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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

aus den Zügen, die eben noch wie zu Stein erstarrt schienen, in der nächsten Secunde stand Benedict bereits neben dem jungen Mädchen und legte schützend die Hand auf ihren Arm.

„Mein Fräulein!“ rief Ottfried, schwankend zwischen Zorn und Verlegenheit, „Sie geben meinen harmlosen Galanterien eine eigenthümliche Auslegung. Hätte ich ahnen können, daß Sie einen Scherz –“

„Genug!“ unterbrach ihn Benedict mit dumpfer, noch mühsam beherrschter Stimme. „Das Fräulein steht unter meinem Schutze. Verlassen Sie die Kirche, Graf Rhaneck!“

Ottfried wurde blaß vor Wut bei diesen im Tone eines Befehls ihm zugeschleuderten Worten.

„Herr Pater Benedict,“ Sie haben das seltene Glück, stets unangreifbar zu sein, und pochen darauf, wie es scheint. Früher schützte Sie das Gewand, jetzt der Ort, wo wir stehen. Hüten Sie sich, auch meine Geduld könnte ein Ende erreichen.“

Benedict trat dicht an ihn heran. „Sie werden dies Gewand und diesen Ort ehren, wenn Sie auch die Nähe einer Frau nicht zu ehren wußten. Noch bin ich Priester und ich weise Sie als solcher von der Schwelle meiner Kirche, sie dient nicht Ihrem Zeitvertreib.“

„Noch sind Sie es!“ Ottfried nahm seine Zuflucht zum Hohne, denn er wußte aus Erfahrung, daß diese Waffe den Gegner am schärfsten traf. „Ueben Sie nur ja noch heute Ihre Priestergewalt, es möchte das letzte Mal sein, daß man Ihnen erlaubt, im Namen der Kirche zu sprechen, die Sie in Ihren Predigten so unverantwortlich preisgaben, und die mein Oheim hoffentlich vor Angriffen zu schützen wissen wird.“

Die Lippen des jungen Priesters zuckten verächtlich. „Das Strafgericht des Prälaten kommt Ihnen wohl sehr gelegen, Graf Rhaneck? Lassen Sie den Hohn! Wir stehen hier auf geweihtem Boden, sonst –“ er vollendete nicht, aber der Blick, der die Worte ergänzte, machte Lucie zusammenschauern, das war wieder jenes furchtbare Auflodern, das sie einst im Tanze von der Seite des Grafen emporgeschreckt und von dem Ottfried spottend behauptet, „der Fanatiker wolle ihn damit in die fernste Tiefe schleudern.“ Jetzt flammte jener Blick wieder in dem dunklen Auge und die Tiefe – war nicht weit!

Ottfried mochte wohl fühlen, daß er in diesem Streite den Kürzeren ziehen werde, und zog es deshalb vor, ihn zu endigen. Er erklärte kurz und hochmüthig: „Wir sprechen uns noch, Herr Pater Benedict!“ und verließ dann wirklich die Kirche, erst draußen ließ er seinem Grimm die Zügel schießen. Der Wind hatte sich inzwischen gelegt, aber das Gebirge begann sich zu umschleiern. Tief und tiefer senkten sich die Wolken in’s Thal herab, während die höher gelegenen Berge schon in einer dichten Nebelschicht verschwanden. Der Graf blickte den Weg hinunter, es fehlte nur, daß jetzt auch noch dieser Günther erschien, um ihn zur Rede zu stellen! Wenn Ottfried ein solches Zusammentreffen auch nicht gerade fürchtete – als er Lucie hinabbegleitete, stand es ja jeden Augenblick zu erwarten – so wünschte er es doch jetzt noch viel weniger. Was blieb denn am Ende diesem Menschen gegenüber übrig, wenn er sich mündlich Unarten erlaubte, wie er es bereits schriftlich gethan! Fordern konnte man ihn doch nicht. Graf Rhaneck und der Sohn eines Unterförsters! Also that man am besten, die etwaige Begegnung zu vermeiden, besonders nach dem, was jetzt geschehen war. Mit einem erbitterten Blick nach der Kirche zurück wandte sich der junge Graf an den Meßner, der vor seinem Hause stand und nach dem Wetter sah. „Giebt es keinen Weg nach N. zurück, als diesen hier?“

Der alte Mann kam näher. „Gewiß, Euer Gnaden! Der Fußweg da bringt Sie in der halben Zeit nach dem Dorfe.“

Der Gebirgsbewohner dachte natürlich nicht daran, daß der Weg, den er stets mit solcher Gemüthsruhe ging, für die verwöhnten Füße eines Städters bedenklich sein könnte. Ottfried war aber nicht in der Stimmung, viel danach zu fragen, ob der Pfad bequem oder unbequem sei, er winkte dem Meßner mit der Hand einen vornehm nachlässigen Dank zu und verschwand zwischen den Felsen, in der angewiesenen Richtung.

