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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872)

Vom wiedergewonnenen Bruderstamme.
I.

Ich war in Nancy. Die Equipage eines meiner militärischen Freunde der preußischen Besatzung stand mir zur Disposition; durch sie und in ihr lernte ich die Umgegend kennen. Den Trainsoldaten als Kutscher auf dem Bock, erregte ich oft das Mißvergnügen der „braven Landleute“, die, nicht ahnend, welchen friedfertigen Absichten meine Rundfahrt diente, in mir den Helden in Civil vermuthen mußten. Oft begegnete ich wild drohenden Blicken und selbst Verwünschungen, und es war besonders die

In einer lothringischen Weinschenke.
Originalzeichnung von L. Löffler.

vorgerücktere Altersstufe der ländlichen Schönen, welche sich zu solchen Extravaganzen hinreißen ließ. Nur bei einer derselben schien das christliche Gefühl von Haß und Rache noch nicht zum Durchbruch gekommen zu sein, da sie mir gegenüber gewissermaßen die Rolle eines Rettungsengels übernommen hat.

In einem der Dörfer, deren weiße nüchterne Häusermassen aus einem Gemisch von Erde, Regenwasser und Mist hervortauchten, sollten die Pferde verschnaufen. Für’s Erste suchten wir vergebens nach einem Unterkommen, bis endlich die übelriechende Straße eine Wendung machte, das Dorf sich einen kleinen Hügel malerisch hinaufzog und aus grünen Gehegen die Firma eines marchand de vin entgegenleuchtete. Wir hielten vor derselben. Eine reinliche Wirthin erschien, und nachdem ich Wein bestellt, ging ich in das hübsche Gärtchen, welches sich terrassenförmig hinter dem Hause ausbreitete. Ich fand nur einen Tisch, welcher von drei Bauern, nicht sehr Vertrauen erweckenden Individuen, bereits eingenommen war, und bot ihnen einen „bon jour, Messieurs“, welcher auch freundlichst erwidert wurde. Einige fernere Bemerkungen über den schönen Garten und den prächtigen Tag ließen jedoch in mir den Deutschen erkennen, denn die drei neuen Freunde sahen sich mit eigenthümlichen Blicken an und ein kurzes oui! oui!und Schweigen war der weitere Ausdruck ihrer Liebenswürdigkeit.

Die Wirthin kam mit dem Wein; ich glaubte, sie würde denselben auf den vor mir stehenden Tisch setzen, und schickte mich an zu bezahlen, aber sie ging vorüber mit dem Bemerken, „daß noch mehr Plätze in dem Garten seien“. Es war wonnevoll unter den grünen Gebüschen, was auch die unzähligen Wespes zu empfinden schienen, die sich durch den süßen Duft meinen Biscuit de Rheims angezogen fanden. Doch nicht lange durfte ich diesem Genuß der Ruhe mich hingeben, denn noch einmal

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1872). Leipzig: Ernst Keil, 1872, Seite 173. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1872)_173.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)