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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

und Ernst, mit Wissenschaft und Satire bekämpfen zu müssen – lauter Dinge, gegen die der Tiroler entweder äußerst empfindlich oder äußerst gleichgültig ist. Im letzteren Falle ärgert sich der Fremde über den Eingeborenen, im ersteren der Eingeborene über den Fremden – in beiden Fällen aber bleiben selbst die nachhaltigsten Expectorationen fruchtlos und endigen meist mit noch nachhaltigerer Verstimmung.

Die Einigkeit ist also in dieser Beziehung nicht besonders groß, was schon der Umstand beweist, daß von siebzehn Vereinen, deren sich einst Meran zu erfreuen hatte, nur noch drei am Leben sind, unter welchen – natürlicher Weise – der katholische Gesellenverein der größte und blühendste ist. Selbst der constitutionelle Verein, der doch, wie man uns versichert hat, aus Vertretern der höheren Intelligenz besteht, ist dem Erlöschen nahe, da sogar in diesem Vereine die Ansichten sehr disharmonisch auseinandergehen sollen.

Und, da denn doch einmal von der „höheren Intelligenz“ die Rede war, so mag zum Schlusse des mächtigsten Bildungsmittels unserer Zeit gedacht werden, der Presse, welche in Meran durch ein vor fünf Jahren gegründetes und wöchentlich zweimal erscheinendes Journal vertreten ist: „Die Meraner Zeitung“. Ihre Gründung verhalf auch der Stadt Meran zu einer Druckerei, nachdem bisher Gutenberg’s schwarze Kunst an den Ufern der Passer keinen Jünger gefunden und Alles in dem benachbarten Bozen hatte gedruckt werden müssen. Der Drucker der „Meraner Zeitung“ ist ein Preuße, ein Kölner Kind, und geht selbstverständlich mit den Liberalen Hand in Hand. Das hat aber in Meran seine Schwierigkeiten, und so hat es denn die „Meraner Zeitung“ noch nicht über ein paar hundert Abonnenten gebracht. Ja, es will sich nicht einmal recht ein Redacteur mehr dazu finden; denn alle an diesem Blatte beschäftigten Schriftsteller verließen dasselbe schon nach wenigen Wochen wieder, die Unmöglichkeit eines Erfolges einsehend. Trotzdem aber ist die Druckerei, da sie keine Concurrenz zu bestehen hat, eine wahre Goldgrube; denn sie liefert eine Menge anderer Drucksachen, in deren Wahl sie so wenig schwierig ist, daß sie neben liberalen die unbefleckte Empfängniß bestreitenden Broschüren ebenso gut gottselige Heiligenbilder druckt – aber das geht eben nicht anders in dem priesterbegnadeten Lande der katholischen Glaubenseinheit.




Blätter und Blüthen.


Tractätchen auf der Landstraße. Vor einiger Zeit kehrte ich an einem Nachmittage von einem meiner täglichen Spaziergänge auf der nach meinem Wohnorte führenden Landstraße zurück. Hinter mir her fuhr eine Kutsche, welche mich bald eingeholt hatte und neben mir angehalten wurde. In der Meinung, eine mir bekannte Person wünsche mich zu sprechen, näherte ich mich dem Wagen, bemerkte aber in demselben einen fremden Herrn, welcher mir ein mit zierlichem Umschlag versehenes Büchlein darreichte. Noch bevor ich irgend eine Frage an den Unbekannten zu richten Zeit gewann, hatte der Kutscher die Pferde schon wieder in Trab gebracht, so daß ich nicht einmal den flüchtigen Abschiedsgruß des Fremden erwidern konnte.