Benedict war an der Seite des jungen Mädchens in der Kirche zurückgeblieben. Er hatte Recht, es war nur ein einfaches kleines Gotteshaus, gleichwohl hatte es die Andacht der armen Gebirgsbewohner mit Allem geschmückt, was ihren dürftigen Mitteln nur zu Gebote stand. Noch schwebte der Weihrauchsduft durch den dämmernden Raum, das trübe Tageslicht draußen fiel gedämpft durch die schmalen, längst erblindeten Kirchenfenster und hüllte Altar und Seitenpfeiler in ein mystisches Halbdunkel, während die Wölbung oben schon im tiefen Schatten verschwamm. Verblaßte Bilder, halbverwischte Inschriften ringsum an den Wänden, dazwischen Todtenkränze, reich mit Bändern und Flittergold aufgeputzt, und statt der Blumen, die der rauhe Herbst hier oben nicht mehr zu geben vermochte, frisches Immergrün zu den Füßen des Madonnenbildes. Ueber dem Hochaltar aber schwankte dunkelroth die Ampel mit dem ewigen Lichte, die Ketten, welche sie trugen, verschwanden im Dunkel der Wölbung, es sah aus, als schwebe ein großes glühendes Auge da oben, das unverwandt auf die Beiden niederblicke.

Der junge Priester hatte nicht gefragt, wie Lucie hierhergekommen und welcher Zufall sie allein mit dem Grafen zusammengeführt, ihm genügte es, daß dies Beisammensein ein erzwungenes war, und daß sie sich davor in seinen Schutz geflüchtet. Dies Wiedersehen riß ja ohnedies die letzte Hülle von der Wahrheit, die mit jeder Stunde, mit jedem Tage hier oben sich deutlicher vor ihm erhob, daß es umsonst gewesen war, all dies Fliehen und Kämpfen, daß er hier in der Ferne und Einsamkeit noch tiefer im Banne der Leidenschaft lag, als drunten im Stifte. Dies junge Wesen, das so gar nicht fähig schien, die Tiefen seines Innern zu verstehen oder auch nur zu ahnen, das mit seinen blauen Kinderaugen nur in eine Welt voll Sonnenschein und Freudenglanz blickte, dessen blumiger Weg so weit ab lag von der Bahn, die der finstere einsame Mönch von jeher gegangen, es hatte gleichwohl eine Gewalt über ihn errungen, vor der jede andere Empfindung machtlos zusammensank, vor der jede Willenskraft sich ohnmächtig beugte.

Lucie stand scheu und ängstlich neben ihm, sie ahnte freilich nichts von dem Sturme, der sich unter dieser kalten Verschlossenheit barg, aber sie hatte freier geathmet in der Gegenwart Ottfried’s, selbst da, wo sein Wesen sich ihr in seiner ganzen Widerwärtigkeit enthüllte. Die Empörung darüber rief ihren ganzen Trotz und Stolz wach, gezittert hatte sie vor ihm auch in jenem Augenblicke nicht, aber hier, in dem sichern Schutz des blassen strengen Priesters, da zitterte sie. Es gab nur ein Auge, das im Stande war, ihr Furcht zu machen, und das Auge war jetzt wieder auf sie gerichtet, und sie wieder in dem alten Bann.

Das leise Beben des jungen Mädchens entging Benedict nicht.

„Fürchten Sie nichts, mein Fräulein!“ sagte er fest. „Ich bleibe an Ihrer Seite, bis ich Sie in sicherer Obhut weiß. Der Graf wird Sie nicht weiter behelligen!“

Lucie hob unwillkürlich das Auge empor, es war etwas in seiner Stimme, was ihr Angst einflößte, und in seiner Miene fand sie denselben Ausdruck wieder, der sie in den Worten erschreckt hatte; stand doch eine tiefe drohende Falte auf seiner Stirn, die sie niemals dort gesehen.

„Es thut mir leid, daß Sie dem Grafen meinetwegen so feindlich gegenübertraten,“ sagte sie leise. „Er wird es Ihnen schwerlich verzeihen.“

Benedict lächelte verächtlich. „Beruhigen Sie sich! Die Feindschaft zwischen Graf Rhaneck und mir datirt nicht erst von heute. Er hat mich von jeher mit seinem Hasse beehrt!“

„Aber“ – Lucie stockte und sie konnte doch die Frage nicht zurückhalten – „was meinte er mit seinen räthselhaften Worten, es sei zu Ende mit Ihrer Priestergewalt? Wollen Sie nicht mehr Priester bleiben?“

Ein Ausdruck tiefster Bitterkeit überflog seine Züge. „Ob ich will? Meine Gelübde sind unauflöslich! Unsere Kirche giebt ihre Geweihten niemals frei, es ist nur die Frage, ob ich mich noch ferner zu ihnen zählen darf!

Erschreckt und fragend richteten sich die Augen des jungen Mädchens auf ihn, er schüttelte finster das Haupt.

„Meinen Sie etwa, ich hätte eine Todsünde begangen? Ich habe gepredigt, wie es mich die Begeisterung des Augenblicks und ein warmes Herz für meine unterdrückten Brüder lehrte, nicht wie Roms Kirche es vorschreibt. Das fordert Sühne, man hat im Stifte bereits über mich zu Gericht gesessen, ich weiß es! Ich habe nur noch mein Urtheil zu empfangen.“

„Und was kann man Ihnen denn anthun?“

„Alles!“

Lucie machte eine unwillkürliche Bewegung des Schreckens.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_171.jpg&oldid=- (Version vom 17.1.2018)