und schönen Talents erhalten, und auf das Grab dieses Dichters „an der blauen Donau“ gern einen Kranz aus den Rosengärten der Ostsee legen.




Eine Heilstätte in den Alpen.


(Schluß.)


Wenige der alten Rittersitze, welche die Umgebung Merans und das nahgelegene Etschthal schmücken, sind noch in bewohnbarem Zustande oder von reichen Privatleuten ausgebaut worden, wie das wundervoll an der Naif gelegene Schloß Trautmannsdorf, welches, in einem Haine der herrlichsten Südgewächse gelegen, sehenswerthe Kunstschätze und eine hervorragende Sammlung antiker Waffen enthält. Die meisten Burgen sind verfallen und oft hat sich in ihr Trümmerwerk

Die Zenoburg.

ein Bauernhaus eingenistet mit weit vorspringendem, steinbeschwertem Schindeldach, die Giebel und Treppengeländer mit Maiskolben behangen. Kein Becherklang ertönt mehr in den Hallen, kein glänzender Jagdzug lenkt mehr hinab zu Thal, der Hofraum ist öde und still und über das verwitterte Gestein schlüpfen die Schaaren zierlicher, klugblickender Eidechsen hinweg.

Bekannt aus den Meraner Novellen Paul Heyse’s ist das romantische, düstere Schloß Planta, mit dessen Abbildung wir gewiß vielen Freunden und Verehrerinnen des genannten Dichters einen Gefallen erweisen. Im Viereck ragt die Schloßruine hoch auf; die runden Thürme sind von Epheu dicht umrankt, der sich in mächtigen Stämmen hoch hinauf bis zur Spitze des Daches gezogen hat. Nußbäume wachsen an den verfallenen Umfassungsmauern und beschatten den öden Schloßhof. Wüst und verwildert liegt die alte Epheuburg melancholisch in dem Düster finsterer Tannen, ein Bild der Vergänglichkeit, ein Asyl der weltvergessenen Einsamkeit. Als ich von dem bei Obermais gelegenen Schloß Planta wieder auf das rechte Ufer der Passer wollte, auf dem ja auch Meran liegt, passirte ich die Römerbrücke, welche sich hier am Fuß der gegenüberliegenden Zenoburg in hohem, kühnem Bogen über den in engem Bette hinbrausenden Fluß spannt. Die Zenoburg, auf einem steil aus der Passeyer Schlucht sich erhebenden Felsen thronend, ist nicht allein ihrer Lage wegen sehenswerth. Sie ist die Geburtsstätte einer Frau, deren Name in der Geschichte fast verrufen genannt werden kann, während er im Volke noch heute nicht ohne neckische Popularität ist. In der Zenoburg ward nämlich die Gräfin von Tirol, Margarethe Maultasch, geboren, die ihren sonderbaren Namen übrigens nicht von ihrem weiten und unförmlichen Munde hatte (von Einigen wird Margarethe Maultasch sogar als schön gepriesen), sondern von ihrem Schloß Maultausch in Tirol. Berüchtigt ist ihre erste Ehe mit dem böhmischen Prinzen Johann, dessen Apathie freilich nicht zu dem stolzen, aufgeweckten, feurigen und drangvollen Geiste Margarethens paßte. Nach dem Tode ihres zweiten Gemahls und ihres eignen Sohnes trat sie bekanntlich die Grafschaft Tirol an die Herzöge von Oesterreich ab und zog sich nach Wien zurück, wo sie schon wenige Jahre später starb.

Die Zenoburg liegt vor dem Passeyer Thor, durch welches zuerst ich die Straßen Merans betrat. Wenn ich übrigens am Anfange meiner Mittheilungen die Häuser der Stadt alt und alterthümlich nannte, so ist damit nicht anzunehmen, daß moderne Bauten vollständig fehlten. Im Gegentheil befinden sich zahlreiche neuerbaute Hôtels und Pensionen in nächster Nähe, theilweise sogar innerhalb der Stadt, während wahrhaft luxuriöse Gebäude, Schlösser und Villen wie über Nacht entstehen, die umliegenden Höhenzüge und Bergzüge.zu schmücken. Trotz der mannigfachen Neubauten fand ich jedoch an einfachen und einzelnen Zimmern immer noch einen großen Mangel. Während meiner Anwesenheit forderte man für solche fünfzehn bis vierzig Gulden per Monat. Letzterer Preis –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 164. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_164.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)