Verwundert über die seltsame Gabe, fiel mir zunächst die in großem Druck ausgeführte Aufschrift des Umschlages „Hier hast Du das rechte Ganze, das lies“ in’s Auge. Im ersten Augenblick glaubte ich, daß entweder Herr Joh. Hoff in Berlin oder der Gesundheitsrath und Meister der Hygiene, Jacobi, es für nöthig erachtet hätte, sich außer der Zeitungsreclame auch noch auf diesem Wege der leidenden Menschheit bemerkbar zu machen. Ich hatte mich indeß getäuscht. – Die am untern Rande des Umschlags in kleiner Druckschrift befindlichen Zeilen belehrten mich, daß das kleine Werk von einer Tractatgesellschaft herausgegeben sei. Ein Landmädchen, eine Milchfrau und ein Handwerksbursche, welchen Personen ich auf derselben Straße begegnete, lieferten mir den Beweis, daß der freundliche Verleiher von Tractätchen auch Anderen diese Ueberraschung hatte zukommen lassen. Freilich wohl hatte derselbe, wie man mir mittheilte, seinen Wagen neben den übrigen Empfängern nicht anhalten lassen, vielmehr im Vorüberfahren die „Himmelsspeise“ herausgeworfen. Am meisten wunderte ich mich darüber, daß diese „Lectüre der Frommen“, welche man früher nur an Kirchenthüren, bei Missionspredigten und von sehr bescheidenen, zu Fuße wandernden Colporteuren erhielt, nunmehr vom Kutschersitz herab gespendet wurde. Gewiß giebt es manchen Leser der Gartenlaube, welcher bis dahin ein Tractätchen, dieses unscheinbare Product der Presse, kennen zu lernen keine Gelegenheit fand. Einige Proben davon aus dem erhaltenen mir vorliegenden Büchlein werden vollkommen genügen, sich über das Wesen und den Charakter der Tractätchen im Allgemeinen zu unterrichten. – Seite 13 desselben enthält den Anfang einer Predigt von I. G. Brastberger über das Thema: „Der Zustand der Seelen, die beinahe selig würden und doch durchfallen“. „Hinaus,“ ruft der Prediger im Beginn seiner Rede, „hinaus von aller verderblichen Gesellschaft und ungeistlichen Gewalt! Hinaus vor das Thor der abtrünnigen Stadt, wo die Sünde herrscht, aus dem verkehrten Sodom! Hinaus aus der Gemeinschaft mit solchen klugen Christen, die sich bereden, man könne zu Jerusalem tanzen, springen, Komödien spielen und besuchen, faules Geschwätz treiben und doch Christum lieb haben! Hinaus aus dem Lager der politischen Religion, da man Gott also dient, daß es den Satan nicht verdrießt“ etc. Den Schluß der Predigt bilden auf Seite 24 folgende Verse:

Ach was hilft’s, beinahe selig werden,
Und beinah’ ein Christ zu sein!
Besser wär’ es, nicht gelebt auf Erden,
Als nur halb ein Christ zu sein.
Wer vermag den Jammer auszusprechen,
Wenn sich Gott an Sündern einst wird rächen?
Wer wohnt bei der ew’gen Gluth?
Wer verträgt der Höllen Gluth?

Keine Wohnung willst du dem dort geben,
Der dir hier sein Herz versagt,
Ja, er soll auch niemals sehn das Leben,
Dies ist, was dein Mund uns sagt.
Du klopfst hier an, dort wird er anklopfen;
Doch umsonst, auch nicht ein Wassertropfen,
Kein Wohnort wird ihm zu Theil,
Keine Gnade und kein Heil.

Hierauf folgt eine kurze Erzählung mit der Ueberschrift „Eine stille Hochzeit“, deren Inhalt ich hier ebenfalls in Kürze mittheile.

Pfarrer Barth in Möttlingen war von schönen Festen in Basel, wobei man sich „in dem Herrn“ gefreut hatte, soeben heimgekehrt, als man ihn ersuchte, in seinem Filialorte eine Leichenpredigt zu halten.

Dort hatte eine Hochzeit stattgefunden, bei welcher Gelegenheit ein durch Tanzen erhitztes Mädchen, Barbara Todt, an die frische Nachtluft getreten war, augenblicklich aber zu Boden stürzte und im nächsten Augenblicke als Leiche fortgetragen werden mußte. Pfarrer Barth, welcher bisher über die wilden Hochzeitslustbarkeiten so oft schon geseufzt und gepredigt hatte, nahm nun Veranlassung, seine Gemeinde darauf aufmerksam zu machen, wie schauerlich es sei, aus dem Taumel der Lust abgerufen zu werden, und vor dem Richterstuhle des höchsten Richters Rechenschaft abzulegen. Seine Worte blieben nicht ohne Erfolg, und eine geraume Zeit hindurch fanden in seiner Gemeinde nur stille Hochzeiten statt. Später indeß fiel es wiederum einer Braut ein, bei ihrer Hochzeit Musikanten zu haben, und trotz einer von Seiten des Pfarrers Barth an das Brautpaar ergangenen scharfen und dringenden Mahnung wurde dennoch nach der kirchlichen Feier getanzt und gespielt.

Die Strafe blieb natürlich nicht aus und der Erzähler führt nun Folgendes an: „Doch siehe, noch waren keine drei Wochen vorüber, da erkrankte die junge Frau in der Nacht vom dreiundzwanzigsten auf den vierundzwanzigsten August am heftigen Fieber. Der Pfarrer, der schon am folgenden Tage zu ihr gerufen wurde, fand sie schon außer sich und konnte kein verständiges Wort aus ihrem Munde vernehmen. Am zweiten Tage, als der Pfarrer wieder kam, hatte im Nachbarhause die erste Brautjungfer sich gleichfalls gelegt, und am dritten Tage war auch die zweite Brautjungfer erkrankt, die Schwester der Braut, und der Pfarrer fand nun Beide neben einander in demselben Bette liegen. Den siebenundzwanzigsten August Morgens sieben Uhr starb die junge Frau, ohne vorher auch nur einen Augenblick zu sich gekommen zu sein. Am neunundzwanzigsten Nachts zwölf Uhr starb die erste Brautjungfer, gleichfalls besinnungslos, und am zweiten September Morgens halb fünf Uhr folgte ihr die zweite Brautjungfer. So lagen diese Drei neben einander auf dem Kirchhof, wie sie vor einigen Wochen neben einander in der Kirche gestanden! Doch die Heimsuchung hatte noch kein Ende. Eins um’s Andere legte sich nieder und Manche starben ohne Bewußtsein. Kein Haus blieb unverschont und eine Zeitlang hatte der Pfarrer täglich zwischen dreißig und vierzig Kranke zu besuchen. – Genug, der Herr hatte geredet; ob aber die Gemeinde darauf gehört? Leider konnte Pfarrer Barth nicht viel von gesegneten Wirkungen dieser Heimsuchung reden und mancher seiner Collegen zu Stadt und Land seufzt heute noch über den fürchterlichen Unfug, der bei Hochzeiten getrieben wird.“

Wir wollen uns an den gegebenen Proben muckerischer Heuchelei und religiöser Bornirtheit genügen lassen; hoffentlich aber ist die Zeit nicht mehr fern, wo alle Preßerzeugnisse dieser Art nur als „komische Literatur“ niedrigster Sorte gelesen, belacht und – in das nächste Feuer geworfen werden. Das Allerbeste wäre freilich, wenn sie überhaupt keinen Drucker und keinen Leser mehr finden würden.

     Ostpreußen.

J. A. D.




Eine Stätte der Pietät. Was Heinrich Heine gab und war, gehört der Welt, was sein Oheim Salomon, der noch heute unvergessene und in Wahrheit und Dichtung fortlebende, schuf und wirkte, gehört zum größten Theil der Stadt, die ihn, den Mittellosen, gastlich empfing und deren Schooß er sein Glück anvertraute, das wachsend von Tag zu Tag ihn erhob zum Reichsten der Reichen Hamburgs, der alten stolzen Hansestadt.

Er ist dahin – nur sein Wirken legt Kunde ab von dem, was er Hamburg gewesen, die Quadern des großartigen israelitischen Krankenhauses, im Andenken an seine Gattin gestiftet, die zahlreichen Pensionen, den hülfsbedürftigen Eltern bewilligt, den Kindern fortgespendet, halten seinen Namen in Erinnerung, – dahin auch der würdige Sohn und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 166. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_166.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)